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WDR

Autor: Jörn Kießler
Recherche: Sounia Siahi, Ayten Hedia, Jörn Kießler
Redaktion: Sandra Peters, Rainer Kellers

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Was die Flut uns nahm

Gedenken an die Todesopfer des Hochwassers

Unwetter treffen NRW und Rheinland-Pfalz

Drei Tage im Juli 2021 besiegeln das Schicksal Tausender Menschen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Drei Tage, an denen die Fluten, die nach dem Jahrhundertregen entstehen, nicht nur Existenzen zerstören, sondern auch zahlreiche Menschen in den Tod reißen.

Es sind Väter, Mütter, Töchter und Söhne, die ihren Angehörigen für immer genommen werden. Freunde, Kollegen und Bekannte, die unwiederbringlich verloren sind.

Jeder dieser Menschen hat eine eigene Geschichte, war der gute Geist seines Heimatortes, glühender FC-Fan, liebende Großmutter oder die leidenschaftliche Feuerwehrfrau, die ihre Familie mit Stolz erfüllte.

Von vier dieser Leben wollen wir erzählen, an die Schicksale der Menschen erinnern und damit der mindestens 136 Todesopfer in Rheinland-Pfalz und der 49 Menschen in NRW gedenken, die während der Flutkatastrophe ums Leben kamen.

Katharina Kraatz

20. April 2002 – 14. Juli 2021

Als Udo Kraatz am 14. Juli seine Tochter anruft und ihr sagt, dass im Landkreis Ahrweiler jede Hand gebraucht wird, zögert Katharina keine Sekunde. "Wir wollten an diesem Abend eigentlich zu einer Übung der Jugendfeuerwehr ", sagt ihre Mutter Frauke. Dass ihre Tochter diese sausen lässt, um Menschen in Not zu helfen, steht jedoch außer Frage. "Ihre Augen haben gleuchtet, als sie wusste, es geht zum Einsatz", sagt Frauke Kraatz.

Die Feuerwehr ist die große Leidenschaft der 19-Jährigen – schon immer. Kaum kann sie laufen, schnappt sie sich die schweren Einsatzstiefel ihres Vaters, der seit Jahren in der Freiwilligen Feuerwehr Barweiler ist, und stapft damit so gut sie kann durch die Wohnung. "Als sie dann sprechen konnte, hat sie immer gesagt, dass sie in die Feuerwehr will", erinnert sich ihre Mutter.

Da ihr Vater die Jugendfeuerwehr in Barweiler leitet, geht dieser Wunsch schnell in Erfüllung. Offiziell mitmachen dürfen Kinder zwar erst mit zehn Jahren, Katharina übt aber schon vorher als Gastkind eifrig mit.

2018 dann wechselt sie – zum frühstmöglichen Zeitpunkt - von der Jugendfeuerwehr in den aktiven Dienst der Freiwilligen Feuerwehr.

Das Mädchen mit dem rosa Akkuschrauber

"Wenn sie sich was in den Kopf gesetzt hatte, dann hat sie das durchgezogen", sagt Frauke Kraatz. "Oft habe ich gedacht, ich hätte gerne auch eine Scheibe von diesem Selbstbewusstsein."

Das zeigt sich auch darin, dass Katharina ihr eigenes Ding macht und so in keine Schublade passt. Das Mädchen hat keine Hemmungen, anzupacken und dabei schmutzig zu werden. Stolz erklärt sie ihrem Vater nach einer Übung bei der größeren Feuerwehr in Adenau, wie man mit einer Spreizschere ein Auto auseinandernimmt.

Trotz ihrer jungen Jahre ist Katharina schon verlobt, wohnt mit ihrem Freund zusammen. Die Spülmaschine in der gemeinsamen Wohnung hat natürlich sie angeschlossen, die Möbel selbst zusammengeschraubt - mit einem rosa Akkuschrauber.

Katharina strotzt vor Plänen für die Zukunft. Am 1. August wollte sie unter anderem ihre Ausbildung zur Bankkauffrau beginnen. Für Katharina aber noch wichtiger: Sie wollte die Jugendfeuerwehr von ihrem Vater übernehmen. Betreuerin war sie bereits. Erst am 4. Juli hatte die 19-Jährige noch an einem Online-Seminar teilgenommen, das sie ihrem Ziel näher bringen sollte.

Ein Leben auf der Überholspur

Dann trifft die schlimmste Flutkatastrophe seit mehr als einem halben Jahrhundert vor allem Rheinland-Pfalz. Auch die Freiwillige Feuerwehr Barweiler wird gerufen, um zu helfen. Gemeinsam mit ihren Kameraden arbeitet Katharina im Akkord. Ihrem Freund schreibt sie in einer SMS begeistert, dass sie von Einsatz zu Einsatz fahren.

Katharina genießt solche Tage mit der Feuerwehr. Wenn die einzelnen Zahnräder ineinandergreifen, man im Team Dinge vollbringt, zu denen ein Einzelner nicht in der Lage wäre. Das ist das Gefühl, das sie in ihrer zweiten Familie, der Feuerwehr, so liebt.

Doch dann werden die Naturgewalten selbst für diese eingeschworene Gemeinschaft zu groß. Etwa fünf Kilometer von ihrem Heimatort entfernt wird ein Campingplatz von den Wassermassen der über die Ufer getretenen Ahr überflutet. Die Feuerwehr Barweiler evakuiert das Gelände und bringt die Menschen in Sicherheit. Als Katharina versucht, eine bettlägerige Frau aus einem Mobilheim zu retten, werden beide von den Fluten mitgerissen. Beide sterben dabei.

"Unsere Tochter hat ein bisschen ein Leben auf der Überholspur geführt", sagt Frauke Kraatz. "Sie hat alles etwas schneller und früher gemacht." Es ist zumindest ein kleiner Trost für ihre Eltern, dass Katharina dadurch so viel in ihrem kurzen Leben erlebt hat.

Aber es ist schwer für ihre Eltern und die Menschen, die Katharina in dieser Zeit kennengelernt haben und liebten, dass sie nun nicht mehr da ist.

Josef "Schmitze Männ" Schmitz

19. Februar 1942 – 14. Juli 2021

An dem Abend, an dem Sandra Talhi ihren Vater an die Flut verliert, scheint zunächst alles ganz normal. Wie jeden Abend kommt Josef Schmitz, den alle nur "Männ" nennen, zu seiner Tochter. "Wie immer kam er, damit ich ihm sein Insulin spritzen konnte", erinnert sich die gelernte Krankenschwester. "Und wie immer haben wir ein bisschen geklönt, bis er sich wieder auf den Weg nach Hause machte."

Seit fast 50 Jahren lebt der "Schmitze Männ" im Bad Münstereifeler Ortsteil Iversheim. Seine Tochter ist hier aufgewachsen, wohnt mittlerweile nur einen Katzensprung vom Haus ihres Vaters entfernt. Doch am Abend des 14. Juli verwandelt die Erft diese nicht einmal einen Kilometer lange Strecke in eine tödliche Falle. Auf der Heimfahrt wird Josef Schmitz von den Wassermassen überrascht, sein Auto von der Flut weggespült. Als der 79-Jährige sich daraus befreien will, wird er von einer Welle mitgerissen und ertrinkt.

Ein Geißbockheim im Garten

"Ich kann es immer noch nicht fassen, dass ich mich im einen Moment noch wie jeden Abend von ihm verabschiedet habe und er jetzt für immer weg ist", sagt Sandra Talhi mit Tränen in den Augen.

Was ihr bleibt, ist die Erinnerung an ihren Vater. Einen geselligen Zeitgenossen, der gerne Menschen um sich hatte, das Leben liebte – genau wie den 1. FC Köln. "Mein Vater war der größte FC-Fan, den man sich vorstellen kann", sagt seine Tochter.

Regelmäßig gab Josef Schmitz sogenannte FC-Parties. Dafür hatte der gelernte Schreiner sogar ein kleines "Geißbockheim" in seinem Garten errichtet. Dort traf man sich, trank ein Bier, klönte und lauschte den lustigen Sprüchen, die der "Schmitze Männ" gerne mal von sich gab und die selbst vor dem Thema Tod nicht halt machten.

"Mein Vater hat oft Witze darüber gemacht, dass er nur in Iversheim begraben werden will", sagt seine Tochter. Sei das nicht möglich, so müsse es Chicago sein, so Josef Schmitz. "'Da liegt der Schmitze Männ dann zwischen den dicken Jungs' meinte er immer", erinnert sich Sandra Talhi.

Ein Ort zum Trauern

Nach seinem Tod wird aus den Sprüchen ihres Vaters aber fast bittere Realität. Denn auch der Iversheimer Friedhof wird bei der Katastrophe überflutet und darf nicht betreten werden. "Das war für mich der Horror", sagt Sandra Talhi. "Ich brauche einen Ort, wo ich hingehen kann, um am Grab meines Vaters zu trauern."

In ihrer Verzweiflung schreibt sie die Bürgermeisterin von Bad Münstereifel auf Facebook an. "Ich hatte gesehen, dass die höher gelegenen Bereiche des Friedhofs nicht betroffen waren, und dachte, ich muss es zumindest versuchen", erzählt Talhi.

Mit Erfolg. Bereits am darauffolgenden Tag meldet sich Sabine Preiser-Marian bei Talhi. Am 28. Juli wird Josef Schmitz auf dem Iversheimer Friedhof begraben. So, wie er es sich zu Lebzeiten gewünscht hat.

In sein Haus ist seine Tochter mit ihrem Mann und ihrer 22 Monate alten Tochter Amina eingezogen. Ihre Wohnung wurde von der Flut zerstört. Als Erstes will Sandra Talhis Mann das Geißbockheim im Garten neu streichen, aufräumen und sauber machen. In Gedenken an seinen Schwiegervater.

Sandra Talhi versucht derweil, die Geschäftsstelle des 1. FC Köln zu erreichen. "Ich will die Mitgliedschaft meines Vaters auf Amina übertragen lassen", sagt sie. "Ich glaube, darüber hätte er sich gefreut."

Hedwig Kampshoff

27. August 1950 – 14. Juli 2021

Das Schlimmste für Sonja Tetzlaff ist, dass sie ihre Mutter noch immer nicht begraben konnte. In der Nacht, als Hedwig Kampshoff in Dernau ums Leben kam, wurde in dem kleinen Ort an der Ahr so gut wie alles zerstört. Auch der Friedhof. Mittlerweile ist er zwar wieder hergerichtet, einen Termin für die Beisetzung konnte die Gemeinde Sonja Tetzlaff aber noch nicht sagen.

"Auch wenn wir erst seit etwa zehn Jahren hier leben, sah meine Mutter Dernau als ihren Heimatort an", sagt Sonja Tetzlaff. Grund dafür sind vor allem ihre Tochter und ihre Enkelin, die nur ein paar Straßen von der 70-Jährigen entfernt wohnen. Regelmäßig kommt die zehnjährige Zoé nach der Schule bei ihrer Lieblingsoma zum Mittagessen vorbei.

Viel wichtiger ist aber Oma Hedwigs Status als Vertraute und Freundin. Sie nimmt die Kleine in den Arm, wenn sie Sorgen hat, hört zu, wenn Zoé berichtet, dass etwas nicht so richtig läuft. Ist aber auch für jeden Spaß zu haben.

Vertrauensperson und Sponsor-Oma

"Als meine Mutter noch nicht so stark wegen ihrer kaputten Knie und ihrer Lungenkrankheit eingeschränkt war, sind die beiden häufig mit der Bahn nach Bonn gefahren", erzählt Sonja Tetzlaff. "Zum Shoppen." Das verschafft Oma Hedwig auch den scherzhaften Ruf als "Sponsor-Oma". "Wenn ich angemerkt habe, dass sie ihre Enkelin nicht zu sehr verwöhnen soll, hat sie das einfach mit den Worten 'Ich bin die Oma, ich darf das!' abgetan", sagt Sonja Tetzlaff und lacht.

Aber nicht nur ihre Enkelin verwöhnt sie. Am Muttertag etwa erwartet Hedwig Kampshoff keine Präsente von ihrer Tochter. Sie zieht einfach los und besorgt Sonja ein Geschenk, um ihr eine Freude zu machen. "Das war es, was ihr Freude gemacht hat", sagt Sonja Tetzlaff. "Für andere da sein."

Dazu kommt, dass Oma Hedwig eher unkonventionell ist. Als es ihr immer schwerer fällt, mit ihrer Gehbehinderung vor die Tür zu gehen, macht sie einfach das Internet unsicher. "Meine Mutter hatte immer das neueste Tablet, wurde nervös, wenn sie keinen vernünftigen Internetzugang hatte", erinnert sich ihre Tochter.

Vor allem Facebook hatte Hedwig Kampshoff für sich entdeckt. Postete dort Bilder von sich mit ihrer Enkelin auf dem Schoß, rief dazu auf, während der Corona-Pandemie zuhause zu bleiben, und verkündete stolz, dass sie geimpft wurde. Am 8. Juli aktualisiert sie noch das Hintergrundbild ihres Profils - mit einem Panoramafoto des idyllisch im Ahrtal gelegenen Dernau.

Ein Paradies wird zum Katastrophengebiet

Eine Woche später ist davon nichts mehr übrig. Das Paradies hat sich in eine Hölle aus Schlamm, zerstörten Häusern und verzweifelten Menschen verwandelt. Und Sonja Tetzlaff hat keine Mutter mehr.

Durch die extremen Regenfälle steigt der Pegel der Ahr am 14. Juli so schnell an, dass selbst die an Hochwasser gewohnten Dernauer die Situation falsch einschätzen. Am Mittag kommt noch die Feuerwehr bei Hedwig Kampshoff vorbei und warnt sie, dass das Wasser höher steigen werde als bei der Flut 2016. "'Bis zum Fensterbrett' hieß es da", sagt Sonja Tetztlaff.

Doch das Wasser steigt bis über den ersten Stock im Haus von Hedwig Kampshoff. Ihre Erdgeschosswohnung wird innerhalb kürzester Zeit komplett geflutet. Die 70-Jährige, die auf einen Rollator angewiesen ist, hat keine Chance zu entkommen.

Auch sechs Wochen nach der Flutkatastrophe herrscht noch immer Ausnahmezustand in Dernau. Das Haus, in dem Hedwig Kampshoff wohnte, muss wahrscheinlich abgerissen werden. Sonja Tetzlaff und ihre Tochter mussten aus ihrer Wohnung ausziehen. Sie sind bei einem Freund von Sonja Tetzlaff in Bonn untergekommen. Doch wenn die Schule für Zoé wieder beginnt, müssen sie versuchen, in Dernau einen Ort zu finden, an dem sie wieder leben können. Keine leichte Aufgabe.

Trotzdem verliert Sonja Tetzlaff nicht den Mut – auch wegen ihrer Tochter. Denn auch nach ihrem Tod bleibe Oma Hedwig für Zoé eine emotionale Stütze. "Seit sie gestorben ist, sagt Zoé immer wieder, dass wir ja jetzt einen wirklich dicken Schutzengel im Himmel haben, der auf uns aufpasst."

Ernst Meyer

3. März 1953 – 14. Juli 2021

Ernst Meyer war kein Mann vieler Worte. Im Mittelpunkt zu stehen, war nicht sein Ding. Stattdessen machte er einfach. Leise und unauffällig , stets im Hintergrund, aber immer, um anderen zu helfen.

"Mein Vater konnte niemandem einen Wunsch abschlagen", sagt seine Tochter Diana Ritter. Selbst wenn er das Anliegen selbst für nicht ganz so sinnvoll oder nicht so passend hielt.

"Ich erinnere mich noch daran, wie sich meine Mutter, Schwester und andere Mitglieder des Karnevalvereins für einen Maskenball zum Motto 'Star Wars' verkleideten", erzählt Diana Ritter. Irgendwann sei die Idee aufgekommen, man brauche ja auch R2D2, den kleinen Roboter aus der Science-Fiction-Saga. Da habe ihr Vater erst einmal den Kopf geschüttelt, so Ritter.

"Dann ist er aber in seine Werkstatt verschwunden und am nächsten Tag hatte er ein Modell von R2D2 gebaut, das man hinter sich her ziehen konnte."

Tüftler, Segler und Feuerwehrmann

Vor allem, wenn seine technischen Fertigkeiten oder sein Know-how als Feuerwehrmann gefragt waren, konnte der Tüftler Ernst Meyer niemandem seine Hilfe verwehren.

"Der Ernst kümmerte sich als eine Art Hausmeister um den Dorfsaal, installierte die Bühnentechnik für den Karnevalsverein", sagt sein Freund und Feuerwehr-Kamerad Dirk Albrecht. Die Sicherung des jährlichen Martins-Zuges in seiner Heimatgemeinde Nettersheim – für Ernst Meyer Ehrensache. "Er sorgte quasi unauffällig dafür, dass alles lief", sagt Albrecht.

Und selbst wenn eine Aufgabe nicht unbedingt seinem Naturell entsprach, stellte er gerade für seine Familie seine eigenen Bedürfnisse in den Hintergrund. "Ich werde nie vergessen, wie er mit mir an meiner Hochzeit den Vater-Tochter-Tanz getanzt hat", erinnert sich Diana Ritter und lacht. "Dabei war er gerade in den letzten Jahren alles andere als ein leidenschaftlicher Tänzer."

Wie wenig sein eigenes Ego eine Rolle spielte, wird deutlich, als Ernst Meyer 2016 aus dem aktiven Feuerwehrdienst ausscheiden muss. Obwohl er mehr als 50 Jahre bei der Freiwilligen Feuerwehr Nettersheim ist, wechselt er ohne Murren in die Ehrenabteilung – um dann einfach auf seine ganz eigene Art weiterzumachen.

"Der Ernst ist einfach immer mal wieder vorbeigekommen, hat bei uns nach dem Rechten gesehen, sich um die Pumpen und andere technische Geräte gekümmert", erzählt Albrecht. "Außerdem hat er ja weiter unsere Segelurlaube organisiert."



Der Käpt'n hilft, wo er kann

Alle zwei Jahre fährt der "Käpt'n", wie Albrecht ihn dann nennt, mit Kameraden und Freunden für ein verlängertes Wochenende ans Ijsselmeer. Auf den Touren bringt Ernst Meyer, der seit Jahren im Segelverein ist, jüngeren Kameraden das Segeln näher, bildet sie aus.

"Auf dem Wasser konnte der Käpt'n auch mal ein harter Hund sein", erinnert sich Albrecht. "Da wurde man auch mal angepfiffen, wenn man im Weg stand oder dem Steuermann die Sicht versperrte." Kaum hatte das Boot am Abend aber im Hafen angelegt, holte Ernst Meyer den Portwein heraus, um mit der Crew anzustoßen und ihnen für den schönen Tag auf dem Wasser zu danken.

"Diese Touren waren immer absolute Highlights", sagt Albrecht. Der Segeltörn für das kommende Jahr war bereits geplant.

Doch dann kommt der 14. Juli 2021. Auch Nettersheim wird von den Unwettern schwer getroffen. Der anhaltende Regen lässt die Urft über die Ufer treten. Der Pegel steigt um mehr als drei Meter. Innerhalb von Minuten fluten die Wassermassen den ganzen Ort.

Nicht nur die Feuerwehr ist im Dauereinsatz. Auch Ernst Meyer unterstützt, wo er gebraucht wird – er kann nicht anders. Als er dabei hilft, das Inventar aus einem Restaurant in Nettersheim zu retten, kommt es zur Katastrophe. Das schlagartig ansteigende Wasser reißt den 68-Jährigen mit. Er ertrinkt.

Als Ernst Meyer gut zwei Wochen später in Nettersheim begraben wird, nehmen mehr als 200 Menschen von ihm Abschied. Während der Beisetzung läuft das Lied "Die letzte Fahrt" der Band Santiano. Darin heißt es: "Was wir heute sind, hast auch Du aus uns gemacht. Bist Du auch fort, Du bleibst uns nah."

Diese Worte gelten nicht nur für die Familie, Freunde und Feuerwehr-Kameraden des "Käpt'n". Sie stehen für eine ganze Gemeinde.

Durch das Hochwasser sterben im Sommer 2021 mehr als 180 Menschen. Viele werden verletzt, verlieren ihr Haus, manch einer seine ganze Existenz. Vier Personen werden – Stand 24. August – noch immer vermisst.

In einem großen Gedenkgottesdienst wurde am 28. August im Aachener Dom der Toten gedacht. Es war nicht nur ein Trost für die Angehörigen der Toten, sondern auch für alle anderen Opfer dieser Flutkatastrophe.