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Redaktion: Thierry Backes, Johannes Kolb
Fotos: privat (3), Screenshot via Instagram, Oleksandr Gimanov/AFP 
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privat
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Wenn das Heimweh größer ist als die Angst vor dem Krieg

Yana, 23, flieht Anfang März vor dem Krieg in der Ukraine. Nach nur einer Woche in Rumänien kehrt sie nach Odessa zurück - zu groß ist die Sehnsucht nach den Menschen in ihrer Heimat. Dann muss sie erleben, wie eine Freundin bei einem russischen Raketenangriff ums Leben kommt. Hier erzählt sie von Flucht und Rückkehr sowie von ihrem neuen Alltag im Kriegsgebiet.

Protokoll: Cosima Gill



„Meine Freundin war um 14.30 Uhr auf Telegram das letzte Mal online. Ich habe das extra nachgeschaut, als ich von ihrem Tod erfuhr. Sie war in der fünfzehnten Woche schwanger.

Es war Karsamstag, ein Tag vor dem orthodoxen Osterfest. Ich hatte frei, war alleine zu Hause und wollte gerade spazieren gehen, als die Rakete bei mir in der Nachbarschaft einschlug. Ich habe erst gar nicht verstanden, was passiert, habe sogar noch ein kurzes Video aus dem Fenster gedreht.

Erst später erfuhr ich, dass bei dem Angriff eine Freundin ums Leben gekommen ist. Sie hatte erst vor einem Jahr geheiratet und lebte mit ihrem Mann im ersten Stock des Wohnblocks, der getroffen wurde. Ein junges, lustiges und wunderschönes Paar. Den Körper ihres Mannes haben sie geborgen, ihr Leichnam wurde bisher nicht gefunden.

Das klingt jetzt vielleicht etwas merkwürdig, aber bis das alles passiert ist, habe ich immer gedacht, dass der Krieg meine Freunde oder mich nicht direkt treffen würde. Doch jetzt ist der Krieg auf einmal ganz nah.

Flucht und Rückkehr - in nur einer Woche

Anfang März bin ich mit meiner Mutter nach Rumänien geflohen. Wir wollten weg vom Krieg, raus aus Odessa. Den Kopf freikriegen, in Sicherheit sein.

Am schwierigsten war der Abschied von meinem Vater. Er wollte nicht, dass wir ihn weinen sehen. Ich habe aber bemerkt, dass er ein paar Tränen vergossen hat. Dann musste ich auch weinen. In dem Moment wusste ja keiner von uns, ob wir jemals wiederkommen.

In Bukarest haben wir unglaublich viel Hilfe erfahren. Die Menschen haben uns SIM-Karten und Lebensmittel geschenkt, eine Wohnung zur Verfügung gestellt. Sie haben uns gesehen und gesagt: ‚Oh mein Gott. Es ist so schrecklich, was mit der Ukraine passiert.‛

Und wir? Sind nur planlos durch die Stadt gelaufen und haben überlegt, wie es weitergehen soll. Es ist ein schreckliches Gefühl, in einem anderen Land zu bleiben, wenn du nicht weißt, was aus deiner Heimat wird. Ich kann das kaum beschreiben.

In Bukarest habe ich die ganze Zeit nur geweint. Alles, was ich habe, was mir wichtig ist, ist in meiner Geburtsstadt Odessa. Viele meiner Freunde sind damals dort geblieben. Meine Familie war dort, meine Verwandten. Ich habe sie alle vermisst.

Am Ende haben wir es nicht lange in Rumänien ausgehalten und sind nach einer Woche nach Odessa zurückgekehrt. Zu Hause habe ich erst mal alles geküsst: Meinen Computer, meinen Tisch, unseren Hund Misha. Und natürlich meine Familie, meine Freunde und Großeltern. Ich war das glücklichste Mädchen der Welt.



Am 5. April 2022, knapp sechs Wochen nach dem Beginn des Krieges in der Ukraine, postet Yana ein altes Bild aus dem ägyptischen Sharm El Sheikh am Roten Meer bei Instagram. Sie schreibt: „Fotos aus Vorkriegszeiten, wo ich wie nie sonst glücklich war. Emotionen auf dem Vormarsch. Es gab keine Angst. Keine Sirenen und Explosionen. Wir werden nie mehr so sein wie zuvor, das ist sicher...“

Minen am Strand

In Odessa ist es gerade überall gefährlich. Aber der leere Strand ist ein besonders gruseliger Anblick. Es gibt eine offizielle Empfehlung, nicht mehr direkt am Meer spazieren zu gehen. Dort sollen Minen versteckt sein. Deshalb gehe ich mit dem Hund an der Strandpromenade Gassi und nicht im Sand.

Ein Schild warnt vor Minen am Strand von Odessa.

Viele Menschen hier haben ihren Job verloren, wissen nicht, was sie jetzt machen sollen, und dann gehen sie eben spazieren. Fast alle Geschäfte, Cafés und Restaurants haben geöffnet, etwa mein Lieblingsrestaurant ‚Korablik‛, das einen wunderschönen Blick direkt aufs Meer bietet.

Blick aus dem ‚Korablik‛ aufs Meer.

Aber im Stadtzentrum begegnen einem öfter Polizei, Militär oder Krankenwagen. Und an vielen Orten stehen Panzersperren. Als ich sie zuerst gesehen habe, fand ich das ungewohnt. Mittlerweile habe ich mich an den Anblick gewöhnt. Das Einzige, was knapp ist, ist Benzin. An der Tankstelle dürfen wir manchmal nur zehn oder 20 Liter pro Person tanken.

Wir wollen nicht über den Krieg sprechen, können ihn aber keine Sekunde ausblenden

Manchmal treffe ich abends meine Freunde. Vor einer Woche haben wir direkt an der Strandpromenade gegrillt. Als wir gerade gegessen haben, sind drei Raketen am anderen Ende der Stadt eingeschlagen. Das war wahnsinnig laut, aber wir sind sitzen geblieben.

Auch wenn wir eigentlich nicht über den Krieg sprechen wollen, es geht gar nicht anders. Wir können ihn keine Sekunde ausblenden. Jeder ist in irgendeiner Form betroffen, hat keine Arbeit mehr, hat Verwandte oder Freunde verloren.

Panzersperren in der Innenstadt von Odessa.

Wir wachen auf, wenn die Sirenen wieder heulen, manchmal mitten in der Nacht. Das Geräusch ist laut und schrecklich. Man verliert fast den Verstand. Und dann die Nachrichten aus Mariupol und Charkiw. Klar, das beeinflusst uns. Das ist jetzt unser Leben.

Vielleicht muss ich Odessa bald wieder verlassen, weil die Angriffe nicht aufhören. Ich denke darüber nach und fühle mich schrecklich dabei. Ich kann mir nicht vorstellen, wie unsere Zukunft hier aussehen soll. Aber ich hoffe, dass es gut wird.“



1LIVE hat am 26. April 2022 ab 10.37 Uhr über das Schicksal von Yana berichtet.

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