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WDR

Autor: Jörn Kießler
Redaktion:
Rainer Kellers
Recherche:
Jörn Kießler, Henry Bischoff
Grafiken:
Anne Elisabeth Spruijtenburg
Videos:
Frank Lange, Beate Hößler

Medien
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Pumpen für den perfekten Körper

Warum Bodybuilding bei jungen Männern so beliebt ist

Von Jörn Kießler

Wenn die Fitnessmesse Fibo in Köln startet - eine der größten Fitness- und Gesundheitsmessen der Welt - strömen jährlich mehr als 100.000 Besucher in die Messehallen. Das Geschäft mit Sport, Bewegung und Krafttraining boomt, Fitnesscenter vermelden regen Zulauf.

Viele Fitness-Fans sind junge Menschen, und sie machen Sport vor allem, um gut auszusehen. Bei Frauen geht es häufig darum, schlanker zu werden. Junge Männer hingegen wollen vor allem eines: starke Muskeln - und so aussehen, wie ihre Vorbilder in Filmen und Serien, bei Youtube, Instagram und TikTok.

Wie viele Jugendliche gehen ins Fitnessstudio?

Man kann den Schmerz erahnen, wenn man Eduard Kleine ins Gesicht schaut. Immer wieder verengen sich die Augen des 16-Jährigen, presst er die Lippen aufeinander, während er seinen Arm beugt und die Hantel kontrolliert nach oben führt. Dann werden die Bewegungen langsamer. Eduard kämpft - aber nur kurz. Ein Blick in den Spiegel gegenüber sorgt für die nötige Motivation, doch noch zwei Wiederholungen zu schaffen.

"Klar ist das schmerzhaft", sagt der junge Bodybuilder aus Hagen. "Aber es macht ja auch Spaß." Natürlich habe es gedauert, bis er so weit war, dass ihm die Qualen beim Training Spaß machten. Aber spätestens danach stelle er immer wieder fest, dass es sich gelohnt habe. "Man fühlt sich dann einfach breit", so Eduard. "Man fühlt sich besser, es pusht das Ego und man fühlt sich cool."

Vier Mal pro Woche ist er dafür im Fitnessstudio, mindestens. Jedes Mal bleibt er zwei Stunden, oft auch länger, und spult einen strukturierten Trainingsplan runter. Einen Tag wird der Rücken trainiert, bei der nächsten Einheit dann die Brust. Dann folgen Arme und Schultern, bevor er sich im letzten Training des Zyklus der Beinmuskulatur widmet.

Seit mittlerweile zwei Jahren betreibt Eduard Bodybuilding. Zunächst trainierte er nur für sich. Mittlerweile nimmt er auch an Wettkämpfen teil. Im April wurde der 16-Jährige Deutscher Meister im Jugend-Bodybuilding.

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Viele Menschen denken bei Bodybuilding sofort an posende, muskelbepackte Männer und Wettkämpfe wie Mr. Olympia. Der Begriff Bodybuilding beschreibt aber grundsätzlich nur die Tatsache, dass Sportler in erster Linie dafür trainieren, ihren Körper nach ihren Vorstellungen zu formen.

Dass dieser Sport immer beliebter ist, lässt sich an den Mitgliederzahlen von Fitnessstudios in Deutschland ablesen. Seit Jahren verzeichnen sie Zuwächse. Während der Corona-Pandemie sank die Zahl der Mitgliedschaften zwar und lag im Jahr 2021 nur noch bei 9,3 Millionen. Doch schon ein Jahr später war die Zahl nach Informationen des Arbeitgeberverbands der Fitnessbranche DSSV wieder auf 10,3 Millionen gestiegen.

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Auffällig ist dabei, dass immer mehr junge Menschen trainieren gehen. Laut der Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse besuchen im laufenden Jahr fast 20 Millionen Menschen in Deutschland in ihrer Freizeit häufig oder ab und zu ein Fitnessstudio. Fast ein Viertel davon war zwischen 19 und 29 Jahre alt. Ganze 1,58 Millionen der Fitnessbegeisterten sind sogar noch jünger - nämlich zwischen 14 und 19 Jahre alt.

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Warum trainieren junge Menschen?

Während die Motivation, Sport zu treiben, bei älteren Menschen eher darauf fußt, Beschwerden wie Rückenschmerzen zu lindern oder gesundheitliche Vorsorge zu betreiben, hat die Generation Z andere Beweggründe. In einer repräsentativen Befragung der Krankenkasse Pronova BKK im vergangenen Jahr gaben 54 Prozent der befragten 18- bis 29-Jährigen an, dass sie trainieren, um "besser auszusehen". In keiner anderen Altersgruppe war diese Motivation so stark vertreten. Über alle Altersgruppen hinweg gaben diesen Grund nur 35 Prozent der Befragten an.

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Welche Ziele verfolgen Männer und Frauen beim Krafttraining?

Wie gutes Aussehen definiert wird - und somit auch, was im Fitnessstudio trainiert wird, - ist geschlechtsabhängig. Studien zeigen, dass Frauen vor allem Sport treiben, um ihr Gewicht zu halten, Fett abzubauen und ihre Figur zu formen. Männer hingegen wollen meistens Muskeln aufbauen, wie der Freizeitwissenschaftler und ehemalige Rektor der Deutschen Sporthochschule Köln, Walter Tokarski, bereits 2005 bei einer Befragung in NRW-Fitnessstudios feststellte. Damals gab das Gros der Männer, 52,8 Prozent, an, Muskeln aufbauen zu wollen.

Von Anfang an habe ich es gefeiert: Musik auf die Ohren, vollen Fokus aufs Training und einfach nur Muskeln aufbauen."

Eduard Kleine, 16, Bodybuilder

"Jede Epoche hat ein eigenes Schönheitsideal", sagt Sportwissenschaftler Axel Horn. Der ehemalige Professor der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd hat unter anderem ein Buch über Sportphilosophie geschrieben. Seit Jahrzehnten sei dieses Idealbild mit einem jugendlichen Äußeren verknüpft. "Dazu gehört straffe Haut, ein braun gebrannter Körper und eben Muskeln", so der Sportpädagoge. "Genau dieses Bild des muskulösen jugendlichen Mannes nutzt die Werbung seit Jahren und es wird auch über Filme und andere Medien transportiert."

Laut dem Psychologen Manuel Waldorf von der Universität Osnabrück existiert das Ideal des muskulösen Mannes sogar noch viel länger. Dies sei sicher auch evolutionsbiologisch begründet, da Kraft und eine starke Statur in der Urgeschichte nicht von Nachteil gewesen seien, so Waldorf, der sich bei seiner Forschung mit dem männlichen Körperbild beschäftigt.

Arnold Schwarzenegger als Conan, der Barbar

"Dieses Idealbild war aber im Lauf der Geschichte immer mal mehr oder weniger angesagt", erklärt Waldorf. "Seit den 1980er Jahren hat es sich aber immer mehr durchgesetzt." Verantwortlich dafür sei unter anderem das Männerbild, das ab dieser Zeit immer stärker durch die Medien vermittelt wurde. Schauspieler wie Arnold Schwarzenegger, Sylvester Stallone oder Jean-Claude van Damme füllten Kinosäle und prägten ein neues Bild von Männlichkeit.

Aber auch Zeichentrickserien wie "Masters of the Universe" mit den dazugehörigen Spielfiguren oder der Wrestling-Boom im Fernsehen sorgten dafür, das Bild des muskelbepackten Mannes populärer zu machen.

"Obwohl dieses Level seitdem eigentlich nicht mehr gesunken ist, erleben wir aktuell ein ähnliches Phänomen", sagt Waldorf. Marvel-Filme wie Thor, Captain America und Avengers vermittelten den Eindruck, dass es der Normalfall sei, einen Körper wie ein Superheld zu haben. "Dazu kommt, dass die sozialen Medien ein Katalysator für diese Entwicklungen sind", sagt der Psychologe. "Wenn man sich einmal für dieses Thema interessiert, bietet einem der Algorithmus von Instagram, TikTok und Co. immer mehr Inhalte dieser Art an."

Das Phänomen kennt auch Eduard Kleine. "Social Media motiviert mich am meisten, am Training dran zu bleiben", sagt der 16-Jährige. Dort sehe man die "krassesten Kerle". "Ich bin leider auch zu viel drauf." Das ziehe ihn auch manchmal runter, sagt Eduard. "Weil ich dann denke, die anderen sind besser als ich und dann ist man auch ein bisschen traurig."

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Wie befeuert Social Media die Fitnesswelle?

Der Effekt von Bildern muskulöser Idealkörper auf das Körperbild von jungen Menschen gehört auch zum Forschungsbereich von Manuel Waldorf. "Es gibt Studien, die zeigen, dass die Körperunzufriedenheit zumindest kurzfristig steigt, wenn sich Sportler und Sportlerinnen Bilder von anderen gutaussehenden trainierten Menschen anschauen", erklärt der Psychologe. Der Effekt sei vor allem bei Frauen festzustellen. Männer seien dagegen etwas resistenter.

Gelegenheit dafür gibt es auf Plattformen wie Instagram, Youtube und Co. mittlerweile genug. Rund um den Körperkult ist eine weit verzweigte Industrie entstanden. Schauspieler wie Chris Hemsworth, der in den Marvel-Filmen den muskelbepackten Gott Thor darstellt, haben mittlerweile eigene Fitness-Apps, mit denen die Nutzer genauso trainieren können wie ihr Vorbild. Dadurch ist Hemsworth’ Fitnesstrainer mittlerweile selbst eine Berühmtheit auf Social Media: Luke Zocchi folgen auf Instagram mittlerweile 313.000 Menschen.

Dazu kommen männliche Fitness- und Bodybuilding-Influencer wie Markus Rühl, der Österreicher Sascha Huber oder der britische Schwimmer und Bodybuilder Ross Edgley. Für jeden Grad an Muskularität gibt es den passenden Account. Eduard folgt vor allem klassischen Bodybuilding-Accounts wie dem von Patrick Teutsch.

Wann wird Bodybuilding zum Problem?

Problematisch wird Krafttraining, sobald gerade Heranwachsende und Jugendliche es übertreiben. Laut Trainingswissenschaftler Donath solle beim Training nicht das Fünf- bis Zehnfache der Gesundheitssport-Empfehlungen überschritten werden. "Das schafft man aber nicht ohne weiteres." Gefährlicher sei es, wenn die Gewichte beim Training zu schnell erhöht würden und/oder die Bewegungen nicht sauber ausgeführt würden. "Wichtig ist das Umfeld der Kinder, das professionelle Trainings- und Betreuungssetting", sagt der Trainingswissenschaftler.

Es sollte nur nicht passieren, dass der rein ästhetische Fokus sich irgendwann verselbstständigt und die Jugendlichen abgesehen von Training keine anderen Interessen mehr haben."

Manuel Waldorf, Psychologe

Auf psychologischer und sozialer Ebene werde es bedenklich, wenn die Jugendlichen durch den Konsum von Social Media aber auch ihr Umfeld eine Diskrepanz zwischen ihrer Eigenwahrnehmung und ihrem Körper aufbauten, sagt der Psychologe Waldorf. "Das ist vergleichbar mit jungen Frauen, die an Anorexie, also Magersucht leiden", sagt er. Der Fachbegriff dafür, wenn vor allem Männer ein gestörtes Selbstbild haben und sich selbst nicht für muskulös genug halten, nennt sich Muskeldysmorphie. "Diese Fälle gibt es aber nur sehr, sehr selten", sagt Waldorf.

Eine andere Gefahr ist aber gerade in Bodybuilder-Kreisen weit verbreitet. Um ihr Idealbild vom muskulösen Körper überhaupt oder einfach schneller zu erreichen, greifen mittlerweile auch Freizeitsportler zu unerlaubten Mitteln wie Testosteron und anabolen Steroiden. Mehrere Studien belegen diesen Trend, aber auch die Zahlen der europäischen Polizeibehörde und des Zolls. Erst im August meldete der Zoll, Potenz- und Dopingmittel mit einem Schwarzmarktwert von 11,5 Millionen Euro beschlagnahmt zu haben.

Die Zahl der Ampullen mit Wachstumsmitteln, die das Zollfahndungsamt Essen sicherstellte, versechsfachte sich vom Jahr 2021 auf das Jahr 2022.

"Die Verfügbarkeit und auch die Informationen über solche Mittel sind gestiegen", sagt der Psychologe Waldorf. "Mittlerweile kann sich jeder im Internet darüber informieren, wie man Steroide anwendet, und kann diese häufig auch noch direkt im Netz bestellen."

Dieser leichte Zugang zu den verbotenen Substanzen kann dann weitreichende Folgen haben. "Das Paradoxe ist dabei, dass dann junge Menschen, die ihren Körper eigentlich pflegen und hegen, um gut auszusehen, ihm dann aus ästhetischen Gründen schaden", sagt der Sportwissenschaftler Axel Horn. Der Konsum von Anabolika kann zusätzlich zu Nebenwirkungen wie Impotenz auch das Herz-Kreislauf-System schädigen, zu Leberschäden führen und gerade bei Jugendlichen das Längenwachstum beeinflussen.

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Welche Vorteile hat Krafttraining - auch für Jugendliche?

Dass Jugendliche und junge Erwachsene sich fit halten und Kraft trainieren, ist durchaus positiv. "Jedes Training ist erst einmal gut", sagt der Trainingswissenschaftler Lars Donath von der Deutschen Sporthochschule Köln. "Die Frage ist, wie die Dosis ist."

Studien belegen, dass durch den gezielten Aufbau von Muskulatur das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlaganfall und Diabetes sinken. Abgesehen davon verbrennt eine starke Muskulatur mehr Kalorien und kann damit wirksam gegen die Volkskrankheit Übergewicht vorbeugen. Und das gilt auch schon für Kinder und Jugendliche.

"Früher gab es ja eine Reihe von Mythen, die sich rund um das Krafttraining im Kindes- und Jugendalter gerankt haben", sagt Donath. Hypothesen, wie die Annahme, Krafttraining sei bei jungen Menschen noch nicht wirksam oder bremse das Wachstum aus, hätten sich mittlerweile alle zerschlagen.

Wir wissen mittlerweile, dass es eine Reihe von positiven Wirkungen im psycho-sozialen, im körperlichen und hormonellen Bereich bringt, Kraft zu trainieren."

Lars Donath, Trainingswissenschafter

Wichtig sei dabei aber, dass die jungen Menschen langsam und gut dosiert mit dem Krafttraining starteten. "Am Anfang mit dem eigenen Körpergewicht und dann zunehmend Geräte, Hanteln und ganz am Schluss erst die klassischen Gewichtheber-Übungen, wo es um mehrere Gelenke geht, um Beschleunigungsanteile und auch um viel Haltung und sauberes Arbeiten", erklärt Donath.

"Das Streben nach Muskularität hat zunächst einmal nichts Pathologisches", sagt auch der Psychologe Waldorf. Im Gegenteil. In gewissem Maße habe das Training neben den körperlichen auch andere Vorteile. Das zeigen auch Daten aus der Befragung der Pronova BKK. 59 Prozent der 18- bis 29-Jährigen gaben an, dass sie den Sport auch nutzten, um Stress abzubauen und den Kopf frei zu bekommen. 56 Prozent erklärten, danach in "besserer psychischer Stimmung" und "zufriedener" zu sein.

Das kann Eduard Kleine so unterschreiben. Ihn habe der Sport nicht nur körperlich stärker gemacht, sondern auch mental. "Ich verstehe Leute nicht, die das nicht machen. Der Sport bringt einem so viele Vorteile", sagt der 16-Jährige. "Ich empfehle es jedem. Das Training hat mir so viel gebracht, auch mehr als viele andere Dinge in meinem Leben."

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