Kurz vor der kommenden Bundestagswahl hat der WDR die Menschen in NRW gefragt, was sie sich von der nächsten Bundesregierung wünschen und welche Probleme am dringendsten behandelt werden sollten. Im Rahmen der Online-Befragung "Deutschland, wo brennt's?" haben wir rund 7.000 Antworten bekommen. Als wichtigste Themen wurden darin "Flucht und Migration", "Krieg und Frieden" sowie "Wirtschaft" genannt. Für den Thementag "Migration" am 29. Januar 2025 haben wir unter anderem Menschen auf der Straße auf das Thema angesprochen. Zudem haben wir mit einigen der Teilnehmenden der Online-Befragung länger darüber gesprochen, was sie gerade am meisten umtreibt.
Weniger als einen Monat vor der Bundestagswahl beherrscht ein Thema den Wahlkampf: Migration. Wie soll Deutschland in Zukunft mit den Menschen umgehen, die bei uns Zuflucht suchen oder aus anderen Gründen nach Deutschland kommen? Bereits vor dem Messerangriff im bayerischen Aschaffenburg hatten sich die Parteien mehr oder weniger klar dazu positioniert. Doch nachdem ein 28 Jahre alter Afghane unter dem Verdacht steht, einen zweijährigen Jungen und einen 41 Jahre alten Mann erstochen und drei weitere Menschen schwer verletzt zu haben, hat das Thema Zuwanderung noch einmal Fahrt aufgenommen.
Die meisten Parteien wollen die Regeln für Migration mehr oder weniger stark verschärfen. AfD und CDU fordern beispielsweise einen Einreisestopp und zügige Abschiebungen. Das BSW dringt auf ein Ende der "irregulären Migration". Wer aus einem sicheren Drittstaat nach Deutschland einreise, dürfe kein Recht auf Aufenthalt und keinen Anspruch auf staatliche Leistungen haben. Die SPD setzt sich zwar ebenfalls für "rasche wie konsequente Abschiebungen" ein, will sich aber auch für einen schnelleren Zugang zum Arbeitsmarkt für ausländische Fachkräfte einsetzen. Auch bei der FDP geht es einerseits um den Zuzug von Arbeitskräften, andererseits plädieren die Liberalen für eine "geordnete Migration nach klaren Regeln, die auch durchgesetzt werden". Im Wahlprogramm der Grünen geht es darum, die Asylsuchenden "fair, verbindlich und solidarisch" auf die Mitgliedsstaaten der EU zu verteilen. Für abgelehnte Asylbewerber fordern auch die Grünen eine zügige Abschiebung. Die Linke hingegen will keinerlei Verschärfung des Asylrechts.
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Das Thema wird offenbar eine entscheidende Rolle dabei spielen, welche der Parteien am 23. Februar die meisten Stimmen bekommt und dann wahrscheinlich die neue Bundesregierung anführt. Denn es treibt die Menschen in Deutschland um: Im aktuellen Deutschlandtrend der ARD nannten die meisten Befragten "Zuwanderung und Flucht" als eines der zwei wichtigsten Themen, das die nächste Bundesregierung als erstes angehen sollte. Mit 37 Prozent wurde kein anderes Thema in der repräsentativen Umfrage unter Wahlberechtigten häufiger genannt.
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Ein ähnliches Bild zeichnet auch die WDR-Befragung "Deutschland, wo brennt’s?", an der im Dezember rund 7.000 Menschen aus fast allen Regionen NRWs teilnahmen. Auf die Frage, welches Problem in Deutschland die nächste Bundesregierung als erstes angehen sollte, antworteten die meisten mit "Flucht und Migration". Das zeigt: Das Thema beschäftigt die Menschen nicht erst seit den Anschlägen von Mannheim, Solingen und Aschaffenburg.
Dazu kommt, dass NRW ein Zuwanderungsland ist. In keinem anderen Bundesland stellen mehr Geflüchtete Jahr für Jahr einen Asylantrag. Im vergangenen Jahr waren es laut dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mehr als 45.000 Erstanträge. Ende 2023 lebten in NRW nach Informationen des Statistischen Landesamtes mehr als 5,6 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. Das entspricht fast einem Drittel der Bevölkerung. Zu diesen Menschen mit Zuwanderungsgeschichte gehören nicht nur Menschen, die nach Deutschland gekommen sind, sondern auch Kinder und Enkelkinder von Zugewanderten.
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Darüber, wie das Zusammenleben im bevölkerungsreichsten Bundesland klappt, wie die Menschen wahrgenommen werden, die aus anderen Ländern zu uns gekommen sind, und wie die nächste Bundesregierung Migration in Zukunft regeln sollte, gibt es ganz unterschiedliche Meinungen. Wir haben mit vier Teilnehmenden unserer Befragung ausführlicher gesprochen.
"Ich finde, man merkt es vor allem an öffentlichen Plätzen, wie Deutschland sich seit 2016 verändert hat", sagt Marcel. Der 27-Jährige lebt und arbeitet in Leverkusen. "Ich höre immer wieder, dass sich Bekannte und Freunde von mir beispielsweise an Bahnhöfen unwohl fühlen, wenn sie allein oder zu zweit unterwegs sind." Das laute oder auch aggressive oder unkontrollierte Auftreten von Menschen an diesen Orten sorge für Unsicherheit. Dem Eindruck nach seien es eher Menschen mit Migrationshintergrund. "Das ist aber mehr ein Bauchgefühl", sagt er. "Ich kann den Menschen ja nicht ansehen, woher sie kommen."
Trotzdem hat er das Gefühl, dass die Situationen, in denen es zu Pöbeleien komme, laut geschrien werde oder Passanten "von der Seite angequatscht werden", in den vergangenen Jahren zugenommen haben. "Das führt dazu, dass man sich unsicher fühlt", sagt Marcel. "Wir wollen aber keine solchen Angsträume."
Dass die Grenzen nach Deutschland möglicherweise geschlossen werden könnten und so keine Menschen mehr einwandern, hält er trotzdem nicht für die richtige Maßnahme. "Das ist die ganz falsche Richtung", sagt Marcel. "Migration ist gut. Viele der Menschen, die hierherkommen, bilden mit das Rückgrat unserer Wirtschaft und unserer Gesellschaft." Zudem gebe es viele notwendige Jobs, in denen Deutsche zunehmend weniger arbeiten wollten. Deutschland sei daher auf eine funktionierende Migration angewiesen. Das Land brauche sie.
Seine Erwartungen und Hoffnungen an die Politik sind vor allem, dass sie sich entscheidet, was sie will, und diese Entscheidung dann auch mit Taten untermauert. "Es geht darum, die Menschen zu unterstützen, die hierherkommen und sich integrieren wollen", sagt der 27-Jährige. "Ich kenne zwei Geflüchtete, die bereits zwei Wochen nachdem sie nach Deutschland gekommen sind, ein Jobangebot hatten." Die beiden hatten sich laut Marcel direkt darum bemüht, Arbeit zu finden. Eine Firma habe den beiden dann eine Stelle angeboten. "Das Problem war aber, dass sie keine Arbeitserlaubnis bekommen haben", sagt Marcel. Das sei ihm unerklärlich und er habe dafür auch kein Verständnis.
Gleichzeitig sieht er aber auch die andere Seite. "Dass Menschen aus Deutschland Frust aufbauen, wenn sie Einwanderer sehen, die keine Anstalten machen, sich zu integrieren", so Marcel. "Die zwar die Unterstützung des Staats annehmen, der Gesellschaft aber nichts zurückgeben wollen und teilweise das System einfach nur ausnutzen." Da wundere es nicht, dass bei diesen Menschen die populistischen Botschaften einiger Parteien verfingen.
Ziel der neuen Bundesregierung muss es laut Marcel daher sein, einerseits die richtigen Anreize zu setzen, damit die Menschen, die ins Land kommen, sich integrieren, die Sprache lernen und arbeiten. "Gleichzeitig muss es ihnen aber auch leichter gemacht werden, diese Ziele zu erreichen, indem man Bürokratie abbaut", sagt Marcel. "Genau hier muss die Politik ansetzen."
Anke macht vor allem die Situation an den Schulen in Mülheim Sorgen. "Mein jüngerer Sohn hat eine Lernschwäche", sagt die 53-Jährige. "Deshalb habe ich extra eine inklusive weiterführende Schule für ihn ausgesucht." Anfangs sei sie auch begeistert gewesen, doch je länger der mittlerweile 14-Jährige die Realschule besuchte, desto häufiger berichtete er von Problemen, die nicht mit seiner Lernschwäche zusammenhingen. "Es geht um Mobbing und Prügeleien, physische Gewalt gegen Schüler und Lehrer", sagt sie. Anke bringt diese Entwicklung vor allem mit dem großen Anteil von Schülern und Schülerinnen mit Migrationshintergrund in Verbindung. Dieser liegt auf der Schule nach Informationen der Stadt Mülheim bei 83 Prozent.
Das Spannungsfeld, in dem die Schule steht, lässt sich auch an anderer Stelle ablesen. So wurde die Realschule vom Schulministerium sowohl mit dem Gütesiegel "Individuelle Förderung" ausgezeichnet, als auch für das aktuelle Schuljahr in die Sozialindexstufe 9 eingeordnet. Um diesen zu berechnen, wird unter anderem herangezogen, wie hoch die Kinder- und Jugendarmut unter den Schülern und Schülerinnen einer Schule ist. Zudem fließen zwei weitere Faktoren in die Berechnung mit ein. Einmal, wie hoch der Anteil der Schüler und Schülerinnen mit Migrationshintergrund und nichtdeutscher Familiensprache ist. Zudem wird auch berücksichtigt, wie viele Schüler und Schülerinnen beim Lernen, ihrer emotionalen und sozialen Entwicklung sowie in puncto Sprache gefördert werden müssen. Je stärker diese Faktoren zutreffen, desto höher liegt der Sozialindex, dessen Stufen von 1 bis maximal 9 reichen.
Anke sieht darin ein Beispiel von misslungener Integration. "Es kann doch nicht sein, dass dort Kinder hingehen, deren Eltern bereits in Deutschland geboren wurden, die aber trotzdem kaum deutsch sprechen", sagt sie. Ihr Sohn berichte davon, dass Kinder ohne Schulsachen im Unterricht erschienen, auch weil ihre Eltern sie nicht in Sachen Schule unterstützten. Immer wieder werde der Unterricht gestört.
Das sei aber nicht alles. Teilweise würden die deutschen Schüler von den Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund wegen ihrer Nationalität angefeindet. "Also eine Art Rassismus gegen Deutsche", sagt sie. "Es macht was mit den Kindern, wenn sie jeden Tag 'Heil Hitler', 'hau ab, du stinkst' hören und als Nazi beschimpft werden."
Noch mehr ärgern Anke diese Zustände, wenn sie daran denkt, wie viel Rücksicht ihrer Meinung nach auf Migranten genommen werde. Die 53-Jährige arbeitet selbst in der Küche einer Offenen Ganztagsschule. "Der Caterer, der uns beliefert, bietet beispielsweise keine Gerichte mit Schweinefleisch an, wegen der muslimischen Kinder an der Schule", sagt sie. "Und das, obwohl aktuell nur wenige Kinder mit Migrationshintergrund dort sind." Im Gegenzug sehe sie aber nicht, wie Migranten sich an unsere Lebensweise und Traditionen anpassen würden.
"Ich komme eigentlich aus Bonn und habe den Karneval immer geliebt", sagt Anke. Als sie mit ihrer Familie vor zwei Jahren beim Rosenmontagszug in Bonn war, sei ihr die Lust aber vergangen. "Da standen wir am Zugweg und zahlreiche Menschen anderer Nationalitäten stritten sich aggressiv um die Kamelle", erzählt sie. "Das hatte nichts mit der verbindenden Idee des Karnevals zu tun."
Solche Erlebnisse, aber auch Vorfälle in Schwimmbädern und Pöbeleien, wenn man abends weggehe, belasteten die Menschen in Mülheim und im Ruhrgebiet, so Anke. "Immer wieder gibt es auch drastische Zwischenfälle bei Fußballspielen von Jugendmannschaften", sagt sie. Es komme zu körperlicher Gewalt.
"Es ist wirklich zehn nach zwölf", sagt die 53-Jährige. "Wenn das so weitergeht, habe ich Angst, dass die Leute die Probleme selbst in die Hand nehmen und regeln."
Von der Politik ist sie enttäuscht. "Die Parteien sagen immer, was sie machen wollen, aber eigentlich weiß man, dass vieles davon gar nicht umsetzbar ist." Gleichzeitig versteht sie nicht, warum das so ist. "Andere Länder haben doch auch Regeln, um die Einreise zu kontrollieren und gerechter zu gestalten."
Sie wünscht sich, dass die Menschen, die nach Deutschland kommen, besser unterstützt werden, um sich zu integrieren und Arbeit zu finden. Dass das möglich ist, weiß sie aus eigener Erfahrung, denn W. arbeitet selbst mit Menschen zusammen, die aus anderen Ländern nach Deutschland gekommen sind. "Das klappt super", sagt sie.
In Fällen, in denen Migranten sich nicht integrieren, wünscht sich die 53-Jährige, dass dann auch die entsprechenden Schlüsse gezogen werden. "Wenn die Behörden merken, dass Menschen das gar nicht wollen, dann muss es die Möglichkeit geben, sie auch wieder wegzuschicken", sagt Anke.
Eine Sache herauszustellen, ist Alexandra besonders wichtig: "Viele Menschen, die sich hier niedergelassen haben, mit Migrationswurzeln, haben sich hervorragend integriert", sagt die 48 Jahre alte Steuerfachangestellte aus Lünen. "Die sind wunderbare Menschen. Die bringen ganz viele Features mit in dieses Land, in diese Städte. Das ist fantastisch." Zur Wahrheit gehöre aber auch, dass es leider auch integrationsunwillige und straffällige Menschen gebe, so Alexandra. "Und über diese Menschen müssen wir diskutieren."
Obwohl diese Forderung aus ihrem Mund vollkommen schlüssig klingt, befürchtet die 48-Jährige, dass die Umsetzung nicht ganz so einfach ist. "Das Problem ist, dass viele eine unterschwellige Angst haben, überhaupt über das Thema zu sprechen", sagt sie. Sobald man sage, man empfinde die Art und Weise wie Migration in Deutschland laufe, falsch oder diskussionswürdig, würde die Nazi-Keule ausgepackt. Es sei aber dringend nötig, die Diskussion um Integration anders zu führen.
"Wir fragen immer: Warum scheitert Integration?", sagt Alexandra. Das sei aber die falsche Frage. "Sie scheitert ja nicht. Sie scheitert an dem Punkt, an dem ich einen integrationsunwilligen Menschen habe."
Immer nur zu sagen, alles laufe gut, helfe niemandem, sagt Alexandra, die von Politik und Gesellschaft einen ehrlichen und differenzierten Blick auf Migranten und Asylbewerber fordert. "Das Pauschalisieren funktioniert einfach nicht." Stattdessen müsse geschaut werden, wer bereit sei, sich zu integrieren und wer nicht. Und dann müsse die Politik klare Kante zeigen. "Menschen, die sich weigern, dieser Gesellschaft anzugehören, da müssen wir ansetzen."
Damit meint Alexandra nicht, dass Zugezogene ihre Traditionen aufgeben sollen. "Wir haben Menschen mit islamischen Hintergrund aufgenommen, die ihre Religion hier natürlich ganz frei leben dürfen, die will ja keiner verbieten", sagt sie. Gleichzeitig müssten Muslime aber akzeptieren, dass Deutschland ein christliches Land sei. "Seid nicht so unverschämt und wollt eure Religion hier durchsetzen", sagt Alexandra.
Laut Alexandra betrifft das nicht nur das Thema Religion. Sie begrüße, wie viele unterschiedliche Kulturen durch Menschen aus anderen Ländern nach Deutschland gekommen seien. "Da sind ganz fantastische Dinge dabei!", sagt die 48-Jährige. "Warum soll man das nicht fördern und anerkennen?" Gleichzeitig dürfe nicht vergessen werden, dass Deutschland ein christlich geprägtes Land sei. "Ein St. Martins-Umzug ist ein St.Martins-Umzug. Der gehört in dieses Land. Und es ist kein 'Laternenumzug'", sagt Alexandra. In diesem Zusammenhang sei es wichtig, klar zu kommunizieren: "Das sind unsere Werte. Wenn ihr mit unseren Werten nicht konform geht, dann tut es uns leid, aber dann müsst ihr euch ein anderes Land suchen oder es einfach tolerieren."
In Alexandras Wahrnehmung tut das auch die Mehrheit der Menschen mit Migrationshintergrund. Auch für sie würde sich die 48-Jährige wünschen, dass der Verlauf der Asylverfahren verbessert würde. "Es gibt Menschen, die haben einen Asylantrag seit Jahren am Laufen, haben eine Ausbildung gemacht oder machen sie, sprechen hervorragend die Sprache, sind in Organisationen wohltätig und gemeinnützig aktiv", sagt die 48-Jährige. "Diese Menschen dürfen wir nicht ausweisen. Diese Menschen gehören in dieses Land hinein."
Einer der Menschen, von denen Alexandra spricht, ist Ahmet. Er kam als Kind aus der Türkei und lebt schon fast sein gesamtes Leben in Deutschland. Der 56-Jährige arbeitet bei der Werksfeuerwehr von Henkel in Düsseldorf. Dort ist auch sein Sohn angestellt. Seine Tochter ist Kommissarin bei der Polizei. Man könnte sagen, die Familie ist voll integriert. Trotzdem macht Ahmet sich Sorgen.
"Immer öfter höre ich auch in meinem näheren Bekanntenkreis Meinungen, die die AfD in die Gesellschaft hinein verteilt", sagt er. "Es gibt Kollegen, die fragen mich: 'Warum hast Du die deutsche Staatsbürgerschaft für immer?'" Sie seien der Meinung, man solle Staatsbürgerschaften nicht für immer vergeben, damit man die Personen im Fall der Fälle abschieben könne.
Bislang habe er solche Meinungen nur aus Berichterstattungen in Medien gekannt. Dass sie ihm jetzt sogar im eigenen Bekanntenkreis begegneten, beunruhigt den 56-Jährigen: "Ich denke, wenn meine Freunde, die jeden Tag mit mir zu tun haben, wenn sich dort die Meinung verfestigt, wie sieht es dann im anderen Teil der Gesellschaft aus?"
Wie die aktuelle Stimmung gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund ist, beobachtet Ahmet im täglichen Leben. Er berichtet davon, dass seine Frau seit kurzer Zeit wieder Kopftuch trage. "Seitdem merke ich, dass wir schon ganz anders behandelt werden", sagt Ahmet. Habe man sie vorher auf der Straße gegrüßt und ihnen beispielsweise gedankt, wenn sie die Tür aufhielten, käme dafür mittlerweile nicht einmal mehr eine freundliche Geste zurück.
Als Grund für diese Stimmung macht Ahmet vor allem die Pauschalisierungen verantwortlich, die viele Menschen nach Taten wie in Mannheim, Solingen und Aschaffenburg vornehmen würden. So sehe die Gesellschaft den Mann, der in Aschaffenburg ein kleines Kind und einen Mann getötet haben soll, nicht als Menschen an. Stattdessen würde er als Migrant und als Muslim bewertet und Menschen wie Ahmet, die das auch sind, direkt in Mithaft genommen. "Die Leute schaffen es dann nicht, mich weiterhin als neutral zu bewerten", sagt Ahmet. "Also muss ich mich immer rechtfertigen."
Ahmet stört es vor allem, dass Medien und Gesellschaft für solche schrecklichen Anschläge immer die Herkunft und den Glauben der Täter als Ursache nennen würden. Er habe das Gefühl, dass sich alle "nur den Begriff Muslim merken und dadurch werden alle muslimischen Menschen zu einer potentiellen Gefahr für diese Gesellschaft".
Auch politisch verschiebt sich der Diskurs laut Ahmet immer weiter. Dadurch, dass einige Parteien immer mehr die Sprache der AfD übernehmen, würde das, was früher unsagbar war, immer salonfähiger. "Ich merke, die Gesellschaft driftet immer weiter nach rechts", so der 56-Jährige.
Zu den Ergebnissen der kompletten “Deutschland, wo brennt’s”-Befragung inklusive einer interaktiven Karte, woher welche Antworten kommen, geht es hier.
Hinweis der Redaktion: Einige der Personen, die in diesem Beitrag zu Wort kommen, haben darum gebeten, dass nicht ihr kompletter Name veröffentlicht wird. Wir nennen daher alle nur mit ihrem Vornamen. Ihre Meinungen, Gefühle und Erlebnisse geben wir in diesem Text wieder. Faktenbehauptungen, die von ihnen getätigt wurden, haben wir soweit es uns möglich war, überprüft.
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Autor: Jörn Kießler
Grafik: Jennifer Hütt
Redaktion: Raimund Groß und Till Hafermann