Virtual Reality bringt uns an Orte, an die wir sonst nicht kämen. Eine Zeitreise, ein Privatkonzert bei Nacht, ein Flug zu Orgelmusik, Flanieren zwischen aussortierten Steinstatuen und Beichtstühlen – ein jahrhundertealtes Wahrzeichen trifft auf High-Tech.
Die Grenzen von 360° und Virtual Reality auszuloten – erzählerisch und technisch, in einzelnen Episoden mit unterschiedlichen Schwerpunkten – das war das Ziel des WDR, als dieses Projekt 2016 entwickelt und umgesetzt wurde. Während der Orgelflug mit 360°-Akustik experimentiert, zeigt die Zeitreise, wie real künstliche Welten wirken können, die virtuell erzeugt wurden. Beim Besuch in der Dombauhütte verstärkten wir das Gefühl, inmitten der Bildhauerwerkstatt zu stehen, indem die 360°-Videos zusätzlich in 3D (stereoskopisch) aufgenommen wurden.
Viele Inhalte entfalten ihre immersive Wucht – also das Gefühl, sich wirklich im Mittelpunkt des Geschehens zu befinden – vor allem, wenn sie in einer VR-Brille betrachtet werden.
Der WDR ging mit diesem Projekt ganz bewusst an die Grenzen des damals technisch Machbaren. Trotzdem waren und sind fast alle Projekt-Inhalte für alle Internetnutzer:innen verfügbar. Neben dieser browserbasierten Seite, auf der wir alle Inhalte so präsentieren, dass sie auch ohne angeschlossene VR-Brille konsumierbar sind, ist ein besonderes Kapitel des Projekts nur an anderem Ort verfügbar: Auf der Plattform "Steam" kann die Photogrammetrie-Experience heruntergeladen werden. Mit ihr ist es möglich, den Kölner Dom in weiten Teilen virtuell zu begehen.
Zwei Türme inmitten von Trümmerhaufen – den Dom nach dem Zweiten Weltkrieg kennt mancher vielleicht noch von Fotos. Aber wie sah es in früheren Jahrhunderten aus?
In einem 360°-Video haben wir gemeinsam mit Archäolog:innen und Expert:innen für Computersimulation die Zeit zurück gedreht – und katapultieren euch durch die Jahrhunderte. Mitten auf die „Baustelle“ Dom im Mittelalter – oder in eine Zeit, in der dort noch reiche Römer residierten.
Feierabend im Dom. Die Besucher:innen sind weg, die Türen sind verriegelt, du bist allein – fast. Denn der Domchor singt. Nur für dich. Ein akustisches Erlebnis der seltenen Art: Unter Leitung des Domkapellmeisters Professor Eberhard Metternich singt der Chor das Ave Maria von Franz Biebl in einer eher ungewöhnlichen Aufstellung. Und du stehst mittendrin.
Die Idee entstand übrigens zufällig: Bei unseren abendlichen Aufbauarbeiten für einen der 360°-Drehs probte der Domchor. Aber anstatt aufzubauen, saß das ganze Team andächtig in den verlassenen Reihen, versunken lauschend. Und sofort war klar: Ein Chor-Konzert machen wir auch in 360°.
Verwitterte Wasserspeier oder von Granatsplittern abgeschlagene Köpfe: In absoluter Feinarbeit reparieren die Bildhauer:innen in den Werkstätten unterm Dom dessen Skulpturen – manchmal über Jahre.
Die Arbeiten sind ganz unterschiedlich: Während die eine an einem überlebensgroßen Friedensengel arbeitet, der zukünftig wieder in achtzig Metern Höhe den Dom zieren soll, reparieren die beiden anderen in Detailarbeit kleinere Figuren, denen Köpfe und ganze Gliedmaßen fehlen – Überbleibsel aus dem Krieg.
Die fehlenden Teile werden erst mit Gips oder Ton nachmodelliert und dann in Naturstein übertragen. Oben im Nordturm ist die Kammer der Inspiration: Dort lagern Modelle –sogenannte Bozetti – von fast allen Figuren des Doms. Erst so lässt sich nachvollziehen, was fehlt. Und auf diesem Weg lassen sich Gesichter, Musikinstrumente oder Hände bis ins kleinste Detail rekonstruieren. Die drei Bildhauer:innen sind:
Hans-Christoph Hoppe
restauriert die Heilige Elisabeth, der Granatsplitter im Krieg den ganzen Kopf abgetrennt haben. Die Punkte auf der Figur stammen vom Punktiergerät. Hierdurch wird sichergestellt, dass die Proportionen dieselben sind wie im Original.
Michael Oster
arbeitet an einem Friedensengel von 1875, der bald wieder in achtzig Metern Höhe am Dom prangen wird. Durch Wind und Wetter waren die Hände kaputt, der Bogen der Geige fehlt.
Uta Tröger
repariert Figuren für das Michaelsportal – direkt gegenüber vom Bahnhof. Durch Kriegsschäden fehlen ganze Köpfe und Hände. Die braunen Stellen sind diejenigen, die sie schon nachmodelliert hat.
Es ist schon Nacht im Dom und die Pforten sind geschlossen. Zeit, zur Ruhe zu kommen, Zeit für ein Privatkonzert in 360° Virtual Reality. Der Domorganist Prof. Winfried Bönig spielt das Finale der 8. Symphonie von Charles-Marie Widor. Und du kannst daneben sitzen oder das Orgelspiel aus schwebender Perspektive erleben.
An dieser Stelle gibt es nur einen kleinen Ausschnitt der gesamten Aufführung. In der App konntest du während des Konzerts deinen Standort beliebig wechseln: Hören, wie die Orgel an anderen Orten klingt: In die Sakristei, in den Ausgrabungen unter dem Dom oder hoch oben im Umgang, dem so genannten Triforium.
Eine große Idee und viele kleine Experimente: Vieles von dem, was jetzt hier zu sehen ist, hat der WDR 2016 zum ersten Mal gemacht. Wir haben viel probiert, manchmal vergebens. Aber auch viel dazu gelernt.
Um den Dom in die virtuelle Welt zu bringen, haben wir damals unglaublich viel gebastelt und experimentiert – nicht alles hat perfekt geklappt. Drei Beispiele:
360°-Videos wurden damals oft mit kleinen “Actionkameras” produziert. Sechs (oder mehr) davon wurden in ein Gestell gepackt und filmten dann in alle Richtungen. Das funktionierte bei genügend Licht ganz gut. Im Kölner Dom kann es allerdings sehr dunkel sein. Nach ersten Tests war klar: Wir brauchten eine andere Lösung. Nachdem wir diverse Kameramodelle erfolglos durchprobiert hatten, blieb nur noch eine (damals) sehr spezielle Lösung übrig: Fünf sehr lichtstarke Spiegelreflexkameras in einem speziell konstruierten Metallgestell.
Die Bildqualität dieser Lösung ist sehr gut, aber sie ist auch sehr fragil und fehleranfällig. Mehrfach haben uns Kameraprobleme einen eigentlich guten Take kaputt gemacht. Mal hatte sich während des Drehs eines der fünf manuell justierten Objektive verstellt – mal gab’s ein Problem mit einer der Speicherkarten: Die Dateien waren unbrauchbar, was sich aber leider erst nach dem Dreh herausstellte. Und wenn eine Kamera ausfällt, lässt sich aus dem restlichen Material kein 360°-Video mehr erzeugen.
Die 360°-Kamera sieht alles. Das klingt zunächst trivial, aber vom Fernsehen sind wir gewohnt, dass das Team sich hinter der Kamera verschanzt und nur in eine Blickrichtung keine Technik zu sehen sein darf. Bei 360°-Aufnahmen ist das anders: Alles, was stören könnte, muss aus dem “Bild”. Und auch das Team muss sich verstecken.
Erschwerend kam hinzu, dass es nur eine sehr einfache Live-Vorschau gab, auf der nicht immer alles zu sehen war – für den Kameramann manchmal ein Blindflug. Diesen oder jenen Kollegen haben wir in unseren Aufnahmen erst entdeckt, als wir uns die Videos später im WDR auf einem großen Monitor angesehen haben.
Der WDR produziert schon seit langer Zeit Hörspiele mit Surround-Ton. Also in einem Tonformat, bei dem nicht nur zwischen links und rechts unterschieden wird, sondern auch zwischen vorne und hinten. Für VR-Inhalte ist das ideal – allerdings mussten wir feststellen, dass die vorhandene Bearbeitungssoftware zwar sehr hochwertige Dateien ausgeben kann, für unsere Apps und diese Homepage aber ein eher einfaches Format benötigt wird. Das konnte unsere Software nicht. Mit ein wenig Bastelei haben wir aber doch noch eine Lösung gefunden und viel über Tonformate gelernt.
Das Projekt wurde von einem interdisziplinären Team umgesetzt.
Redaktionelle Verantwortung: Stefan Moll
Konzept und Redaktion: Stefan Domke, Thomas Hallet, David Ohrndorf, Lisa Weitemeier
Autor Kontext-Informationen: Heinz Greuling
Realisierung Photogrammetrie: David Finsterwalder, Daniel Sproll (realities.io)
Realisierung Zeitreise: Jörg Courtial, Maria Courtial (Faber Courtial)
Realisierung 360°-Fotos: Chris Witzani (schnurstracks.de)
360°-Audio: Achim Fell, Benno vom Hofe, Martin Zylka
Aufnahmeleitung: Dirk Meffert
Produktionsleitung: Bettina Stein
Ob klassisch im Internetbrowser, auf einer mobilen Webseite oder sogar auf einer Plattform, die überwiegend Spiele anbietet – das Dom-VR-Projekt ist auf vielen Wegen zugänglich. Aber wo liegen die Unterschiede?
Diese Seite des Projekts zeigt nur einen Ausschnitt von dem, was insgesamt im Rahmen des Dom-Projekts produziert wurde. Einige Inhalte sind technisch nicht für die Darstellung in einer herkömmlichen Internetseite geeignet, andere nur mit starken Einschränkungen. Und einige Inhalte sind inzwischen nicht mehr verfügbar, weil die App aus technischen Gründen nicht mehr nutzbar ist.
Einige Bereiche des Doms haben wir mit einer ganz besonderen Technik in die virtuelle Welt transferiert: Mit Hilfe der Photogrammetrie. Dank ihrer Unterstützung gelingt die Immersion am besten. Denn anders als in einem herkömmlichen 360°-Bild kann der Betrachter sich nicht nur um die eigene Achse drehend umschauen. Er kann sich innerhalb der virtuellen Umgebung gänzlich frei im Raum bewegen. Diese Photogrammetrie lässt sich derzeit nur auf speziellen VR-Brillen (z.B. HTC Vive und Oculus Rift), die mit einem leistungsstraken PC verbunden sein müssen, erleben. Das Photogrammetrie-Angebot ist kostenlos auf der Steam-Plattform verfügbar.
Willkommen im Kölner Dom! Hier ist er rund um die Uhr geöffnet - für eine virtuelle Tour mit 360°- Rundumblick.