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WDR

Text: Jörn Kießler
Redaktion: Thierry Backes, Lucas Kreling
Video: Frank Strohdiek, Anna Zdrahal
Beitrag "Hier und Heute" von 1971: Klaus Ingo Plümecke (Autor), Theo Osterhold (Kamera)
Grafiken: Jörn Kießler, Till Hafermann

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Die kaputte Autobahn

Einst galt die A45 als die „Königin der Autobahnen“, heute ist sie ein Sanierungsfall: Alle 60 Brücken der „Sauerlandlinie“ müssen abgerissen und neu gebaut werden. Die Rahmedetalbrücke, deren Neubau am 5. Oktober mit einem Spatenstich offiziell beginnt, ist dabei nicht mehr als ein kleiner Baustein.

Von Jörn Kießler

Die Zukunft der A45 ist 984,5 Meter lang und 36,5 Meter breit. Die Lennetalbrücke bei Hagen ist die ersten Brücke in NRW, die im Zuge des Ausbaus und der Sanierung der Sauerlandlinie neu gebaut wurde. Seit dem 13. August 2021 ist sie befahrbar.

Das Problem ist nur: In Nordrhein-Westfalen ist sie bislang die einzige Brücke auf der A45, deren Bau bereits abgeschlossen ist. 37 weitere müssen in den kommenden Jahren ersetzt werden.

Zum Vergleich: Von den 22 Talbrücken, die auf hessischem Gebiet neu errichtet werden müssen, stehen bereits sechs. Ende 2023 soll mit der Talbrücke Kalteiche der siebte Neubau für den Verkehr freigegeben werden.

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Bis die Sanierung der 257 Kilometer langen Sauerlandlinie komplett abgeschlossen ist, werden noch mindestens zwölf Jahre ins Land ziehen. Denn von der „Autobahn der Superlative“, wie die Medien die A45 nach der Einweihung durch den damaligen Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) nannten, ist nicht mehr viel übrig.

Die „Königin der Autobahnen“ ist vor allem eins: kaputt! 

Die „Königin der Autobahnen“ ist überlastet

Die Sanierung der Sauerlandlinie und der Neubau aller Talbrücken sind ein gewaltiges Problem. Denn die A45, die das Ruhrgebiet mit Süddeutschland verbindet, gehört seit ihrer Eröffnung 1971 zu den wichtigsten Autobahnen in NRW. Sie entlastete nicht nur die schon damals stark befahrene A3 vom Ruhrgebiet über Köln bis nach Frankfurt. Sie wurde auch zur Lebensader für das Siegerland und das Sauerland.

„Entlang der Autobahn ließen sich immer mehr Unternehmen und Industrie nieder“, erklärt Hans-Peter Langer von der IHK Siegen. „Das zog immer mehr Menschen in die Region und vor allem die Kommunen in direkter Nachbarschaft der A45 wuchsen.“ Mehr noch: Sie blühten geradezu auf.

„Die Sauerlandlinie ließ zwei Regionen näher zusammenrücken, die schon lange wirtschaftlich eng miteinander verbunden waren“, erklärt der Historiker Oliver Schmidt, der seit 2021 das Sauerland-Museum in Arnsberg leitet. „Die Rohstoffe, die die Industrie in Südwestfalen brauchte, kamen aus dem Ruhrgebiet. Aus Südwestfalen bezog das Ruhrgebiet neben Wasser viele wichtige Industriegüter und Technik für die Großindustrie.“

Durch den Anschluss an das Autobahnnetz erlebte die Region einen wahren Boom. „Südwestfalen ist heute die bedeutendste Industrieregion NRWs“, sagt Schmidt. „Bundesweit belegt sie Platz drei.“

In den 60er-Jahren herrschte in Deutschland eine Technik- und Zukunftseuphorie. Die A45 hat genau diese Hoffnungen erfüllt.

Oliver Schmidt, Historiker

Gleichzeitig brachte die neue Sauerlandlinie immer mehr Touristen in das landschaftlich schöne Südwestfalen – aus dem Ruhrgebiet, später auch aus Süddeutschland und den Niederlanden. Die Autobahn selbst wurde mit ihren insgesamt 60 Talbrücken und 120 weiteren kleinen Brückenbauwerken zur Attraktion.

Auch der WDR bejubelte die A45 in der Sendung „Hier und Heute“ vom 22. Oktober 1971 kurz vor der Eröffnung als „Verkehrsader der Superlative“ und eine „Strecke mit Profil“. Hier ein Auszug aus dem damaligen Beitrag:



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„In den 60er-Jahren herrschte in Deutschland eine Technik- und Zukunftseuphorie“, sagt Schmidt. „Und die A45 hat genau diese Hoffnungen erfüllt.“

Gut 50 Jahre nach der Einweihung der Sauerlandlinie sieht das anders aus. Der Verkehr hat über die Jahrzehnte immer weiter zugenommen. Auf den meistbefahrenen Abschnitten waren laut Autobahn GmbH im Jahr 2021 täglich gut 60.000 Fahrzeuge unterwegs – mehr als ein Viertel Lastwagen. Und genau hier liegt das Problem. Denn die vier- bis fünfspurige Autobahn wurde nicht für eine solche Verkehrsbelastung konzipiert.

Bereits 2007 veröffentlichte die Universität Siegen ein Gutachten, in dem sie auf die Abschnitte der A45 hinwies, die schon damals ihre Kapazitätsgrenzen erreicht hatten. Der Vorschlag: Damit es nicht zum Verkehrskollaps auf der wichtigen Verbindung komme, sollte die Sauerlandlinie sechsspurig ausgebaut werden.

Im Juli 2014 erarbeiteten die Industrie- und Handelskammern Siegen, Hagen und Dortmund gemeinsam mit der Universität Siegen den „Masterplan A45“, in dem auch schon auf den kritischen Zustand der Brücken auf der Strecke hingewiesen wurde. Wegen der angestrebten Erweiterung der Sauerlandlinie, vor allem aber wegen des Verschleiß’ durch die Überlastung sei der „Neubau sämtlicher Talbrücken im Zuge der A45 erforderlich“, hieß es darin.

Und tatsächlich hörte man im Bundesverkehrsministerium den Hilferuf aus Südwestfalen. Als der Bundestag im Dezember 2016 den Bundesverkehrswegeplan 2030 beschloss, stand darin der Ausbau der fast kompletten A45 als „vordringlicher Bedarf“. Auch alle 60 Brücken auf der Sauerlandlinie sollten neu gebaut werden.

Dann passierte allerdings erstmal nichts.

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Die Rahmede­talbrücke – oder: eine Kata­strophe mit Ansage

Zum Sinnbild der Tatenlosigkeit ist die alte Rahmedetalbrücke geworden. Jahrelang bekam das Bauwerk bei Lüdenscheid bei den routinemäßigen Untersuchungen immer wieder schlechte Noten. Saniert wurde sie aber nicht. Zwar gab die von SPD und Grünen geführte NRW-Landesregierung 2015 den Neubau der Talbrücke in Auftrag, dieser wurde aber schon 2017 von der neu gewählten schwarz-gelben Koalition verschoben, weil sie andere Brückenprojekte für dringlicher erachtete.

Erst 2021 kam wieder Bewegung in das Projekt – oder besser gesagt: das Gegenteil. Wegen Verformungen, Rissen und Korrosionsschäden am Bauwerk, sperrte die Autobahn GmbH die Brücke für den Verkehr. Vom 2. Dezember 2021 bis zur Sprengung am 7. Mai 2023 hat kein Auto mehr die Rahmede auf der A45 überquert.

🧨 Im Video: Der Moment der Sprengung der Rahmedetalbrücke

Die Folge: Fast täglich wälzt sich eine Blechlawine aus Autos und Lkw über die gut 8,5 Kilometer lange Umleitungsstrecke zwischen den Anschlussstellen Lüdenscheid-Nord und Lüdenscheid. Es ist eine verkehrstechnische Katastrophe für Pendler, Anwohner und Wirtschaft, die noch bis Mitte 2026 dauern soll. Dann soll der erste Teil der neuen Rahmedetalbrücke für den Verkehr freigegeben werden.





Dass die A45 an der fraglichen Stelle seit knapp zwei Jahren nicht mehr befahren werden kann, ist auch wirtschaftlich ein Fiasko. Im März 2022 legte das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln die Ergebnisse einer Untersuchung vor, die der Westfälische Verkehrsverband in Auftrag gegeben hatte. Darin untersuchte IW Consult, wie hoch der Schaden ist, der der Wirtschaft durch die Sperrung der Rahmedetalbrücke entstand. „Die negativen Effekte durch die Brückensperrung addieren sich in den nächsten fünf Jahren auf mindestens 1,8 Milliarden Euro“, heißt es darin.

Doch die Sperrung bringt noch ganz andere Probleme für die Unternehmen in der Region mit sich. „Der Fachkräftemarkt in den Kreisen Siegen-Wittgenstein und Olpe ist damit noch mehr unter Druck als er es ohnehin schon war“, sagt Hans-Peter Langer von der IHK Siegen. „Firmen, die neue Mitarbeiter suchen, haben hierdurch sehr schlechte Karten.“ Denn auch die Möglichkeit, Fachkräfte aus anderen Teilen NRWs oder Deutschlands in das Siegerland oder Sauerland zu locken, ist utopisch. Wer will schon in eine Region ziehen, die so schlecht an den Rest des Landes angebunden ist?

Stattdessen hat in manchen Bereichen schon eine Art Landflucht begonnen. „Wir haben Auszubildende, die nach Hagen oder Dortmund in die Berufsschule gehen“, sagt Langer. „Die machen das eine Zeit mit und dann kündigen sie, einfach weil sie die Fahrerei nicht ertragen.“

Denn selbst wenn die Rahmedetalbrücke ab 2026 wieder befahrbar sein sollte, wird sich die Verkehrssituation auf der Sauerlandlinie bis mindestens 2035 nicht entspannen.

Auch weil noch eine der größten Herausforderungen auf die Autobahn GmbH wartet: die Siegtalbrücke.

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Die Siegtalbrücke: Rückbau statt Sprengung

Als die Siegtalbrücke 1976 fertiggestellt wurde, war sie mit 100 Metern Höhe die höchste Autobahnbrücke Deutschlands. Über eine Länge von 1.050 Meter quert sie nicht nur die Sieg, sondern auch ein Wohn- und ein Gewerbegebiet. Das macht vor allem den Abriss zu einem Problem.

Eine Sprengung ist ausgeschlossen. Stattdessen prüft die Autobahn GmbH mehrere Varianten, wie die Siegtalbrücke demontiert werden kann. Bei einer Variante könnte die Fahrbahn Stück für Stück herausgeschnitten und mit einem Portalkran herausgehoben werden. Eine weitere Idee ist das Herausziehen der Fahrbahn in einem Stück über die Pfeiler. Anvisierter Beginn der Arbeiten ist 2028. Bis 2035 soll die neue Brücke stehen.

Ob das auch wirklich alles so klappt, ist eine andere Frage. „Die bisherigen Sanierungen zeigen, dass immer wieder Überraschungen auftauchen können, die die Arbeiten verzögern“, sagt Hans-Peter Langer von der IHK Siegen. Beispielsweise wurde bei der Vorbereitung der Sprengung der Rahmedetalbrücke festgestellt, dass in den Pfeilern der Brücke weniger Stahl verbaut wurde als in den Plänen angegeben.

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Bei der Talbrücke Rinsdorf war der Untergrund felsiger als angenommen. Und an anderen Brücken wurden Tierpopulationen gefunden, mit denen niemand gerechnet hatte und die vor dem Abriss umgesiedelt werden mussten.

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Auf dem Weg zur freien Fahrt

Doch es geht auch anders: Auf einigen Abschnitten auf der Sauerlandlinie läuft es mit den Brückenerneuerungen fast reibungslos. Zum Beispiel an den letzten vier Brücken auf NRW-Gebiet, bevor die A45 die Grenze nach Hessen überquert: In diesem Bereich wird aktuell gleichzeitig an den Talbrücken Eisern, Rälsbach, Rinsdorf und Landeskroner Weiher gearbeitet.

Trotz der Arbeiten gelingt es hier, die Einschränkungen für den laufenden Verkehr verhältnismäßig gering zu halten. Die Bauarbeiten an den Talbrücken Rinsdorf und Rälsbach laufen etwa parallel, um die Behinderungen nicht unnötig in die Länge zu ziehen.

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Der Neubau von drei der Brücken befindet sich auf der Zielgeraden. Die ersten Teile der Ersatzneubauten in Eisern, Rälsbach und Rinsdorf sind schon in Benutzung, die alten Brücken gesprengt. Aktuell werden die zweiten Teile der Bauwerke errichtet.

Bei der Brücke über den Landeskroner Weiher wurde der erste Brückenteil Ende Oktober 2022 zum Einsturz gebracht. Der Verkehr läuft über den noch stehenden alten Brückenteil, der verstärkt wurde, um die höhere Verkehrsbelastung zu bewältigen. Vom neuen Brückenteil sollen noch in diesem Jahr die ersten Pfeiler fertig werden.

Wenn man ehrlich ist, kennen viele Menschen die A45 nur mit Baustellen, verengten Fahrbahnen und Staus.

Oliver Schmidt, Historiker

Bis jedoch die komplette „Königin der Autobahnen“ wieder in neuem Glanz erstrahlt, werden noch Jahre vergehen. Eine Belastungsprobe für die gesamte Wirtschaftsregion Südwestfalen, aber auch die Anwohner und Pendler, die täglich auf der Sauerlandlinie unterwegs sind. „Wenn man ehrlich ist, kennen viele Menschen die A45 nur mit Baustellen, verengten Fahrbahnen und Staus“, sagt der Historiker Schmidt.

Die IHK Siegen, Hagen und Dortmund versuchen den jahrelangen Sanierungsarbeiten einfach etwas Positives abzugewinnen. „Mit der neuen A45 kommen neue, sichere und schönere Brückenbauwerke“, heißt es auf einer Internetseite, die die Industrie- und Handelskammern eigens für die Sanierung der Sauerlandlinie eingerichtet haben.

Sehr viele andere Optionen bleiben den Menschen auch nicht. „Natürlich haben wir hier auch ein Bahnnetz“, sagt Schmidt. Das reiche aber bei weitem nicht, um die Funktion der A45 zu übernehmen: „Wir werden die Sauerlandlinie noch viele Jahrzehnte brauchen.“

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