Wer mehr weiß, leidet weniger
Es kitzelt in der Nase, die Augen tränen und es juckt überall. Allergiker kennen das: Die Pollen fliegen und dabei wird der Heuschnupfen auch noch von Jahr zu Jahr heftiger. Warum das so ist, manche beim Spaziergang niesen müssen und andere nicht und wie man sich schützen kann. Hier gibt es Antworten und Tipps.
von Timo Landenberger (Text) und Hanna Manger (Illustrationen)
Kaum blühen die ersten Bäume, fliegen die ersten Pollen, laufen die ersten Nasen: Mit den milden Temperaturen der vergangenen Tage hat die Allergie-Saison schon vor dem offiziellen Frühlingsanfang begonnen. Heuschnupfen ist die häufigste allergische Erkrankung weltweit. In Deutschland leiden nach Angaben der Stiftung Deutscher Polleninformationsdienst (PID) rund zehn Millionen Erwachsene und etwa 1,5 Millionen Kinder und Jugendliche daran.
Zwar hat sich die Anzahl laut PID über die vergangenen zehn bis 15 Jahre nicht wesentlich verändert. Allerdings klagen Betroffene deutlich früher und über wesentlich stärkere Symptome.
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🌳 Sind Pollen aggressiver geworden - und wenn ja, warum?
🌳 Wer ist allergisch und warum?
Sind Pollen aggressiver geworden - und wenn ja, warum?
In den vergangenen Jahren hat sich die Luftqualität in Deutschland deutlich verschlechtert. Die zunehmende Verpestung der Umgebung durch Abgase aus Verkehr und Industrie wirkt wie ein Heuschnupfen-Verstärker. Klares Indiz: An Tagen mit besonders hoher Luftverschmutzung würden viel mehr Medikamente gegen die Allergie verkauft. Und das bei gleicher Anzahl an Pollen, sagt Karl-Christian Bergmann. Der Facharzt ist Leiter der Allergieambulanz an der Uniklinik Charité Berlin und Vorsitzender des Polleninformationsdienstes.
Die wissenschaftliche Erklärung: Schlechte Luft führt zu Veränderungen in den sogenannten Allergenen der einzelnen Pollen, die wiederum mehr allergische Entzündungen auslösen. Das haben Untersuchungen des Allergie-Centrums Charité Berlin ergeben. Man kann also sagen: Die Pollen werden aggressiver. Ausgerechnet in Städten ist die Belastung für Allergiker deshalb besonders hoch und es kommt noch schlimmer.
Denn durch den Klimawandel und die steigenden Temperaturen passen die Pflanzen ihr Verhalten an. "Die Bäume blühen im Durchschnitt fast vier Wochen früher als noch vor 30 Jahren. Entsprechend setzen sie auch früher ihre Pollen frei", sagt Bergmann. Tatsächlich schwirren schon Anfang Januar die ersten Haselnusspollen durch die Luft.
Im Sommer haben Gräserpollen ihre Hochphase, im Herbst folgen die Kräuter. "Mitte September war dann im Regelfall Schluss. Inzwischen fliegen die Pollen aber teils bis in den November", so der Mediziner. Wer also gegen das Gesamtpaket und damit alle drei Arten allergisch reagiert, leidet im schlimmsten Fall fast das ganze Jahr an Heuschnupfen.
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Ein weiteres Problem: Neue, fremde Pflanzen, die nach Europa eingeschleppt wurden. Vor allem die besonders fiese Ambrosia mit einer Blütezeit von Juni bis Oktober macht Allergikern zu schaffen. Die Pflanze stammt eigentlich aus Nordamerika, breitet sich aber auch in Deutschland immer weiter aus und gehört zu den sogenannten invasiven Arten.
Sie ist nicht nur ein lästiges Unkraut, ihre Pollen können laut Umweltbundesamt auch in kleinsten Mengen schon heftige allergische Reaktionen hervorrufen. Nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes gelten schon zehn Pollen pro Kubikmeter Luft für Allergiker als „hoch belastend“. Zum Vergleich: Bei der Birke sind es 50, bei der Hasel 100.
Wer ist allergisch und warum?
Bei den meisten Betroffenen beginnt die Pollen-Allergie als Jugendliche oder junge Erwachsene. Im höheren Alter nehmen die Beschwerden oft wieder ab oder verschwinden sogar ganz. Allerdings klagen vermehrt auch Menschen jenseits der 40 über plötzlich auftretenden Heuschnupfen. Eine wissenschaftliche Erklärung gibt es für diese Entwicklung nicht. Allergologen vermuten aber auch hier einen Zusammenhang zu Klimawandel und Luftverschmutzung.
Tatsächlich entwickelt ein großer Teil der Menschen im Laufe des Lebens Antikörper gegen Pollen. Bei den meisten bricht jedoch keine Allergie aus. Warum das so ist, manche Menschen also kaum noch Luft bekommen, während andere problemlos durch ein Kornfeld spazieren können, das sei bis heute nicht abschließend geklärt, sagt Experte Bergmann: "Wir kennen aber einige Einflüsse."
Das Risiko, an Heuschnupfen zu erkranken, ist vor allem dann besonders hoch, wenn die beiden Elternteile bereits an Heuschnupfen leiden. Dann liegt die Wahrscheinlichkeit laut PID bei über 60 Prozent - andernfalls bei nur fünf Prozent. Schlechte Luft gehört ebenso zu den möglichen Auslösern wie eine besonders hohe Pollenkonzentration in der Umgebung. Auch Rauchen ist ein begünstigender Faktor.
Was lösen Pollen im Körper von Allergikern aus?
Normalerweise ist unser Immunsystem dazu da, Krankheitserreger zu erkennen und abzuwehren. Bei Allergikern reagiert das Immunsystem aber überempfindlich auf bestimmte, eigentlich harmlose Stoffe. In diesem Fall: Pollen.
Der Körper hält den Blütenstaub also für eine Gefahr und bildet Abwehrstoffe, sogenannte Antikörper. Das führt vor allem in den empfindlichen Schleimhäuten zu Entzündungsreaktionen, wie man sie von einer Erkältung kennt: Die Nase läuft, Augen tränen, man fühlt sich schlapp und muss ständig niesen.
Wie kann ich mich schützen?
Hierbei gelte der Grundsatz: "Wer mehr weiß, leidet weniger", sagt Bergmann. Treten erstmals verdächtige Symptome auf, sollte zunächst herausgefunden werden, ob es sich auch tatsächlich um eine Pollenallergie handelt. Das geht am besten über einen entsprechenden Test beim Arzt.
Danach gilt es zu klären, welche Pollen genau die Reaktion auslösen. Möglich ist das über eine entsprechende App auf dem Smartphone, beispielsweise die "Husteblume" von Techniker Krankenkasse, Polleninformationsdienst und Universität Wien. Dort können Betroffene ihren Standort sowie die Symptome eintragen, die App gleicht das mit dem Pollenflug der Umgebung ab und liefert Tipps für Behandlung und Alltag.
Um die Beschwerden zu lindern, können Allergiker Medikamente einnehmen, etwa Antihistaminika. Die Allergie-Tabletten seien in den vergangenen Jahren deutlich weiterentwickelt und verbessert worden, sagt Bergmann. Auch hinsichtlich typischer Nebenwirkungen wie Müdigkeit. Bei der Immuntherapie habe es ebenfalls deutliche Fortschritte gegeben. Diese würde kaum noch mit Spritzen, sondern mit Tropfen oder Tabletten durchgeführt und sei bei weniger Nebenwirkungen genauso effektiv.
Daneben können Betroffene Tipps für den Alltag berücksichtigen, um die Beschwerden zu lindern. Das regelmäßige Verwenden einer Nasenspülung mit Kochsalzlösung sei hilfreich, sagt Bergmann. Auch Pollennetze aus dem Baumarkt, die vor dem Fenster angebracht werden können, seien zu empfehlen. Haarewaschen nach dem Spaziergang hingegen habe keinerlei nachweisbaren Effekt, auch das Wechseln der Kleidung sei nicht nötig.
Beim Aufenthalt im Freien sollten möglichst die Schleimhäute geschützt werden. Das Tragen einer Sonnenbrille könne helfen. Besonders wirksam: Medizinischer Mund- und Nasenschutz oder FFP2-Masken. Diese könnten die Beschwerden um mindestens 50 Prozent reduzieren, so Bergmann. Und an das Bild dürfte sich die Gesellschaft inzwischen gewöhnt haben. Auch ohne Maskenpflicht.
Die Tipps zum Screenshoten und Weiterschicken:
Anmerkung der Redaktion: Dieser Text wurde im April 2023 veröffentlicht. Wir haben ihn am 19.02.2024 überprüft und aktualisiert.