Die Lösung für den Fachkräftemangel?
Von Jörn Seidel
Was tun gegen den Personal- und Fachkräftemangel in Deutschland? Können Roboter zur Lösung des Problems beitragen? Oder nehmen sie stattdessen sogar Arbeitsplätze weg? In der Industrie, Medizin oder Landwirtschaft sind immer mehr Roboter im Einsatz - auch in der Gastronomie. Ein Arbeitstag im Leben von Roboter-Kellner Plato.
Freundlich blinzelt Plato mit seinen großen Kulleraugen. Der Roboter-Kellner leuchtet seitlich grün auf. Er schaut nach links, schaut nach rechts und setzt sich langsam in Bewegung. Acht Weingläser trägt er, ein Dutzend dreckiger Teller, einen Stapel Tabletts, dazu Besteck und fünf große Flaschen. Elegant und fast geräuschlos rollt Plato an Tischen und Stühlen vorbei, einmal quer durch das Messe-Restaurant.
Plötzlich aber kreuzt ein Gast seinen Weg. Der Roboter stoppt. Er schwingt dabei leicht. Die Gläser klirren, aber keines fällt um. Plato lächelt. Der Gast lächelt zurück. Der Roboter schaut nach rechts, weicht dem Gast aus und setzt seine Fahrt unbeirrt fort. Auf Hindernisse kann Plato klug reagieren - an einem jedoch wird er an diesem Arbeitstag scheitern.
Die Pariser Fachmesse EquipHotel ist Platos großer Markteintritt. In einem futuristisch designten Selbstbedienungsrestaurant demonstriert der Roboter-Kellner sein Können. Zugleich ist ihm ein großzügiger Messestand gewidmet.
United Robotics Group (URG) heißt die noch junge Unternehmensgruppe aus Bochum, die mit Plato und anderen Service-Robotern zu einem Champion in der europäischen Robotik werden will. Ihr Fokus: eine neue Generation von Robotern, die mit den Menschen Hand in Hand arbeiten. Kollaborative Roboter werden sie genannt, kurz Cobots.
Plato ist aber auch ein Symbol dafür, mit welcher Dynamik sich die Robotik weltweit entwickelt und wie sich Roboter in unseren Alltag integrieren. Das liegt nicht zuletzt am zunehmenden Fachkräftemangel.
Fachkräfte fehlen vor allem in der Sozialarbeit, Kinderbetreuung, Alten- und Krankenpflege, Bauelektrik, Informatik, Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik, aber auch in vielen anderen Branchen.
In manchen Branchen herrscht allerdings nicht nur ein Fachkräftemangel, sondern auch ein allgemeiner Personalmangel, denn Hilfskräfte sind zum Teil ebenfalls knapp. Das betrifft unter anderem das Gastgewerbe, und zwar vor allem in ländlichen Regionen.
In den kommenden Jahren wird sich die Lage noch verschärfen, besagen Prognosen. Denn die Gesellschaft altert. Eine Gefahr für Wirtschaft und Wohlstand. Welches Potenzial haben Roboter, dem Personal- und Fachkräftemangel entgegenzuwirken?
Große Erwartungen lasten auf dem kleinen Plato. Und so wie er sich in Paris ins Zeug legt, scheint er das genau zu wissen.
Im Messe-Restaurant steht Plato zur lebhaften Mittagszeit dem jungen Kellner Anthony Mekdour zur Seite. Der große Franzose trägt eine schwarze Krawatte, Kollege Roboter hat sich mit einer aufgedruckten Fliege schick gemacht.
Mekdour tippt auf Platos Display ein, wohin er sich als Nächstes begeben soll - mal zu Tisch Nummer dreizehn oder mal zurück zur Homebase, um Geschirr zurückzubringen. Sodann verwandelt sich das Display in ein lächelndes Gesicht. Es wirkt, als wäre Plato überglücklich über diesen Job.
Pausen braucht der kleine Kellner keine. Bis zu 14 Stunden hält sein Akku. Viel sprechen kann Plato nicht. Meistens teilt er sich kurz und knapp übers Display mit. Schließlich will er keine Zeit mit Plaudern verplempern. Plato soll schleppen. Und das tut er unermüdlich - bis dann doch etwas schiefgeht.
Der Roboter-Markt entwickelt sich in hohem Tempo. Sowohl bei professionellen Service-Robotern wie Plato als auch bei Industrie-Robotern steigerte sich der Stückzahl-Absatz 2021 im Vergleich zum Vorjahr um etwa ein Drittel, meldete im Oktober die International Federation of Robotics (IFR).
Professionelle Service-Roboter würden weiterhin stark aufholen, sagt IFR-Generalsekretärin Susanne Bieller dem WDR. Dass sie beim Umsatz die Industrie-Roboter in den kommenden Jahren hinter sich lassen werden, sei aber bislang nicht abzusehen.
Weitere Zuwächse erwartet Bieller auch bei den Service-Robotern für den häuslichen Gebrauch wie etwa Staubsauger- und Rasenmäher-Robotern. Dem Fachkräftemangel entgegenwirken könne diese Sparte aber wohl weniger, meint sie.
Deutschland spielt in der Roboter-Branche übrigens eine wichtige Rolle. Nach China, Japan, den USA und Südkorea wurden hier 2021 die meisten Industrie-Roboter installiert - laut IFR fast 240.000 Stück. Außerdem sind in Deutschland zahlreiche Hersteller beheimatet. Im Bereich der professionellen Service-Robotik gibt es nur in den USA und China mehr.
Professionelle Service-Roboter gibt es nicht nur im Hotel- und Gastgewerbe, sondern vor allem auch in den Bereichen Transport und Logistik, Wartung und Inspektion sowie in der Reinigung, Medizin und Landwirtschaft.
So können Roboter wie der Lely Astronaut A5 vom Euter-Säubern bis zum Milch-Abpumpen vollautomatisch Kühe melken und somit Landwirte entlasten.
Der Roboter uMobileLAB kann unter anderem Blutentnahme-Röhrchen sortieren, auf- und zuschrauben sowie in Kombination mit anderen Geräten ganze Blutanalysen durchführen. Damit können Kliniken ihre Labore trotz des Fachkräftemangels einsatzbereit halten - und damit letztlich auch ihre Notaufnahmen, weil diese auf Labore angewiesen sind.
So etwas wie ein Star unter den professionellen Service-Robotern ist Pepper, der 2015 auf den Markt kam. Ausgestattet mit Kopf und Armen ist er der weltweit erste humanoide Roboter, der in der Lage ist, Gesichter und grundlegende menschliche Emotionen zu erkennen. Damit ist er zum Beispiel in Pflegeheimen und geriatrischen Kliniken im Einsatz. Dort kann er einfache Gespräche führen und bietet zum Beispiel Gehirnjogging an.
"Wie werden die Lottozahlen", fragt jemand Pepper auf der Düsseldorfer Medizin-Messe Medica, wo der Roboter staunende Blicke auf sich zieht. "Woher soll ich das wissen? Ich bin ein Roboter und kein Hellseher", antwortet er flüssig und erlaubt sich dann doch den Spaß, mit großer Geste den Hellseher zu spielen.
Den massiven Fachkräftemangel in der Pflege vermag Pepper nicht zu lindern. Aber er kann Pflegerinnen und Pflegern zumindest als Animateur zur Seite stehen.
Auf der Pariser Messe hat sich vor dem Tresen des Selbstbedienungsrestaurants mittlerweile eine lange Warteschlange gebildet.
Plato muss die Warteschlange durchqueren. Aber freundlich, wie er ist, fordert er niemanden auf, beiseite zu treten. Er fährt nach links, kommt dort nicht weiter. Er fährt nach rechts, kommt dort nicht weiter. Immer wieder fährt er hin und her, bis er sich plötzlich zwischen Tisch und Warteschlange verfängt. Plato steckt fest, weiß nicht ein noch aus. Und sein Kollege Anthony Mekdour kriegt von dem Drama nichts mit.
Schließlich muss ein Techniker kommen. Er versetzt den Roboter in den Ruhezustand und schiebt ihn zurück zur Homebase. Was war passiert? Und welche Konsequenzen muss der kleine Kellner nun fürchten? Kein Strom zum Abendessen? Oder gar Stubenarrest? Weder noch, sagt der Techniker. Er werde ihn nur umprogrammieren, so dass er den Bereich der Warteschlange künftig immer umfährt. Denn diese sei für Plato einfach zu lang und zu starr.
"Lächerlich", kommentiert ein belgischer Gastronom den Auftritt von Plato. Solange ein Gastro-Roboter mit solchen Hindernissen nicht zurechtkomme, werde er sich ganz bestimmt keinen anschaffen. Eine Kollegin aus Südfrankreich stört sich an dem Warteschlangen-Unglück weniger. Sie ist von Plato geradezu entzückt: "Der kann sich gerne bei mir bewerben!"
Plato will mit seiner hohen Qualität überzeugen, mit seiner sympathischen Art und seinen europäischen Produktions- und Datenschutz-Standards. Das muss er auch, denn die Konkurrenz ist groß. Ähnliche Roboter-Kellner sind schon seit Monaten auf dem Markt. Und weitere kommen hinzu - zum Beispiel der Segway ServeBot S1.
Der ist seit Anfang November im Sushi-Restaurant Nakoyashi in der Kölner Innenstadt zu erleben. Zwar gleitet er nicht so geschmeidig wie Plato und hat ein weniger ansprechendes Gesicht. Dafür sei der ServeBot aber auch ein eher günstiges Modell, sagt ein Restaurant-Mitarbeiter.
Der Roboter-Kellner BellaBot ist ebenfalls im Nakoyashi im Einsatz. Man findet ihn auch in Mettingen und Höxter.
Die Hoffnung, dass Roboter zur Lösung des Fachkräftemangels beitragen können, ist groß. Darauf stützt auch die Bochumer URG ihre Vision. Sorge um den Arbeitsplatz müsse man aber nicht haben, sagt Gründer und Geschäftsführer Thomas Hähn dem WDR:
Es sind eher die einfachen Aufgaben, die die Roboter übernehmen, und damit den Menschen mehr Zeit fürs Wesentliche geben.
Auch Florian Lehmer vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesarbeitsagentur glaubt nicht, dass man wegen der Roboter um seinen Arbeitsplatz fürchten muss. Ein Beruf sei immer "ein ganzes Bündel an Tätigkeiten", sagt er dem WDR. Roboter würden meistens nur einen Teil davon ersetzen.
Allzu große Hoffnungen auf eine Roboter-Lösung für den Fachkräftemangel sollte man sich keine machen, meint Lehmer. "Roboter können in Nischen dazu beitragen, den Fachkräftemangel zu lindern, aber nicht flächendeckend in nennenswertem Maße." Vielmehr müsse man zum Beispiel auf Zuwanderung, Weiterbildung, ältere Menschen und bisherige Teilzeitler setzen.
Auf jeden Fall könnten Roboter zur "Sicherung der Fachkräftebasis" beitragen, indem sie als Teil des digitalen Wandels für "gute und gesunde Arbeitsbedingungen" sorgen. So schreibt es die Bundesregierung in ihrer neuen Fachkräftestrategie.
Roboter allein werden also nicht das Problem der fehlenden Personal- und Fachkräfte lösen. Aber sie können Teil der Lösung sein.
Auch Plato kann keinen ganzen Kellner ersetzen - trotzdem wirkt er zufrieden mit seinem Job. Und bei seinem Kollegen Anthony Mekdour sorgt er für eine merkliche Entlastung. "Ohne ihn laufe ich viel mehr", sagt dieser und stapelt wieder Teller und Tabletts auf seinen kleinen Kollegen.
Dann tippt Mekdour erneut auf Platos Display. Der Roboter leuchtet seitlich grün auf. Er schaut nach links, schaut nach rechts. Und es scheint, als lächelte Plato diesmal ganz besonders fröhlich. Langsam setzt er sich in Bewegung und fährt gemächlich an der Warteschlange vorbei.
Über Roboter zur Unterstützung von Fachkräften berichtete am 23.11.2022 auch "Quarks - Wissenschaft und mehr" bei WDR 5.