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Stimmen der Verstummten

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Stimmen der Verstummten

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Ja oder Nein? Evet oder Hayır?

Das Referendum ist der vorläufige Höhepunkt eines Machtkampfs, befeuert durch den Putschversuch des 15. Juli 2016.

WDR-Reporter haben in den vergangenen Monaten Menschen getroffen, die eines verbindet: In der Türkei sind viele Stimmen wie ihre verstummt.

Eine Multimedia-Geschichte.
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Der NATO-Offizier erlebte den Putsch aus dem Ausland. Aber niemals hätte er sich träumen lassen, dass er nach dem Putsch entlassen werden würde. Er hat in Deutschland Asyl beantragt. Erstmals spricht er darüber vor der Kamera.

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Er war dafür, dass der Putsch lückenlos aufgeklärt werden sollte. Dass man die Schuldigen zur Rechenschaft ziehen müsse. Aber dann traf es ihn und Tausende seiner Kollegen.

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Der türkische Offizier erinnert sich vor der Kamera an die Putschnacht: Der 15. Juli war für ihn ein ganz normaler Freitagabend. Mit Militärs aus anderen Ländern habe er beim Essen zusammengesessen, als plötzlich die Nachrichten aus seiner Heimat eintrafen: Chaos, Schüsse, tieffliegende Jets über Großstädten.

Er telefonierte, aber niemand konnte oder wollte ihm etwas sagen. Das Bild war unübersichtlich. Ein Putsch? Ein Militärputsch? Warum?

Nichts habe er davon gewusst, erzählt der Offizier, als wir ihn Monate später treffen. Nie hat er sich zuvor von einer Fernsehkamera filmen lassen. Keine Verbindungen zur beschuldigten Gülen-Bewegung, stets vorbildlich im Beruf. Er war auf dem Weg in die Führungsspitze der türkischen Streitkräfte, diente auf einem prestigeträchtigen NATO-Posten.

Wochen nach dem Putsch war all das vorbei. Rauswurf. Grundlos und ohne jeden Verdacht, wie er sagt. Jetzt lebt er als Asylbewerber in Deutschland. Glaubt, dass ihm seine westliche Bildung, sein Studium in den USA, seine Kontakte zu Kollegen aus den anderen NATO-Mitgliedsstaaten zum Verhängnis wurden.

Wie sich das für ihn anfühle? Als ob nach dem Putsch eine Säuberung innerhalb der Armee eingesetzt habe, als ob die Regierung sich der allzu westlich Denkenden habe entledigen wollen, als ob er in der "neuen Türkei" keinen Platz habe.

Menschen wie den Offizier haben WDR-Reporter in den Monaten seit dem Putsch viele getroffen. Nicht alle wollten sich filmen lassen, die meisten nur, wenn ihre Identität geheim bleibt, wenn das Gesicht verdeckt ist. Sie haben Angst, dass ihren Familien in der Türkei etwas zustoßen könnte.

Sie alle spüren die Bedrohung, die ihren Ursprung in der Nacht vom 15. auf den 16. Juli des letzten Julis hat.

Einem Sommerabend in der Türkei.

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Der Putsch

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Es sind chaotische Bilder. Und auf das Chaos der Putschnacht folgt eine harte Reaktion der Regierung. Sie richtet sich nicht nur gegen Soldaten, wie jene auf der Bosporus-Brücke: Noch in der Putschnacht geht die Regierung Erdogans gegen ihre Gegner vor.

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Hunderte Richter werden entlassen, kaum einer fühlt sich noch sicher.

Der Fokus liegt vor allem in den ersten Wochen nach dem Putsch auf Menschen mit Verbindungen zum Netzwerk des im US-amerikanischen Exil lebenden Geistlichen Fethullah Gülen. Der Prediger in Pennsylvania ist Kopf der Hizmet-Bewegung.

Auf einer Tagung der türkischen Handelskammern in Ankara sagt der türkische Präsident Erdogan nach dem Putsch, die Regierung sei entschlossen, "alle Geschäftsverbindungen dieser Organisation abzuschneiden, die Blut an ihren Händen hat."

Die von Gülen betriebenen Unternehmen, Schulen und Wohltätigkeitsorganisationen seien "Nester des Terrorismus", ein Krebsgeschwür, das sich überall ausgebreitet habe, so Erdogan.

Zehntausende der Gülen-Nähe beschuldigte Menschen geraten ins Visier der Justiz. Auch deutsche Staatsbürger werden in den Nachwirren des Putsches festgenommen.

Bis heute ist die Beteiligung der Gülen-Bewegung am Putsch nicht aufgeklärt. Der deutsche Geheimdienst BND erklärt öffentlich, dass es keine Beweise dafür gebe. Die USA haben den Geistlichen trotz türkischen Drucks nicht ausgeliefert.

In Deutschland lebt Mehmet Ali Şengül, er ist der engste Vertraute von Fethullah Gülen. Die beiden kennen sich schon seit über 50 Jahren.

Was sagt er zum Putsch?

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Der engste Vertraute von Fethullah Gülen lebt im deutschen Exil. Er und andere Anhänger des Predigers werden in der Türkei als Terroristen verfolgt - auf Şengül ist ein Kopfgeld in Millionenhöhe ausgesetzt.

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Die Listen

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Er arbeitete in hoher Stellung bei einem türkischen Ministerium. Nach dem Putsch wurde er zum Terroristen erklärt - weil er offenbar als gülennah galt. Schon zuvor sei er schikaniert worden. Er floh nach Deutschland - über die Mittelmeerroute.

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Vorher/Nacher Ansicht

Wie viele Menschen wurden nach dem Putschversuch entlassen?

Die schraffierte Türkeikarte zeigt auf der linken Seite die Zahlen.

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Sie alle fanden sich auf Listen der Regierung wieder, jeder Name eine Entlassung, ein Berufsverbot, eine Verhaftung: Juristen, Staatsanwälte, Soldaten. Beamte, die über das Mittelmeer nach Europa fliehen. Und Menschen, die in Europa waren und sich nicht mehr zurücktrauen.

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An einem Dienstagnachmittag sitzen sieben Türken und Türkinnen, die in Belgien Asyl beantragt haben, an einem Tisch. Der Putsch hat sie zusammengeführt. Alle sind aus der Armee entlassen worden, weil die türkischen Behörden gegen sie ermitteln. Oder sie sind durch ihre Männer ins Visier geraten.

Keiner von ihnen kennt konkrete Vorwürfe. Sie vermuten, dass sie zu westlich seien. Ihr Ideal der Trennung von Staat und Religion widerspreche offenbar der Weltanschauung der derzeitigen türkischen Regierung.    Die Gruppe trifft sich regelmäßig, nach langem Zögern sagen sie zu, dass die Reporter bei einem Treffen dabei sein dürfen. Ihre Geschichten gleichen sich. Nach und nach fanden sie sich alle auf den Listen wieder. Sie seien suspendiert und per Befehl aufgefordert worden, in die Türkei zurückzukehren. Wieso? Keine Antwort.



Dann hörten sie, dass jene, die den Befehl befolgten, verhaftet wurden. Sie sahen Berichte von Folter im Fernsehen. Sie glaubten nicht, dass sie in der Türkei ihre Unschuld beweisen könnten.
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Ihre Ehemänner arbeiteten bei der NATO in Brüssel. Die Familien haben nach der Entlassung der Männer Asyl in Belgien beantragt.

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Die Bedrohung

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Die Journalistin war die Moderatorin und das bekannteste Gesicht eines kurdischen Fernsehsenders. Im September 2016 wurde der Kanal verboten.

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In den Medien zeigen sich die Entlassungen und Verhaftungen auf besondere Weise. Prominente Stimmen sind verstummt - hinter Gittern oder aus Angst. Andere sind aus der Türkei geflohen.

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Doch auch in Deutschland wird der Konflikt ausgetragen: Auf den Straßen von Dortmund, Köln oder Berlin demonstrieren Erdogan-Anhänger und seine Gegner.

In den sozialen Medien zeigt sich der Hass im Besonderen. Hier werden jene angefeindet, die versuchen, mit 140 Zeichen gegen die Regierungsmeinung in der Türkei anzuschreiben. So wie Ali Utlu, der in Köln lebt und die Bedrohung Tag für Tag erlebt.

Er begann 2013 mit dem Beginn der Gezi-Proteste das Internet als Plattform für seine politische Meinung zu nutzen. Vielen gefällt das nicht.
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Tausende Menschen folgen dem Kölner auf Twitter - dafür wird er bedroht. In die Türkei traut er sich seit Jahren nicht mehr.

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Das Referendum

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Die Menschen, die uns in den vergangenen Monaten ihre Geschichte erzählt haben, berichten immer wieder von einer Sorge: Was passiert am Tag nach dem Referendum?

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Wie nutzt Erdogan seine neue Macht, wenn die Ja-Kampagne gewinnt? Wie reagiert er, wenn das Nein-Lager die Mehrheit erhält?

Werden die Soldaten zurückkehren, werden die Verhafteten aus den Gefängnissen entlassen? Was ist mit den Journalisten, den Richtern, den Beamten, den Menschen auf den Listen?

Gibt es für sie eine Zukunft in der Türkei?

Was wird aus ihren Stimmen? Werden sie stumm bleiben?
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Weiter wartet der ehemalige NATO-Offizier auf eine Entscheidung über seinen Asylantrag. Er wünscht sich für die Türkei vor allem mehr Mut ihrer Bürger.

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