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Aufzeichnung der Protokolle: Zeynep Cagman, Sabine Schmitt
Fotos und Videos: Zeynep Cagman,  Jan Knoff, Sabine Schmitt
Grafiken: Henri Katzenberg
Redaktion: Thierry Backes, Till Hafermann

Medien
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Wie, du trinkst nichts?

Vom Druck, sich ständig fürs Nicht-Trinken rechtfertigen zu müssen

Der Konsum von Alkohol in Deutschland geht seit Jahrzehnten zurück. Tranken die Menschen in Deutschland in den 1980ern statistisch noch mehr als 15 Liter reinen Alkohol pro Kopf und Jahr, sind es 2020 nur noch 10 Liter. Auch der Anteil der Jugendlichen, die regelmäßig Bier, Wein und Vodka trinken, sinkt kontinuierlich.

Und doch kommen wir um eine Feststellung nicht herum: Wir leben in einer Gesellschaft, in der der Konsum von Alkohol die Norm ist und nicht die Ausnahme.

Das lässt sich ganz gut in der Adventszeit beobachten, in der Zeit von Firmenfeiern und Weihnachtsmärkten. Dass der „Dry January“, der trockene Januar, auch im Jahr 2024 ein Trend in sozialen Medien werden dürfte, liegt auch daran, wie Weihnachten in Deutschland gefeiert wird: mit reichlich Alkohol.

Für viele Menschen unter uns ist das ein Problem: Sie trinken – aus unterschiedlichen Gründen – keinen Alkohol und müssen sich dafür immer wieder rechtfertigen. Mehr noch: Sie werden auf Feiern regelrecht dazu gedrängt, mitzutrinken. Wie fühlt sich das für sie an? Was macht es mit ihnen, wenn sie eine sehr private Entscheidung immer wieder erklären müssen? Wir haben nachgefragt.

Protokolle: Zeynep Cagman, Sabine Schmitt; Design: Henri Katzenberg

„Schon vor meinem ersten Wasser ging die Diskussion los“

Marie*, 56, lebt mit ihrem Mann am Niederrhein und hat einen erwachsenen Sohn. Sie sagt, sie habe lange Zeit ein Suchtproblem gehabt. Vor vier Jahren machte sie deshalb Schluss mit dem Alkohol. Fragen nach ihrer Vergangenheit verbittet sie sich doch die kommen immer wieder.

„Ich habe im Alter von 13, 14 Jahren angefangen, mit der Kinderclique Alkohol zu trinken. Als ich aufgehört habe, war ich fast 40 Jahre älter.

Ich war früher beruflich viel im Ausland. Wir saßen abends zusammen, tranken erst im Restaurant, dann an der Bar. Irgendwann fing ich an, mir danach noch ein Glas Wein aufs Zimmer zu bestellen, damit ich besser schlafen kann. Im Sommer 2019 wachte ich nach einer durchzechten Nacht in meinem Hotelzimmer auf und fühlte mich elend. Etwas in mir schrie auf: Wenn du es heute nicht machst, machst du es nie. Ich nahm diesen Tag als Tag eins ohne Alkohol.

Was ist los? Du hast doch früher immer getrunken!

Als ich aufhörte, war ich Einzeltäterin. Ich war alleine mit der Entscheidung. Alle Kollegen tranken weiter, und ich musste mich rechtfertigen, musste Rede und Antwort stehen, warum ich keinen Alkohol trinken wollte.

Es tut nicht weh, keinen Alkohol mehr zu trinken. Aber ich verbitte mir die Fragen mancher Leute, die mehr über meine Vergangenheit erfahren wollen. Das ist Privatsache. Die Leute sollten das einfach so akzeptieren: Da trinkt jemand keinen Alkohol mehr. Punkt.

Aber so läuft es oft nicht.

Wir hatten mal ein Paar zu Besuch. Es gab Wein und Bier für die, die mochten. Ich selbst wollte nichts davon mehr trinken. Schon vor meinem ersten Wasser ging die Diskussion los: ,Warum trinkst du nicht? Du hast doch früher immer getrunken! Was ist los? Warum trinkst du nicht mehr?‘

Ich konnte meine Gäste ja nicht rauswerfen

Die Gäste wollten immer wieder über das Thema sprechen. Das war sehr unangenehm – und ich finde es übergriffig und unfair, dass Menschen so darauf pochen, eine Antwort zu bekommen. Da kommst du in deinem eigenen Haus ins Schwitzen. Ich konnte die Leute ja nicht rauswerfen.

Ich musste dann wieder in die Trickkiste greifen, musste lügen: dass ich von Alkohol starke Kopfschmerzen bekomme. Das funktioniert meistens. Mittlerweile drehe ich mich aber auch um und gehe, wenn jemand insistiert und nochmal nachhakt. Dann ist mir diese Person auch ehrlich gesagt egal.

Hier erzählt Marie, wie schwer ihr ein lockerer Umgang mit ihrer Sucht fällt:

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Ich würde auch fast behaupten: Es sind Leute, die selbst viel Alkohol trinken, die mit meiner Entscheidung ein Problem haben. Jemand, der nur ein Glas Wein im Monat trinkt, etwa wenn er mal ins Restaurant geht, dem ist das egal.

Ich denke, in meiner Gegenwart wird manchen bewusst, dass sie auch zu viel trinken. Für diese Leute wäre es einfacher, ich würde wieder mit ihnen anstoßen, als dass sie selbst etwas an ihrem Leben ändern. Wer in dieser Spirale steckt, hat Angst, diesen Schritt zu gehen. Auch das kann ich verstehen.

Heute kann ich gut neben Personen sitzen, die Alkohol trinken. Da habe ich kein Problem mehr mit. Ich sehe aber, wie sich Menschen verändern, nach einem Glas Wein schon.

Ich muss nicht missionieren. Ich brauche niemandem im Freundeskreis zu sagen: ,Hey, ich glaube, du trinkst zu viel.‘ Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Aber ich habe Mitgefühl. Es tut mir manchmal wirklich sehr, sehr leid zu sehen, was andere sich antun.“

* Um Maries Identität zu schützen, hat sie in diesem Text einen anderen Namen als im richtigen Leben. Ihre Suchttherapeutin empfahl ihr seinerzeit, Tagebuch zu schreiben. Daraus wurde Maries Blog, das sie auch heute noch gelegentlich fortführt.

„Dass ich den Alkohol in meinem Zimmer nicht anrühre, glauben viele mir nicht“

Tobias, 19, studiert Soziale Arbeit und wohnt bei seinen Eltern in Monheim am Rhein. In seinem Zimmer stehen Vodka, Gin oder Rum, doch die sind nicht für ihn.

„Ich habe viel Alkohol in meinem Zimmer, aber ich trinke wirklich nichts davon. Ich habe eine Barkeeper-Schulung gemacht und Spaß daran, Freunden Drinks zu mixen. Dass ich den Alkohol selbst nicht anrühre, glauben viele mir nicht.

Ich akzeptiere, dass in Gesellschaft Alkohol getrunken wird. Andere sollten aber auch akzeptieren, dass einige am Tisch keinen Alkohol trinken. Wenn Menschen sagen ,Ich mag keine Fischstäbchen‘, dann essen sie halt keine Fischstäbchen. Das sollte bei Alkohol nicht anders sein.

Es nervt mich, wenn mir jemand zum dritten Mal ein Bier anbietet, vor allem dann, wenn das jemand ist, der mich gut kennt. Das kommt dann oft in einem Nebensatz und soll ein Witz sein. Für mich ist das aber nicht witzig. Für mich gibt es da nichts zu lachen, wenn ich immer wieder sagen muss: ,Nein, will ich nicht haben. Das kannst du selbst trinken oder wegkippen.‘

In der Regel läuft es am besten, wenn ich sage: ,Ich will nichts trinken, weil ich Auto fahren muss.‘ Das akzeptieren die Leute. Mit der Erklärung ,Ich will heute nichts trinken‘ kommt man meistens nicht durch.

Meine Haltung zum Alkohol führt immer wieder zu Konflikten. Es kam schon mal vor, dass ich mit einer Person, die mir an einem Abend immer wieder Alkohol angeboten hat, nicht mehr geredet habe, obwohl ich das gerne getan hätte.

Beim Jugendtreff, wo ich gerne hingehe, gibt es immer wieder Spiele mit Alkohol, Bierpong zum Beispiel. Dabei müssen Spieler einen Ball in einen Becher werfen. Es ist für mich da immer etwas schwierig, meinen Cola-Becher unterzubringen. Freunde haben dann auch schon mal gesagt: ,Dann spielen wir das jetzt nicht.‘ Das hat dann die Party kaputt gemacht, und das ist für mich eine Situation, in der ich denke: Yo, der Abend hätte besser laufen können.“

„Ich habe schon das Gefühl, etwas verpasst zu haben“

Romina, 24, studiert Physik und wohnt in Bielefeld. Sie sagt, sie sei häufig dazu gedrängt worden, mitzutrinken und fühlte sich oft außen vor, wenn sie es nicht tat.

„Ich habe früher gelegentlich etwas getrunken, aber irgendwann entschieden, ganz auf Alkohol zu verzichten. Alkohol schmeckt mir nicht, und ich fühle mich unwohl, wenn mir schummrig wird oder ich die Kontrolle verliere.

Ich sage heute sehr klar, dass ich keinen Alkohol trinke, da ist kein Platz mehr für Zweifel. Interessanterweise muss ich seitdem weniger Nachfragen beantworten und werde weniger oft dazu gedrängt mitzutrinken.

Früher war das noch anders. Da habe ich immer wieder Druck verspürt, mittrinken zu müssen. Gerade als Jugendliche möchte man ja Teil einer Gemeinschaft sein. Ich hatte ohne alkoholisches Getränk in der Hand aber oft das Gefühl, nicht dazuzugehören.

Der Verzicht auf Alkohol grenzt mich von anderen ab

Ich habe mich nach und nach aus Situationen zurückgezogen, in denen viel Alkohol getrunken wird. Ich bin dann sehr häufig nicht mit feiern gegangen und habe mich dadurch sehr alleine gefühlt. All diese Vor-Abi-Partys habe ich zum Beispiel nicht mitgemacht – aus Angst, außen vor zu sein, weil ich nichts trinke.

Ich erinnere mich auch an eine Situation an der Uni. Kommilitonen von mir waren den Abend vorher noch unterwegs. Sie haben etwas mehr getrunken, hatten alle einen Kater, aber alle hatten Spaß. Das war so eine Situation, in der ich einfach nicht mitreden konnte.

Ich habe ganz viele Erfahrungen nicht gemacht und das Gefühl, etwas verpasst zu haben, weil ich mich so zurückgezogen habe. Ich habe grundsätzlich Verständnis dafür, dass Menschen trinken wollen, um lockerer zu sein oder sich anders zu fühlen, als sie es sonst tun. Für mich ist der Verzicht auf Alkohol aber immer etwas, das mich von anderen abgrenzt. Und manchmal ärgere ich mich auch über eine Gesellschaft, in der es bis auf wenige Ausnahmen als normal gilt, dass bei Zusammenkünften getrunken wird.

Heute komme ich deutlich besser damit klar. Ich bin selbstbewusster und habe Menschen um mich herum, die mich verstehen und mir den Rücken stärken, wenn es auf einer größeren Feier um das Thema Alkohol geht.“

„Ich frage ja auch nicht jeden: Ach, warum trinkst du denn heute?“

Sarina, 24, kommt aus der Nähe von Düsseldorf. Sie ist nach ihrem Bachelor ein Jahr durch Südostasien und Australien gereist und stellt immer wieder fest: „Es wird nicht akzeptiert, dass man nichts trinken möchte.“

„Als ich jünger war, fand ich es manchmal cool, dass ich nichts trinke. Dass ich nicht so bin wie alle anderen. Heute finde ich es anstrengend, mich dafür immer wieder rechtfertigen zu müssen. Ich frage ja auch nicht jeden: ,Ach, warum trinkst du denn heute?‘

Ich erinnere mich, dass wir mal unterwegs waren und einen schönen Abend hatten. Dann kam irgendwann so ein Kommentar: ,Hä? Wie, du trinkst nicht? Du hast doch voll viel Spaß.‘ Das ist so komisch, dass Leute denken, man könnte sich nicht so fallen lassen, nicht so feiern, tanzen und lachen, wenn man nichts trinkt.

Die Mädels in Australien fanden es richtig krass, dass ich nichts trinke

Es wird einfach nicht akzeptiert, dass man nichts trinken möchte. Es muss immer einen gravierenden Grund geben wie ,Ich bin krank‘, ,Ich bin heute Fahrerin‘ oder so. Ich habe schon immer gesagt: ,Ich möchte das nicht. Mir schmeckt es einfach nicht.‘

Ich bin in einem Dorf aufgewachsen, und da kommen öfter negative Kommentare als in einer Großstadt. Gerade beim Fußball ist das Trinken noch so ein Ding. Wenn du nach dem Training noch zusammensitzt und dann keinen Alkohol trinkst, bist du dann irgendwie nicht so ein Teil davon.

Da gibt es zwischen den Geschlechtern beim Fußball übrigens einen Unterschied: Ich habe in einer Frauenmannschaft gespielt, und da war das eigentlich gar nicht so ein großes Thema wie bei den Männern.

Als ich kürzlich in Australien auf einem Geburtstag mit Mädels war, fanden die es richtig krass, dass ich nicht trinke. Ich fand es erstaunlich, dass die das so extrem fanden. Und dachte: eigentlich schade, dass ich dafür bewundert werde. Es ist so normal, dass alle Leute trinken, dass es irgendwie als besonders herausgestellt wird, wenn mal jemand nicht trinkt.“

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Wie nehme ich Rücksicht auf Menschen, die keinen Alkohol trinken wollen? Wie bin ich eine Gastgeberin oder ein Gastgeber, bei der oder dem sich alle wohl fühlen? Wir haben das die Menschen aus diesem Artikel und eine Psychologin gefragt - hier sind ihre Tipps.

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Aufzeichnung der Protokolle: Zeynep Cagman, Sabine Schmitt

Fotos und Videos: Zeynep Cagman, Jan Knoff, Sabine Schmitt

Grafiken: Henri Katzenberg

Redaktion: Thierry Backes, Till Hafermann