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WDR

Autorin: Lisa Kreuzmann
Illustrationen: Hanna Manger
Redaktion: Thierry Backes, Till Hafermann
Videos: Lisa Kreuzmann
Schnitt: Hanna Manger, Christine Schuller
Mitarbeit: Anne Spruijtenburg, Anna Zdrahal

Medien
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Passt nicht!

Warum viele Frauen keine Klamotten finden - und was die Modeindustrie damit zu tun hat















Von Lisa Kreuzmann (Text) und Hanna Manger (Illustrationen)

Zu eng, zu weit, in der passenden Größe ausverkauft. Einer aktuellen Umfrage des Marktforschungsinstituts Mintel zufolge haben 42 Prozent der Frauen in Deutschland Schwierigkeiten, Kleidung zu finden, die ihnen passt.

Das sei „eine sehr, sehr große Menge“ von Menschen, die die Modeindustrie gerade nicht gut genug bediene, sagt die Branchenanalystin Silke Lambers von Mintel. Darauf deuten nicht zuletzt reichweitenstarke Internetkampagnen hin. Unter dem Hashtag #makemysize fordern Aktivistinnen weltweit die Industrie auf, mehr Mode jenseits der Konfektionsgrößen 36 oder 38 anzubieten.

Auf der einen Seite steht ein Vorwurf: Die Modeindustrie ignoriert größere Größen und Körpervielfalt seit Jahrzehnten systematisch. Auf der anderen Seite steht die Industrie, die argumentiert: Wir produzieren das, was am meisten gekauft wird.

Wer hat Recht? Damit beschäftigen wir uns in diesem Artikel - weil die Probleme hier noch präsenter sind, nur am Beispiel von Kleidung für Frauen. Das soll natürlich nicht heißen, dass Männer keine Probleme beim Kleiderkauf haben.

Wir klären im Folgenden:

Die deutsche Frau trägt im Schnitt Größe 44.

Die Körpermaße von Frauen in Deutschland sind relativ gut dokumentiert: Seit den späten 50er-Jahren vermisst das schwäbische Forschungsunternehmen Hohenstein regelmäßig Menschen. Wir wissen demnach, wie rund ihre Hüften, wie groß ihre Brustumfänge und wie schmal ihre Taillen sind – rein statistisch natürlich.

Das ist, nach Daten von 2009, die deutsche Durchschnittsfrau.

Sie ist 165,8 Zentimeter groß...

… und hat einen Brustumfang von 98,7 cm. Ihre Taille misst 84,9 cm und ihre Hüfte 102,9 cm.

Rein rechnerisch ergibt das eine Konfektionsgröße von 43,35. Die passende Größe ist also die 44.



Die deutsche Durchschnittsfrau ist, objektiv betrachtet, recht weit entfernt von klassischen Modelmaßen. Hinzu kommt, dass die letzte Reihenmessung mittlerweile 14 Jahre zurückliegt, und dass es seit den 80er-Jahren einen Trend gibt: Die Proportionen von Frauen nehmen zu, sie werden größer und breiter.

„Unsere Standardgrößen von Größe 36 bis 44, erreichen heute mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mehr alle Kunden“, sagt die Branchenanalystin Silke Lambers.

Und jetzt das Paradoxe: Die Sortimente mancher Hersteller wie das des Berliner Label „Kauf dich glücklich“ hören sehr oft bei einer Kleidergröße 42 auf, also unterhalb des deutschen Durchschnitts. Auf dem internationalen Markt ist die Grenze häufig noch niedriger. Das französische Label „Sessùn“ endet bei den meisten Kleidungsstücken bereits bei einer Größe 38.

Die deutsche Durchschnittsfrau kann mit ihrer durchschnittlichen Figur bei einigen Labels also gar nicht erst einkaufen, selbst wenn ihr die Mode gefällt. Für die Körper vieler Frauen wird Mode nämlich gar nicht erst produziert.

Die Standard-Konfektionsgrößen passen nicht zu unseren Körpern.

Selbst wenn die eigene Größe verfügbar ist – das heißt noch lange nicht, dass sie auch passt. Laut Hohenstein arbeiten zwar fast alle deutschen Hersteller mit den Reihenmessungen. Verpflichtend sind die Maße aber nicht. Frei zugänglich übrigens auch nicht. Und sie lassen Spielraum, gewollt wie ungewollt.

Hersteller und Händler passen ihre Größentabellen immer wieder an, je nach Zielgruppe, Schnitt und Saison. Die Branche arbeitet auch mit sogenannten Schmeichelgrößen. Hersteller versuchen, ihre Größen mit den Maßen ihrer Kundinnen mitwachsen zu lassen. Eine Frau, die mit Mitte 20 Größe 38 getragen hat, soll das auch mit Mitte 40 noch können – obwohl sich ihre Körpermaße verändert haben.

Die Schwierigkeiten fangen schon bei den Größenbezeichnungen an. Manche Hersteller verwenden deutsche, numerische Konfektionsgrößen auf Basis der Reihenmessungen von Hohenstein. Andere Hersteller arbeiten mit sogenannten EU-Größen, die Einheitlichkeit versprechen. Einen Standard gebe es aber nicht, sagen die Expertinnen von Hohenstein. Das gilt auch für die sogenannten Buchstaben-Größen, die gerne als „international“ bezeichnet werden.

Wie sehr das die Suche nach der passenden Größe erschwert, zeigt schon eine einfache Stichprobe. Gleicht man die Größentabellen von zwölf gängigen Herstellern und Händlern mit den Körpermaßen der Durchschnittsfrau in Deutschland ab, passt die 44 oft nicht. Die Größen für ein Basic-Damen-T-Shirt schwanken zwischen einer knappen 40 und einer 46, teils in EU-Größen.

Beim Label „American Vintage“ ist die größte verfügbare Größe eine 40. Sie entspricht aber eher einer deutschen 42 oder 44 – und würde der Durchschnittsfrau vielleicht gerade so passen. Das Shirt wäre an Taille und Brust aber zu eng.

Laut Größentabelle von „Zalando“ gibt es Größe 44 zwar, sie ist den dort angegebenen Maßen nach aber an der Taille zu eng. In Größe 46 sind die Shirts zwar an der Hüfte deutlich zu weit, würden an Brust und Taille aber immerhin passen.

Noch verwirrender wird es bei den Buchstaben-Größen. Während ein passendes Shirt bei „Zalando“ als 3XL geführt wird, gibt es bei „Mango“ ein vergleichbares Shirt in Größe XL. In unserer Stichprobe reichen die Größenbezeichnungen für passende Shirts von L bis 3XL.

Es gibt in unserer Stichprobe aber auch ein Shirt, das der Durchschnittsfrau in der richtigen Größe tatsächlich passt. Die 44 von „H&M“ entspricht ziemlich genau ihren Maßen.



Laut Hohenstein decken die Standard-Konfektionsgrößen nur rund 30 Prozent der Bevölkerung ab. Das heißt: Sieben von zehn Menschen passen nicht optimal in eine der Standardgrößen von 32 bis 58, weil ihre Körpermaße vom statistischen Mittel abweichen. Weil sie bei gleichem Brustumfang größer, kleiner, dicker oder dünner sind. Oder einfach nur breitere Hüften haben.

„Wir sind als Menschen nicht genormt“, sagt die Analystin Silke Lambers. „Wir sind alle sehr individuell und deshalb passt uns natürlich die Mode nicht immer ganz genau.“

Im Zeitalter der Massenproduktion ist das ein Problem. Das gilt insbesondere, wenn Menschen wie Vreni Jäckle, Gründerin des Magazins „Fashion Changers“, das sich mit Nachhaltigkeit und Fairness in der Modebranche beschäftigt, fordert: „Kleidung muss an Menschen angepasst werden – und nicht Menschen an Kleidung.“

Das ist nicht nur eine Frage der Wirtschaftlichkeit, sondern auch der Nachhaltigkeit. Die Modeindustrie steht seit einigen Jahren in der Kritik, einer der größten Umwelt- und Klimasünder zu sein und ist durch Medienberichte in Verruf geraten, neuwertige Ware aus wirtschaftlichen Gründen zu verbrennen.

Die meistverkaufte Größe in Deutschland ist zu klein für die Durchschnittsfrau.

Wer wissen möchte, was Menschen in Deutschland kaufen, landet früher oder später in Nürnberg bei der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK). Das Unternehmen befragt seit etwa den 50er-Jahren Tausende Haushalte dazu, welche Kleidung sie kaufen.

Und die Daten, die die GfK für den WDR zusammengestellt hat, bestätigen erst einmal den Verdacht, dass Frauen mit großen Größen weniger Kleidung kaufen. Demnach ist die meistverkaufte Größe seit Jahren gleich geblieben: nämlich die Größe 40. Die Größen 38, 40 und 42 machen laut GfK etwa die Hälfte aller gekauften Klamotten für Frauen aus.

Was laut Gfk am meisten gekauft wird, liegt unterhalb dessen, was der Durchschnittsfrau statistisch passt. Dass es im Zeitverlauf immer mehr Nachfrage nach Größen jenseits der 42 gibt, können die Konsumforscher aus Nürnberg nicht bestätigen. Ist der Bedarf also gar nicht so groß, wie lautstarke Kampagnen glauben lassen?

Das wollen wir auch von den Händlern und Herstellern selbst wissen. Wir haben bei knapp 30 gängigen Händlern und Herstellern nachgefragt, welche Größen sie am meisten verkaufen, auf welcher Grundlage sie ihr Größensortiment planen und ob sie die Nachfrage nach Ware berücksichtigen, die in einer bestimmten Größe gar nicht erst angeboten wurde oder bereits ausverkauft ist.

Nur sieben Unternehmen haben geantwortet. Vier gaben zumindest einen rudimentären Einblick in die am meisten verkauften Konfektionsgrößen. Demnach verkauft der Online-Versandhändler Zalando die meiste Kleidung in den Größen 36, 38 und 40, bei Hugo Boss sind es die Größen 34, 36 und 38. Bei Tchibo liegen die Größen 40 und 42 vorne. Und bei Adler Moden die Größen 40, 42 und 44.

Die Zahlen liefern ein weiteres Indiz dafür, dass die Modeindustrie den Großteil ihrer Ware in Größen verkauft, die der deutschen Durchschnittsfrau wahrscheinlich zu klein sind oder gerade noch passen. Und das trotz ausdrücklicher Bemühungen, das Größenspektrum zu erweitern.

So teilt Hugo Boss mit, „in seinen Kollektionen generell viel Wert auf Diversität und Inklusion“ zu legen. Dazu würden Proportionen und Passformen „über alle Größen hinweg geprüft“. Zalando rühmt sich damit, als einziges E-Commerce-Unternehmen im europäischen Modemarkt ein eigenes Team zu haben, das sich ausschließlich mit Größen und Passformen beschäftigt.

Es gibt einen Markt jenseits von Größe 42. Und er wächst.

Guckt man nur auf die Absatzzahlen, scheint die Lage klar: Die Unternehmen bieten das an, was am meisten verkauft wird. Doch es gibt eben auch Stimmen wie die von Vreni Jäckle von Fashion Changers, die sagen: „Es gibt in der Modebranche völlig zu Unrecht manchmal die Annahme, dass Menschen mit einer größeren Größe auch sich nicht besonders modisch kleiden wollen. Oder das auch nicht nachfragen.“

Das bringt uns zur Kernfrage: Wie groß ist der Markt für größere Größen überhaupt?

Das Größenspektrum sieht erst einmal großzügig aus: Es reicht bei den meisten Herstellern und Händlern von 32 bis jenseits von 52. Die Verfügbarkeit der großen Größen liegt aber oft darunter – erst recht im Ladengeschäft. Jäckle sagt: „Für Kundinnen mit größeren Konfektionsgrößen ist es ja inzwischen schon ganz normal, überhaupt nicht stationär im Einzelhandel einzukaufen, sondern auszuweichen.“

Das Forschungsunternehmen Hohenstein erhebt Daten zu Marktpotenzialen von Konfektionsgrößen. Die jüngsten Zahlen sind der Modeindustrie vorbehalten. Schon die Zahlen von 1994 zeigen aber: Die Mehrzahl der Frauen in Deutschland müsste Konfektionsgröße 42 oder größer tragen.





Die Messungen zeigen darüber hinaus einen Trend, der sich laut Hohenstein in den neueren Zahlen fortsetzt: Immer mehr Frauen brauchen größere Größen. 1982 lag die durchschnittliche Konfektionsgröße noch bei 41,4, 1994 schon bei 42,2 – und 2009, wie wir bereits gesehen haben, bei 43,3.





Was Bloggerinnen und Modekennerinnen anprangern, lässt sich also mit Zahlen belegen: Es gibt ein Marktpotenzial für Größen jenseits einer 42. In Zukunft dürfte der Anteil weiter wachsen. Für Vreni Jäckle von Fashion Changers ist das Argument der mangelnden Nachfrage damit hinfällig.

Die Frage, ob die Modeindustrie Marktpotenzial systematisch ignoriert, drängt sich auf. Branchenanalystin Silke Lambers sagt, wirtschaftlich sinnvoll sei das nicht: „Da lassen Firmen Geld auf der Straße liegen, die diese Nachfrage nicht bedienen können – oder wollen.“

Größere Kleidung zu produzieren ist teuer. Und viele Firmen scheuen Veränderung – „aus Angst, Kunden zu verlieren“.

Die Industrie argumentiert oft mit höheren Produktionskosten. Beobachterinnen machen aber auch andere Gründe dafür aus, dass das Angebot in größeren Konfektionsgrößen nicht zur – theoretischen –Nachfrage passt.

Höhere Produktionskosten: Um ein Kleidungsstück in verschiedenen Konfektionsgrößen anbieten zu können, muss der Schnitt angepasst werden. In der Branche spricht man von „Gradierung“. Dies werde umso schwieriger, je größer die Größen werden, sagt die Analystin Silke Lambers. Hinzu kommt: Ein Stoff, der in kleinen Größen gut aussieht, etwa ein Blümchenmuster, wirke manchmal sehr „verloren“ bei einem Kleid in einer Größe 50. „Da muss man auch über Drucke neu nachdenken, neue Stoffe einkaufen.“

Die Gradierung erhöhe außerdem den Stoffverbauch, sagt Lambers – „und zwar erheblich“. Für die Hersteller ist Mode in größeren Größen deshalb erst einmal teurer. Die Industrie müsste die größeren Kleider teurer verkaufen, „was natürlich keine Option ist“, sagt Lambers, „Stichwort: Fatshaming: Man kann Kundinnen in großen Größen nicht mehr Geld abnehmen als in kleineren Größen. Das heißt: Ich muss auch meine Kalkulation neu machen. Vielleicht wird dann aber meine Mode grundsätzlich teurer.“

Plus-Size-Beraterin Michaela Leitz kann das Argument zwar verstehen. Aus ihren Erfahrungen mit ihren Kundinnen ist sie dennoch überzeugt, dass sich das Investment auch für die Firmen auszahlt: „Das ist auf gar keinen Fall eine Nische.“

Veraltete Schönheitsideale: Die Studie des Marktforschers Mintel zeigt: 72 Prozent der befragten Frauen finden, dass die Modeindustrie veraltete Schönheitsideale vermittele. Diese hielten sich unter Modemachern hartnäckig, sagt Lambers. Und das sei einer der Hauptgründe dafür, warum sich das Angebot so langsam an die Bedürfnisse anpasse: Geschmack.

„Ich denke, es ist wirklich schwierig, ein System, das sich über viele, viele Jahre aufgebaut hat, plötzlich aufzulösen“, sagt Lambers. Viele Firmen scheuten vor einer Veränderung im Sortiment auch zurück – „aus Angst, Kunden zu verlieren“.

„Traditionelle Schönheitsideale durchdringen den gesamten Herstellungsprozess“, sagt auch Michaela Leitz. „Es fängt schon damit an, dass viele Designerinnen und Designer an den Modeschulen gar nicht lernen, an größeren Größen zu arbeiten“, kritisiert sie. „Viele lernen an einer Kleiderpuppe mit Größe 34 zu schneidern und haben dann gar nicht die Fähigkeiten, größere Größen herzustellen.“

Vorurteile und Stigmatisierung: Aus Gesprächen mit Modefirmen, Designern und Einkäufern weiß Plus-Size-Beraterin Michaela Leitz, dass es in der Branche zahlreiche Vorurteile gibt, die bis hin zu Dickenfeindlichkeit reichen. Ein Beispiel: Menschen, die größere Größen tragen, seien faul und hätten darum kein Geld, um einkaufen zu gehen. Sie sagt: „Mir wurde mal ins Gesicht gesagt: ‚Ich möchte keine fetten Menschen bei mir im Laden haben. Deswegen gibt es bei mir nur bis zur Größe 40!‘“ Solche Erfahrungen könnten dann dazu führen, dass Frauen mit größeren Körpermaßen resignieren, weniger Kleidung kaufen wollen oder sogar sagen, sie gingen „halt auch gar nicht mehr raus“.

Hier schildert Leitz ihre Erfahrungen:

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Für den Wandel müssten sich Modefirmen bewusst entscheiden, fordern unzählige Bloggerinnen und Unternehmerinnen. Vor allem aber gelte es, an Machtstrukturen und Stigmatisierungen zu arbeiten, sagt Michaela Leitz.

Diese fünf Ideen könnten die Modeindustrie besser machen.

Die gute Nachricht: Es gibt Bewegung in der Branche. Das zeigen nicht nur Diversitätskampagnen von namhaften Herstellern. Das zeigen auch Anbieter wie der chinesische Fast-Fashion-Riese Shein, bei dem es aufregende Schnitte auch in Kleidergröße 52 zu kaufen gibt – „Sexy in großen Größen“, heißt es im Online-Shop.

(Der Händler steht wegen mangelnder Transparenz, unmenschlicher Arbeitsbedingungen oder der Produktion von kurzlebiger Kleidung, die laut Greenpeace teils schädliche Substanzen enthält, in der Kritik.)

Die Herstellung bedarfsgerechter Kleidung, das sei die Zukunft auch für europäische Unternehmen, sagt Vreni Jäckle von Fashion Changers. „Ich sehe in bedarfsgerechterem Design und in bedarfsgerechter Produktion eine super Chance für Nachhaltigkeit. Weil wir sowieso davon wegkommen müssen, dass wir so viele Kleidungsstücke produzieren, die am Ende niemand tragen will.“

Es gibt viele Ideen, wie die Modeindustrie sich verändern sollte – allerdings auch Uneinigkeit darüber, was wirklich helfen würde. Hier sind fünf zentrale Vorschläge und die Einschätzungen dazu:

Passgenau produzieren und verkaufen: Kleine, nachhaltige Labels setzen heute schon auf eine sogenannte Pre-Order-Funktion. Sie produzieren nur, was Kundinnen bestellt und schon bezahlt haben. Größere Hersteller und Händler setzen auf die Vorteile des Online-Handels und Künstliche Intelligenz.

Einige Anbieter arbeiten nicht mehr mit Größentabellen, sondern mit einer virtuellen Passform-Bestimmung. Das deutsche Start-up Fit Analytics etwa, das 2021 vom amerikanischen Tech-Unternehmen Snap Inc. gekauft wurde, hat die App Fit Finder entwickelt, die passende Kleidung für ihre Userinnen und User finden soll. Die App nutzt dafür einen Algorithmus und die Erfahrungen von Menschen mit ähnlicher Körperform.

Zalando testet derweil eine virtuelle Umkleidekabine: Nutzerinnen und Nutzer können sich eine 3D-Figur mit ihrer Größe, ihrem Gewicht und Geschlecht erstellen und Kleidung virtuell anprobieren. Mittels einer Farbskala wird dann angezeigt, an welchen Körperteilen die Kleidung gut passt und wo sie zu eng sitzt.

Für die Konzerne wird eine verbesserte Passform sowie ein inklusives Angebot nicht nur zur Imagefrage: Bei Zalando werden laut Unternehmensangaben ein Drittel aller Waren zurückgeschickt, weil sie nicht passen.

Kreativeres Design: Vreni Jäckle möchte Labels ermutigen, kreativer zu werden, was ihre Designs angeht – zum Beispiel mit verstellbaren Knöpfen für größere Größen. „Ich glaube, da ist noch ganz viel zu machen und ich freue mich auch schon sehr auf alle größeninklusiven Labels, die noch kommen werden.“ Erste Labels dieser Art gibt es längst.

Das Größensystem anpassen – oder ein neues etablieren: „Konsequenterweise bräuchten wir in der Modebranche eigentlich eine Verschiebung der Größen“, sagt Vreni Jäckle. Wenn 42 oder 44 den Durchschnitt der Körperform abbilden, „ist das die M. Und dann wird neu gedacht.“ Eine Forderung, die zumindest im Netz immer mehr Zuspruch erhält. Dort trendet der Begriff Midsize, also eine Größe, die zwischen kleinen und großen Größen liegt.

Noch einen Schritt weiter geht die Idee, dass Hersteller ein komplett neues Größensystem einführen, das vielleicht „gar nicht mehr nach den klassischen Konfektionsgrößen“ gehe, sondern einfach nur die Maße kenne, sagt Jäckle. Bei Hohenstein warnt man allerdings davor, mit neuen Bezeichnungen noch mehr Chaos ins Größensystem zu bringen. Stattdessen wäre vielen geholfen, wenn Modehersteller ihr Spektrum möglichst flächendeckend um Kurzgrößen und Langgrößen erweitern und Kleider für Frauen mit schmaler oder breiter Hüfte einführen würden.

Erneuerung der Datengrundlage: „Man könnte mal neue Vermessungen machen“, sagt Vreni Jäckle, „und damit dem Argument begegnen, dass es einen Markt [für größere Größen] einfach nicht gibt“. Für neue Reihenmessungen sieht man bei Hohenstein aber keinen Bedarf. „Erstens sind die Messungen sehr teuer, das lässt sich nicht mal eben umsetzen“, sagt eine Expertin des Unternehmens. „Zweitens sind die Daten noch immer aktuell. Die Frage ist, was die Modefirmen daraus machen.“

Mehr große Größen im Laden anbieten: Bei dieser Idee herrscht Einigkeit unter unseren Gesprächspartnerinnen. Plus-Size-Beraterin Michaela Leitz: „Ich höre es jeden Tag, dass Frauen mir sagen: ‚Ich möchte in den Laden gehen.‘ Es ist für uns so viel besser, dass wir Sachen vor Ort anprobieren können und sagen können: ‚Okay, ich nehme diese drei Teile mit und die anderen zwei haben nicht gepasst.‘“ Auch bei Hohenstein ist man überzeugt, dass Anprobieren noch immer das beste Mittel ist, um Frust beim Shoppen entgegenzuwirken.



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