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WDR

Redaktion: Thierry Backes, Julia Linn, Sarah Sanner
Text: Fulya Çayir, Anastasiya Polubotko
Film:
 Ben Bode, Cengiz Ünal
Kamera: Julia Hombach, Christoph Köchling
Schnitt: Julia Hombach
Design: Marco Hörnchen

Medien
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Bedingungsloses Grundeinkommen für alle - kann das funktionieren?



Jeden Monat 1.200 Euro vom Staat – einfach so. Lässt sich das finanzieren? Was für und was gegen die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens in Deutschland spricht.

Von Fulya Çayir und Anastasiya Polubotko

Samira Korves bekommt jeden Monat 1.200 Euro. Einfach so. Ohne Gegenleistung. Drei Jahre lang. Korves, 28, ist eine von 122 Teilnehmerinnen und Teilnehmern eines großen Experiments, das am 1. Juni 2021 gestartet ist, das „Pilotprojekt Grundeinkommen“. Dessen Initiatoren wollen viele noch offene Fragen rund um ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) untersuchen, etwa die: Was machen Menschen, wenn sie Geld geschenkt bekommen? Macht sie das glücklicher? Oder macht sie das faul?

Das bedingungslose Grundeinkommen sei für sie „auf jeden Fall eine große Sicherheit“, sagt Korves. Sie arbeitet als Tagesmutter in Münster und hat in der Corona-Zeit finanzielle Einbußen erlitten: Die Schwimmkurse, die sie auch gibt, haben nicht stattfinden können. Wie sich das BGE auf ihr Leben auswirken wird, kann sie noch nicht sagen, aber sie fragt: Kann ein Konzept wie das bedingungslose Grundeinkommen gesamtgesellschaftlich überhaupt funktionieren – und vor allem: Wie?

WDR-Reporter Ben Bode hat für Samira Korves Antworten gesucht:



Die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens würde die sozialpolitischen Strukturen in Deutschland ziemlich durcheinanderwürfeln, da sind sich Befürworter und Gegner einig. Wir müssen davon ausgehen, dass ein BGE unzählige politische und wirtschaftliche Effekte nach sich ziehen würde – allerdings kann niemand mit Sicherheit sagen, welche. Ob wir als Gesellschaft ein bedingungsloses Einkommen einführen wollen oder nicht, das ist mitunter eher eine philosophische Debatte als eine wissenschaftliche. Im Folgenden beantworten wir die wichtigsten Fragen rund um das Thema.

Was genau versteht man unter einem bedingungslosen Grundeinkommen?

Das bedingungslose Grundeinkommen ist eine sozialpolitische Idee. Der Kerngedanke: Jedes Mitglied einer Gesellschaft bekommt Geld in einer bestimmten Höhe regelmäßig (z. B. monatlich) und ohne zeitliche Begrenzung ausgezahlt. Die Auszahlung ist bedingungslos, das heißt: Es gibt weder eine staatliche Bedürftigkeitsprüfung noch gibt es Erwartungen, die an die Auszahlung geknüpft sind. Das Grundeinkommen soll das soziokulturelle Existenzminimum abdecken: Bezieherinnen und Bezieher sollen sich vernünftig ernähren und in einer angemessenen Wohnung leben können, und sie sollen sich mit dem Geld am gesellschaftlichen Leben beteiligen können.

Eine darüberhinausgehende Definition gibt es angesichts der Vielzahl von Modellen und Konzepten nicht. Diese unterscheiden sich etwa bei der Höhe des BGEs oder bei der Frage, ob Kinder ab ihrer Geburt Geld erhalten sollten. Debattiert wird auch darüber, ob andere Sozialleistungen komplett wegfallen und ob nur deutsche Staatsangehörige ein bedingungsloses Einkommen beziehen sollten.

Die Modelle kommen aus unterschiedlichen, tendenziell linken politischen Ecken (hier eine Übersicht im pdf-Format). Eines der bekanntesten Konzepte stammt jedoch von Götz Werner, dem Gründer der Drogeriekette dm (pdf). Er argumentiert, dass man jedem Menschen mit einem BGE die Chance geben würde, sein Arbeitsleben freier zu gestalten – und sich so selbst zu verwirklichen. „Die Menschen arbeiten, weil sie arbeiten wollen, nicht, weil sie arbeiten müssen“, sagte er 2016 dem Deutschlandfunk. Sein Konzept sieht eine schrittweise Einführung des Grundeinkommens vor, das nach spätestens 20 Jahren auf 1.300 bis 1.500 Euro anwachsen soll. Um es zu finanzieren, sollen andere Sozialleistungen wie das Arbeitslosengeld wegfallen und die Mehrwertsteuer deutlich erhöht werden.

In Deutschland halten 58 Prozent die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens für sinnvoll. Das ergab eine repräsentative Umfrage aus dem Jahr 2017. Andere Studien bestätigen, dass etwa die Hälfte der Menschen hierzulande für ein BGE ist, die andere dagegen. Eine Analyse des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zeigt: Viel Zustimmung gibt es vor allem in den neuen Bundesländern, bei jungen Menschen, die tendenziell gebildet und politisch eher links zu verorten sind und ein niedrigeres Einkommen haben.

Wie könnte ein bedingungsloses Grundeinkommen finanziert werden?

Um allen Menschen in Deutschland einen Betrag von 1.000 Euro pro Monat zahlen zu können, wäre eine Summe von fast einer Billion Euro pro Jahr notwendig, Verwaltungskosten nicht mit eingerechnet. Zum Vergleich: 2020 haben alle sozialstaatlichen Leistungen, also etwa das Arbeitslosengeld, die Zuschüsse zur Rentenversicherung oder Ausbildungsförderungen wie das BAföG, den Bund 1,1 Billionen Euro gekostet.

Das heißt jedoch nicht, dass die Steuerkasse durch die Einführung eines BGE entlastet würde. Denn die Sozialausgaben im Corona-Jahr 2020 waren durch Maßnahmen wie das Kurzarbeitergeld höher als in den Jahren davor. Auch kann das BGE nicht alle sozialstaatlichen Leistungen ersetzen, da sind sich auch die meisten Befürworterinnen und Befürworter einig. Wer zum Beispiel gepflegt werden muss, braucht in der Regel mehr Geld als ihr oder ihm zustünde, wenn es ausschließlich ein bedingungsloses Grundeinkommen gäbe.

Dass die Einführung eines BGE eine teure Angelegenheit werden könnte, darauf deutet eine Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags aus dem Jahre 2006 (pdf) hin. In dem Papier heißt es, das von dm-Gründer Götz Werner vorgeschlagene Modell eines BGE in Höhe von 1.300 bis 1.500 Euro erfordere ein Finanzvolumen, „das mindestens das Doppelte der bisherigen Sozialtransfers umfasst“.

Zur Finanzierung eines BGE werden vor allem zwei sehr unterschiedliche Modelle diskutiert. Das erste Modell umfasst eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf bis zu 50 Prozent, wie sie dm-Gründer Götz Werner vorschlägt. Das zweite Modell sieht eine Erhöhung der Einkommenssteuer vor, etwa über eine negative Einkommenssteuer“: Demnach stünde jedem Bürger und jeder Bürgerin die Höhe des Grundeinkommens steuerfrei zur Verfügung. Wer mehr verdient, wird ab dem ersten Euro mehr besteuert; wer weniger verdient, erhält trotzdem das Grundeinkommen.

Beide Modelle haben Vor- und Nachteile: Bei der Finanzierung über eine erhöhte Mehrwertsteuer wird kritisiert, dass auch ärmere Menschen deutlich zur Finanzierung beitragen müssten schließlich kann niemand gänzlich auf Konsum verzichten. Bei der Finanzierung über die Einkommenssteuer besteht hingegen die Gefahr, dass Arbeit unattraktiv wird, wenn sie zu stark besteuert wird. Andererseits könnten so die Wohlhabenden zur Kasse gebeten werden, statt die Armen übermäßig zu belasten.

Die meisten konkreten Modelle bieten letztlich einen Finanzierungsvorschlag die genauen Folgen für die Wirtschaft und die Gesellschaft lassen sich daraus jedoch nicht mit Sicherheit berechnen. Auch der Professor für Volkswirtschaftslehre und ehemalige Staatssekretär des Deutschen Caritas-Verbandes, Georg Cremer, kommt in seiner Analyse (pdf) zur Finanzierung des BGE zu dem Schluss: Ein Grundeinkommen, das wirklich über Hartz-IV hinausgeht, geht nur mit einer hohen Besteuerung, „wobei völlig offenbleibt, wie der gesellschaftliche Großversuch dann ausginge“.

Was spricht für ein bedingungsloses Einkommen?

Die Einführung eines bedingungslosen Einkommens ist in mehreren Modellversuchen weltweit erprobt worden. Doch die Faktenlage ist dünn. Das liegt etwa daran, dass die Studien nur wenige Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten, zeitlich befristet waren und oft nur bestimmte Gruppen von Menschen untersucht wurden – zum Beispiel Arbeitslose, die nicht repräsentativ für die Bevölkerung sind. Darauf weist unter anderem der Ökonom Thieß Petersen von der Bertelsmann Stiftung hin, der 2017 eine ausführliche Analyse zum BGE geschrieben hat.

„Alle Feldversuche zum bedingungslosen Grundeinkommen sind natürlich mehr oder weniger Quatsch“, sagt auch der Ökonom und Philosoph Philip Kovce von der Universität Witten/Herdecke. „Das bedingungslose Grundeinkommen ist keine wissenschaftlich zu entscheidende Veranstaltung.“ Es gehe vielmehr darum, „den Diskurs zu führen, ob wir in diese Richtung unsere freiheitliche demokratische Grundordnung weiterentwickeln wollen oder nicht“.

Doch ein auf einem bedingungslosen Grundeinkommen basierendes Gesellschaftsmodell kann natürlich auch nur dann funktionieren, wenn nach dessen Einführung noch genügend Menschen arbeiten, um das System zu finanzieren. Ob das so wäre, kann niemand verlässlich vorhersagen: In einer repräsentativen Umfrage aus dem Jahr 2017 gaben zwar etwas mehr als drei Viertel der Befragten an, unabhängig von der Höhe des BGE auf jeden Fall weiter arbeiten zu wollen aber wäre das wirklich so? Und würde es reichen?

Die folgenden Argumente sind nicht lückenlos belegbar, mitunter theoretisch-philosophischer Natur und daher mit einer gewissen Vorsicht zu genießen.

Ein bedingungsloses Einkommen nimmt den Menschen die Existenzangst. Wenn jeder einzelne Mensch jeden Monat einen Betrag von, sagen wir, 1.200 Euro garantiert bekommt, braucht niemand Angst zu haben, etwa bei dem Verlust des eigenen Jobs in die Armut zu rutschen. Die Menschen wüssten damit, „dass sie und ihre Kinder bis zum Lebensende niemals in Armut leben werden“, sagt Michael Bohmeyer in dem ZDF-Format „13 Fragen“ (ab ca. 13:40). Er ist Gründer des Vereins „Mein Grundeinkommen“, der per Losverfahren spendenfinanzierte bedingungslose Grundeinkünfte verschenkt. „Verringerung der Armut“ und „Absicherung für alle in Krisenzeiten“ sind die zentralen Argumente für ein BGE das ist das Ergebnis einer aktuellen repräsentativen Umfrage in Österreich (pdf).

Ein bedingungsloses Einkommen bietet Menschen mehr Freiheiten. Wenn das BGE wie ein Sicherheitsnetz wirkt, trauen sich mehr Menschen, ihre Zeit für die Familie zu nutzen, in Hobbys oder Ehrenämter zu investieren. Sie bilden sich weiter und nehmen auch mal einen Job an, der vielleicht weniger lukrativ, aber dafür erfüllender ist. „Ein Grundeinkommen würde Menschen die Freiheit geben, Nein zu sagen zu unterbezahlten Jobs“, sagt der Volkswirt Thomas Straubhaar von der Universität Hamburg. „In der Folge würde ein Arbeitsmarkt entstehen, der viele bis dahin schlecht bezahlte Jobs besser entlohnt.“

Wer ein bedingungsloses Einkommen bezieht, ist zufriedener, hat weniger Stress und mehr Selbstvertrauen. Ein Modellversuch aus Finnland hat gezeigt, dass die Einführung eines BGE positive psychische Effekte haben kann. Zwischen Anfang 2017 und Ende 2018 haben 2.000 Arbeitslose statt der Grundsozialhilfe bedingungslos 560 Euro erhalten; die Empfängerinnen und Empfänger waren dabei deutlich zufriedener und weniger gestresst als eine Kontrollgruppe, die weiterhin Sozialhilfe in ähnlicher Höhe bekam. Auch „das Vertrauen der Menschen in die eigenen Fähigkeiten, in staatliche Institutionen und in die Zukunft nahm messbar zu“, sagt Minna Ylikännö, eine Forscherin der finnischen Sozialbehörde.

Ein bedingungsloses Einkommen reduziert Bürokratie und sorgt für weniger Stigmata. Wer heute etwa von Hartz IV lebt, muss nicht nur viel Zeit in Formulare und Bewerbungen investieren, sondern muss auch mit dem Stigma leben, auf Geld vom Staat angewiesen zu sein. Befürworterinnen und Befürworter argumentieren: Wenn jede und jeder Geld vom Staat erhält, wird niemand mehr deshalb ausgegrenzt. Würden zumindest einige Sozialleistungen durch das bedingungslose Grundeinkommen wegfallen, würde der Staat sich die Kosten für die aufwändige Verwaltung sparen.

Ein bedingungsloses Grundeinkommen kann wegfallende Arbeitsplätze abfedern. Durch die Digitalisierung werden einer Analyse des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit zufolge 1,5 Millionen Arbeitsplätze bis 2025 verschwinden. „Digitalisierung schafft zwar auch neue Arbeitsfelder, wahrscheinlich aber in geringerem Ausmaß und vor allem für speziellere Qualifizierungen. Das könnte eine echte Gefahr für unser jetziges Sozialsystem darstellen“, schreibt Korbinian von Blanckenburg, Wirtschaftsprofessor an der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe (pdf, S. 28). Die drohenden Arbeitsplatzverluste könnten durch ein bedingungslose Grundeinkommen aufgefangen werden, argumentieren Befürworterinnen und Befürworter.

Was spricht gegen ein bedingungsloses Einkommen?

Wie die Argumente für ein bedingungsloses Einkommen, so basieren auch einige Argumente gegen das Grundeinkommen nicht auf wissenschaftlichen Studien, sondern auf theoretisch-philosophischen Überlegungen. Hinzu kommt, dass es eine Vielzahl verschiedener BGE-Modelle gibt, die sich in zentralen Punkten unterscheiden, etwa bei Fragen der Finanzierung (siehe oben). Demnach sind auch die Argumente gegen ein BGE mit Vorsicht zu genießen.

Ein bedingungsloses Einkommen senkt die Arbeitsmotivation. Sind niedrig bezahlte, auf dem Papier wenig Chancen verheißende Jobs noch attraktiv genug, wenn jede und jeder 1.200 Euro im Monat erhält? Gegnerinnen und Gegner eines BGE sagen ganz klar: nein. Sie argumentieren, dass Jobs etwa in der Reinigungsbranche nicht mehr besetzt werden könnten und dass dies die Wirtschaftsleistung und den Wohlstand aller gefährde. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, verweist auf Umfragen, in denen zumindest manche Menschen angaben, im Falle eines bedingungslosen Grundeinkommens den Job ganz aufgeben oder die Zahl der Arbeitsstunden reduzieren zu wollen. „Nach einer groben, statischen Überschlagsrechnung würde dies bedeuten, dass 17 Prozent der Beschäftigung und gearbeiteten Stunden wegfallen“, schreibt er in seiner Analyse (pdf).

Ein bedingungsloses Grundeinkommen sorgt nicht für mehr, sondern für weniger Gerechtigkeit. Der Kölner Politikwissenschaftler und Armutsforscher Christoph Butterwege argumentiert: Was für die einen „Peanuts“ sind, reicht für andere, zum Beispiel für Menschen mit schwerer Behinderung, zum Leben womöglich nicht aus. Würde man dem Millionär das Grundeinkommen aber nicht zahlen, wäre es auch nicht allgemein und bedingungslos. Auch Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, verweist in einem Aufsatz darauf, dass manche Menschen mehr Unterstützung bräuchten, um sich in Gesellschaft und Wirtschaft einbringen zu können. Und Holger Schäfer, Ökonom am Institut der Wirtschaft, sagt im WDR-Interview: „Gerechtigkeit heißt nicht Gleichheit vom Ergebnis, sondern Gleichheit von Chancen.“

Ein bedingungsloses Einkommen benachteiligt ärmere Menschen. Eine OECD-Studie aus dem Jahr 2017 zeigt, dass vor allem die Mittelschicht vom BGE profitieren würde. Ärmere Menschen könnten sogar weniger Geld zur Verfügung haben, wenn andere Sozialleistungen wegfielen. Gerhard Bosch, Arbeits- und Wirtschaftssoziologe von der Universität Duisburg/Essen, schreibt in seiner Analyse (pdf) schon 2018: „Durch die Abschaffung von Mindestlöhnen und Tarifverträgen würde ein riesiger Niedriglohnsektor entstehen.“ Bosch argumentiert, dass es zum Normalfall werden würde, dass ärmere Menschen ihr BGE mit geringeren Löhnen aufstocken. Zudem denkt er, dass ein BGE viele Bürgerinnen und Bürger in die Armut stürzen würde, weil das Geld bei unerwarteten Zusatzkosten wie schweren Krankheiten oder Unfällen nicht ausreiche.

Das bedingungslose Grundeinkommen ändert nichts an der Ausgrenzung von Arbeitslosen. Auch wenn alle Geld vom Staat erhalten würden, das Stigma der Arbeitslosigkeit bleibe trotzdem bestehen, sagen Gegnerinnen und Gegner eines BGE. „Denn in einer Arbeitsgesellschaft hängen Lebenszufriedenheit, sozialer Status und Selbstwertgefühl an der Berufstätigkeit“, schreibt Christoph Butterwegge. Der Verhaltensökonom und Wirtschaftsethiker Dominik Enste vom Institut der Deutschen Wirtschaft argumentiert darüber hinaus, man könne das bestehende System einfach verbessern, ohne das gesamtgesellschaftliche Risiko des bedingungslosen Einkommens für alle einzugehen. Er hält eine „weniger drastische Reformierung des Sozialsystems“ für besser geeignet, die Probleme, die es derzeit gibt, zu lösen (pdf).

Unter welchen Voraussetzungen könnte das Konzept eines bedingungslosen Grundeinkommens in Deutschland funktionieren?

Der Ökonom Thieß Petersen von der Bertelsmann Stiftung glaubt, dass Deutschland frühestens im Jahr 2040 bereit sei, ein bedingungsloses Einkommen einzuführen. „Wenn wir ein bedingungsloses Grundeinkommen einführen, sollten wir warten, bis wir mehr Maschinen und Roboter haben, die die fehlenden Arbeitskräfte ersetzen können“, schreibt er in seiner Analyse. Erst wenn die Wirtschaft nicht mehr alle aktuell Beschäftigten bräuchte, gebe es eine vertretbare Ausgangssituation.

„Nehmen wir den Pflegeberuf: Gäbe es Roboter, die gewisse Tätigkeiten übernehmen könnten, wären die Menschen aus dieser Branche weniger belastet als sie es aktuell sind“, sagt Petersen. Aus den Ideen lässt sich Folgendes schlussfolgern: Müssten Pflegekräfte nicht mehr von einem Bett zum nächsten hetzen und hätten grundsätzlich Spaß an ihrem Beruf, dann hätten sie keinen Grund, ihren Job trotz des BGE aufzugeben.

Wie steht die Politik zum bedingungslosen Einkommen?

Der Philosoph und Ökonom Philip Kovce sagt: „Das bedingungslose Grundeinkommen ist eine parteiübergreifende Minderheitenposition in Deutschland. Aber wenn Sie sich zum Beispiel die Jugendorganisationen der Parteien anschauen, dann sehen Sie: Die meisten Parteien sind nur noch eine Generation vom bedingungslosen Grundeinkommen entfernt.“

Gruppierungen innerhalb von Parteien wie den Grünen oder Linken haben eigene Konzepte für ein BGE erarbeitet. Doch die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen findet sich in keinem Wahlprogramm der sechs Parteien, die derzeit im Bundestag vertreten sind.

CDU/CSU und FDP lehnen das Konzept auf WDR-Anfrage grundsätzlich ab, die AfD sieht darin einen „Zuwanderungsmagnet“ und ist ebenso dagegen. Die SPD will die Grundsicherung überarbeiten, das sogenannte Bürgergeld aber nicht bedingungslos gewähren. Bei den Linken ist das BGE wie angedeutet intern umstritten, die Kontroverse soll nach der Wahl in einer Mitgliederabstimmung entscheiden werden, sagt Bundesgeschäftsführer Jörg Schindler. Laut Wahlprogramm (pdf, S.28) will die Partei sich für „ein sanktionsfreies Mindesteinkommen von 1.200 Euro einsetzen, für alle, die es brauchen (…) – kein volljähriger Mensch soll weniger haben“. Die Grünen „begrüßen und unterstützen“ laut Wahlprogramm (pdf, S. 112) Modellprojekte, „um die Wirkung eines bedingungslosen Grundeinkommens zu erforschen“.