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Text, Datenanalyse: Katja Scherer und Lisa Eckardt

Daten-Visualisierung: Lisa Eckardt

Grafik: Melvin Lannatewitz

Redaktion: Wolfgang Landmesser, Raimund Groß, Philipp Blanke, Till Hafermann

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Transformation zu grüner Energieversorgung

Wo steht die NRW-Industrie?

Von Katja Scherer und Lisa-Marie Eckardt

NRW ist ein stolzes Industrieland – hat aber ein Problem: Die Wirtschaft ist noch immer stark von Kohle und Erdgas abhängig. Wie soll der Umbau hin zu einer grünen Energieversorgung gelingen? Sind wir bei der Transformation auf einem guten Weg? Wir haben Daten dazu analysiert und beantworten die wichtigsten Fragen.

Veröffentlichung: 25.03.2025

Darum geht es in diesem Text:



NRW ist von energieintensiven Industrien geprägt

Stellenabbau bei Ford, Thyssenkrupp und Evonik, Pleiten in der mittelständischen Industrie: Die Nachrichten aus der NRW-Wirtschaft bereiten Sorge. Dass es aktuell nicht gut läuft, hat mit der Konjunktur zu tun. Aber auch mit einem Umbruch, der in vollem Gange ist. Politisches Ziel ist es, Deutschland bis zum Jahr 2045 klimaneutral zu machen. Für NRW ist diese Transformation ein besonderer Kraftakt. Unser Bundesland ist traditionell geprägt von Industrien mit hohem Energieeinsatz.

Die wichtigsten Branchen sind Maschinenbau, Elektronik, Chemie, Eisen, Stahl, Metall und Fahrzeugbau. Vor allem die Metallerzeugung und -bearbeitung sowie die Chemieindustrie sind besonders energieintensiv – und verursachen dementsprechend besonders viel Treibhausgase.

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Betroffen von der Transformation sind aber auch weniger energieintensive Branchen wie der Maschinenbau und die Autozulieferindustrie. Auch sie müssen ihre Energieversorgung umstellen und ihre Produktion digitalisieren. In der Autozulieferindustrie sind durch den Wandel zur E-Mobilität außerdem ganz neue Bauteile gefragt.

Bis 2045 sind es nur noch 20 Jahre. Wie kann es gelingen, die Industrie in NRW in dieser kurzen Zeit klimaneutral umzubauen? Und in welchen Regionen wird der Wandel besonders schwierig? Wir haben datenjournalistisch analysiert, wie stark die Kreise in NRW von der Transformation betroffen sind.

Welche Kreise und Städte in NRW sind besonders stark betroffen?

Unsere Datenanalyse zeigt, in welchen Kreisen und Städten die Industrie die meisten Treibhausgasemissionen produziert. Berechnet haben wir dies anhand von Daten, die zeigen, wie emissionsintensiv die einzelnen Branchen sind, und Daten, die Auskunft geben, wie umsatzstark die jeweiligen Branchen in den Kreisen vertreten sind.

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Dabei sticht die Stadt Duisburg besonders stark heraus. Das liegt an der Stahlindustrie – und den Fabriken von Thyssenkrupp. Überdurchschnittlich viel energieintensive Industrie gibt es außerdem im Rhein-Kreis Neuss. Dort ist mit Aluminium Norf eines der weltweit größten Aluminiumwerke angesiedelt und der ebenfalls energieintensive Chemiepark Dormagen.

Auch die Industrie in den Kreisen Mettmann und Recklinghausen und im Märkischen Kreis stößt einen größeren Anteil an Treibhausgasen aus. Dieser Teil des Sauerlands ist ein wichtiger Standort für die Autozulieferindustrie und für metallverarbeitende Betriebe. Die Metallverarbeitung prägt auch den Kreis Mettmann. Und der Kreis Recklinghausen sticht beim Energieverbrauch unter anderem wegen des Chemieparks in Marl heraus.

Wie gut diese Kreise jeweils bei der Transformation vorankommen, hänge stark vom Engagement der Unternehmen vor Ort ab, sagt Markus Demary, Transformationsexperte beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln: „Haben die Großverbraucher in der Region gute Konzepte entwickelt, kann die Transformation dort trotzdem gelingen.“

  • Bild: IW Köln

Markus Demary vom IW Köln

Schwächer vertreten sind die emissionsintensiven Branchen etwa in den Kreisen Lippe und Höxter im östlichen Ost-Westfalen. „Dort gibt es anteilig betrachtet einen höheren Anteil an Dienstleistungsunternehmen“, sagt Markus Demary vom IW. Weniger industriell geprägt ist zum Beispiel auch der Rheinisch-Bergische Kreis.

Ein Blick auf die Klimabilanz in NRW zeigt: In den vergangenen zwanzig Jahren sind die CO2-Emissionen im Land insgesamt schon gesunken. Aber immer noch verursachen gerade die großen Energieversorger sehr hohe Emissionen. Wegen des Steinkohleausstiegs ist der Anteil der Energiewirtschaft zuletzt zurückgegangen. Der Anteil der Industrie ist dagegen nahezu gleich geblieben. Zuletzt dürfte ihr Anteil an den CO2-Emissionen zumindest leicht gesunken sein. Das liegt aber vor allem daran, dass die Industrie wegen der lahmenden Konjunktur weniger produziert hat.

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Wie CO2-lastig ist die NRW Industrie?

Die NRW-Industrie ist insgesamt noch sehr stark von fossiler Energie abhängig. Sie verbraucht in großen Mengen Steinkohle und Erdgas, zeigt der Energieatlas des Landesumweltministeriums. So war das jedenfalls bis 2022, auch wenn der Anteil bereits wieder etwas gesunken ist. Bei der Statistik über den Energieverbrauch gibt es einen Zeitverzug.

Zum Verständnis der Verbrauchsgrafik: Im „Strom“ steckt auch ein wachsender Anteil an Wind- und Sonnenenergie. Laut Energiemonitoring der Industrie- und Handelskammern in Nordrhein-Westfalen ist der Ausbau von Windenergie und Photovoltaik zuletzt vorangekommen. Gleichzeitig sind die Ausbauziele bei Weitem noch nicht erreicht. Unter den kleinen Bereich „Erneuerbare Energien“ fällt zum Beispiel die Nutzung von biogenen Abfällen als Energiequelle.

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Steinkohle spielt nach wie vor eine wichtige Rolle für die hiesige Produktion – trotz des Steinkohleausstiegs in NRW im Jahr 2018. Die benötigte Steinkohle wurde 2021 noch zu einem großen Anteil aus Russland importiert, schreibt das Statistische Landesamt. Die Steinkohle wird verstromt, aber auch zur Stahlherstellung und in der chemischen Industrie genutzt, zeigt ein Bericht des Umweltbundesamts.

Erdgas ist ebenfalls ein wichtiger Energieträger. Es wird in vielen Industrien eingesetzt, um Werkstoffe zu schmelzen oder zu verformen. Zum Beispiel betreiben Aluminium- und Glashersteller ihre Öfen damit. Für die Stahlherstellung ist Erdgas ebenfalls wichtig: einerseits als Brennstoff, andererseits für die chemische Reaktion in den Hochöfen.

Strom braucht die Industrie für alle möglichen Prozesse: um Maschinen zu betreiben, Teile zu pressen oder Fließbänder am Laufen zu halten. Der Großteil des Stroms, der in NRW erzeugt und genutzt wird, stammt derzeit ebenfalls noch aus fossilen Quellen. Der Anteil der Erneuerbaren an der Stromerzeugung wächst aber. 2024 lag er bei 22,8 Prozent, schätzt das Landesumweltamt.

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Klimaneutrale NRW-Industrie: Was muss passieren?

Unterm Strich: Es bleibt noch viel zu tun, um in NRW auf fossile Energie verzichten zu können. Damit das gelingt, müssen Energiewirtschaft und Industrie eng zusammenarbeiten. „Die Energiebranche muss dafür sorgen, dass mehr grüne Energie zur Verfügung steht; die Industrie muss ihre Produktion umstellen und die grüne Energie nutzen“, sagt Markus Demary vom IW Köln.

Viele Unternehmen haben sich schon auf den Weg gemacht und Transformationspläne entwickelt, die sie nun Schritt für Schritt umsetzen. Die erste wichtige Veränderung: Energie sparsamer einsetzen. Durch Investitionen in moderne Anlagen und die digitale Steuerung von Maschinen lässt sich der Verbrauch verringern – und damit die CO2-Emissionen.

Klar ist andererseits, dass die Industrie auch künftig sehr viel Energie für ihre Produktion brauchen wird. Deswegen der zweite Schritt: Elektrifizierung. Das sagt auch NRW.Energy4Climate, die zuständige Landesgesellschaft für Energie und Klimaschutz. Prozesse, die bisher mit fossilen Brennstoffen funktionieren, müssen auf Strom umgestellt werden. Gleichzeitig muss der Strom komplett aus Erneuerbaren gewonnen werden.

Drittens braucht es grünen Wasserstoff. Denn nicht alle industriellen Prozesse lassen sich auf Strom umstellen. Das betrifft zum Beispiel die Stahl- und Glasherstellung oder die Produktion in Chemieparks. Dort soll in Zukunft mit grünem Strom produzierter Wasserstoff zum Einsatz kommen. Bei Thyssenkrupp in Duisburg wird gerade eine Hochofenroute entsprechend umgestellt, mit Milliardenförderung von Bund und Land. Zum Einsatz kommen soll der grüne Stahl unter anderem im Maschinenbau und in der Autozulieferindustrie.

Viertens braucht es Lösungen für die Bereiche, die sich rein technisch nicht CO2-frei machen lassen – zum Beispiel die Zementindustrie. Eine Lösung könnte hier die Speicherung von CO2 im Boden sein. Das Verfahren ist aber umstritten.



Wo soll die grüne Energie für NRW in Zukunft herkommen?

Die Pläne der Landesregierung sehen einen Energiemix vor: aus Wind, Photovoltaik, Gaskraftwerken mit Kraft-Wärme-Kopplung, Erdwärme und grünem Wasserstoff. NRW wird dabei stark auf Importe angewiesen sein. Das ist aber nicht neu. Schließlich importieren wir laut NRW-Umweltministerium schon jetzt große Mengen an Energie, zum Beispiel Erdgas.

Zugleich muss die heimische Energieproduktion umgestellt werden. Beim Ausbau von Photovoltaik und Windkraft gibt es Fortschritte. Die zentrale Rolle bei der Energieerzeugung im Land spielt aber nach wie vor die Braunkohle. Der geplante Bau von modernen Gaskraftwerken, die perspektivisch auf grünen Wasserstoff umgestellt werden können, lässt auf sich warten.

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Die Zeit drängt. Denn nur mit den neuen Kraftwerken ist der für 2030 geplante Braunkohleausstieg möglich. Sie sollen Energie liefern, wenn die Braunkohle wegfällt und für eine deutlich bessere CO2-Bilanz sorgen. Im Sondierungspapier von Union und SPD ist der Bau von neuen Gaskraftwerken vorgesehen. Bis sie ausgeschrieben und fertig gebaut sind, kann es aber noch dauern.

Angelaufen ist in NRW der Ausbau des sogenannten Wasserstoff-Kernnetzes. Das Kernnetz soll Wasserstoff-Produktionsanlagen mit Großabnehmern wie Chemieparks verbinden. Nach den Plänen der Landesregierung sollen perspektivisch knapp zehn Prozent des Wasserstoffs in NRW erzeugt werden. Der Rest soll aus dem Ausland kommen.

Ist die NRW-Industrie innovativ genug, um die Transformation zu stemmen?

Mit Blick auf die Hochschullandschaft lässt sich NRW als forschungsstark beschreiben: 68 Hochschulen und mehr als 50 außeruniversitäre Forschungseinrichtungen haben nach Angaben des Landes hier ihren Sitz. Das ist eine hohe Dichte. Der Blick auf die Patentanmeldungen im Land bereitet dagegen Sorge: Die Zahl der Patentanmeldungen ist in NRW seit Längerem rückläufig. Um rund zehn Prozent in den letzten 25 Jahren. Zum Vergleich: Im selben Zeitraum ist die Zahl der Patentanmeldungen bundesweit um 15 Prozent gestiegen.

Ein Grund für den Rückgang ist aus Sicht von Experten, dass einige große, patentstarke Unternehmen ihre Forschungsinvestitionen zurückgefahren haben. Der Autobauer Ford zum Beispiel hat Entwicklung zurück in die USA verlagert. Der Chemie- und Pharmakonzern Bayer hat zuletzt auch eher wenig neue Patente angemeldet. Insgesamt steht NRW als Flächenland aus Sicht des Instituts der deutschen Wirtschaft aber immer noch gut da. Die energieintensiven Branchen Metallerzeugung und Chemie sind in NRW im Bundesvergleich besonders innovationsfreudig, zeigen Daten aus der Patentdatenbank des Instituts.

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Danach kamen im Zeitraum von 2017 bis 2021 in Nordrhein-Westfalen knapp neuneinhalb Prozent der angemeldeten Patente aus Chemieunternehmen. Bundesweit war der Anteil nur halb so groß. Überdurchschnittlich innovationsfreudig ist in Nordrhein-Westfalen auch die Metall- und Elektroindustrie mit einem Patentanteil von knapp 20 Prozent. Dagegen ist die NRW-Automobil-Branche vergleichsweise schwach bei den Patentanmeldungen mit einem Prozentanteil von elf Prozent. Das ist nur ein Drittel des bundesweiten Wertes.

Der Ausblick

Die grüne Transformation in NRW kommt voran, ist aber noch lange nicht am Ziel. Die Abhängigkeit von Kohle und Erdgas ist nach wie vor groß. Und viele Unternehmen haben sich noch gar nicht auf den Weg gemacht.

Zwischen 30 und 40 Prozent der NRW-Unternehmen haben noch keinen Plan, bis wann sie klimaneutral sein wollen. Das ist Ergebnis einer Umfrage der Industrie- und Handelskammern in Nordrhein-Westfalen. „Wenn man den Wandel nicht angeht, besteht die Gefahr, dass man zu spät unterwegs ist – und dann aus dem Markt raus ist“, sagt Matthias Mainz, beim NRW-Kammerverband zuständig für Transformation.

Wenn man den Wandel nicht angeht, besteht die Gefahr, dass man zu spät unterwegs ist

Matthias Mainz

„Der Erfolg der Transformation hängt außerdem davon ab, wie schnell der Ausbau der grünen Energie vorankommt und ob es der nächsten Regierung gelingt, für günstige Energiepreise zu sorgen“, sagt Markus Demary vom Institut der Deutschen Wirtschaft. Wichtig für eine erfolgreiche Transformation wird auch sein, dass der Umbau wichtiger Grundstoffindustrien gelingt – wie bei Thyssenkrupp und der Stahlproduktion.

Quellen und Methode

Für unsere Analyse haben wir Daten vom Statistischen Bundesamt (Destatis) verwendet, die die Treibhausgasemissionen der einzelnen Branchen in Deutschland zeigen. Um die Emissionen der einzelnen Kreise auszuwerten, haben wir ausgerechnet, wie viel CO2-Äquivalente pro Branche je Euro Umsatz anfallen und das anhand der jeweiligen Branchenzusammensetzung auf die Kreise in NRW übertragen. Die emissionsstarke Branche Kokerei und Mineralöl konnte in diese Analyse nicht einfließen, da keine Angaben zu den Umsätzen in den Kreisen vorliegen. Diese Berechnung kann auch deshalb nur eine Annäherung sein, da sie darauf basiert, in welchen Kreisen die Umsätze gemeldet wurden und Faktoren wie die regionalen Unterschiede im Energiemix nicht berücksichtigt werden.

Weitere Quellen:

  • IT.NRW
  • IW Köln (Markus Demary)
  • MWIKE
  • LANUV
  • Energieatlas NRW
  • NRW.Energy4Climate, IHK NRW

Das Team

Text und Datenrecherche
Katja Scherer und Lisa-Marie Eckardt
Datenanalyse, Visualisierung
Lisa-Marie Eckardt
Grafik
Melvin Lannatewitz
Redaktion
Wolfgang Landmesser, Raimund Groß, Philipp Blanke, Till Hafermann

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