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WDR

Autorin: Claudia Wiggenbröker
Grafik: Michelle Winter und Anna Zdrahal
Redaktion: Rainer Kellers

Fotocredits: WDR, dpa/ picture alliance/ photothek, Chromorange / newspixx vario ima

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Landwirtschaft von morgen

Wie sehen die Bauernhöfe der Zukunft aus?



Die Herausforderungen sind groß: Wir brauchen eine Landwirtschaft, die robuster gegen Extremwetter ist, die umweltfreundlich wirtschaftet und trotzdem bezahlbare Lebensmittel erzeugt. Unmöglich? Nicht unbedingt.

von Claudia Wiggenbröker (Text), Michelle Winter und Anna Zdrahal (Grafiken)



Große Betriebe, große Flächen, Monokulturen und Massentierhaltung. So sieht die Situation in der Landwirtschaft in NRW noch überwiegend aus. Das hat Folgen für die Umwelt: Die Artenvielfalt sinkt, kostbares Wasser wird verbraucht, zu viele Emissionen werden freigesetzt und im Boden steckt zu viel Nitrat. Gleichzeitig kämpfen Höfe ums Überleben.

Doch Landwirtinnen und Landwirte haben Ideen, wie sie ihre Felder und Höfe anders bewirtschaften können.

Wir stellen einige der Probleme und ein paar der Lösungen vor:

Problem

Die Artenvielfalt sinkt





















Aktuell stehen in NRW rund 45 Prozent der Arten auf der Roten Liste. Selbst die Gefährdung von typischen “Allerweltsarten” nimmt zu. Ein großer Treiber für die sinkende Artenvielfalt ist die intensive und monotone Landwirtschaft.

Der starke Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zerstört natürliche Lebensräume. Je intensiver landwirtschaftliche Böden mit Pestiziden behandelt, gepflügt und gemäht werden, desto geringer ist die Artenzahl von Bodentieren. Überdüngung belastet Böden und Gewässer. Blühstreifen, Hecken, Gehölze und andere natürliche Elemente wurden oftmals von den Äckern entfernt. Übrig blieben Monokulturen, die vor allem Insekten und Vögeln zu wenig Abwechslung bieten.

Lösungen

Mehr Mischkulturen

Es sind einige Lösungen denkbar, eine davon ist eine höhere Pflanzen-Vielfalt. Sie könnte dabei helfen, die Landwirtschaft gegen den Klimawandel robuster zu machen. Hinweise aus der Forschung legen nahe, dass Mischkulturen zu höheren Erträgen führen als Monokulturen. Zudem gäbe es mehr Abwechslung für die Tierwelt. 

Auch Brach- und Blühflächen könnten dabei helfen, wieder mehr Insekten, Würmern und andere Tieren einen Lebensraum zu bieten. So können auch Nützlinge wie Marienkäfer oder Ohrenkneifer angesiedelt werden, die Schädlinge wegfressen und Pflanzen so schützen. Das würde auch dazu führen, dass weniger Pestizide auf den Feldern genutzt werden müssten.

Ideen aus NRW

Für den Versmolder Bio-Bauern Ingo Haßheider ist Ackerbau und Viehhaltung im Schatten die Zukunft der Landwirtschaft. Bäume und Futtersträucher verwandeln seine Fläche in einen Agroforst - Landwirtschaft und Forst werden also kombiniert. Haßheider erreicht damit gleich mehrere Ziele: Der Bewuchs bietet im Sommer Schatten für seine Tiere und verhindert, dass der Boden austrocknet. 

Andreas Pohlmann aus Ostbevern ist konventioneller Landwirt und will weniger Pestizide nutzen. Deshalb testet er einen Feldroboter, der Unkraut aus den Feldern gezielt entfernt. "Ich probiere gern was aus", sagt Pohlmann. Er will heute schon wissen, welche Möglichkeiten in Zukunft interessant werden. 

Problem

Trockenheit





















Seit 2018 hat es nach Angaben des NRW-Umweltamts zu wenig geregnet. Weil die tiefen Bodenschichten trocken sind, versickert Regenwasser schneller als gewöhnlich - und die Pflanzen kommen an das Wasser nicht mehr heran.

Mangelt es an Wasser in den entscheidenden Wachstumsphasen, sinkt der Ertrag der Landwirte schnell um 30 bis 40 Prozent. Auch die Qualität der Ernte verschlechtert sich bei Wassermangel. 

Also einfach mehr bewässern? Das kann nicht die Lösung sein - denn Wasser ist mittlerweile eine kostbare Ressource. Bundesumweltministerin Steffi Lemke sagte dazu jüngst:

Wir haben jetzt mehrere Sommer gehabt, wo es Schwierigkeiten mit der Wasserversorgung in manchen Teilen Deutschlands gab.

Bundesumweltministerin Steffi Lemke

NRW-Umweltminister Oliver Krischer rechnet damit, dass es im Westen Debatten über die Verteilung geben wird. Auch wenn bisher nicht dokumentiert wurde, wo Grundwasser zu welcher Nutzung entnommen wird. "Da muss es mehr Transparenz geben, wenn Wasser knapp wird."

Lösungen

Anders pflanzen und bewässern

Es gibt keine verlässlichen Zahlen darüber, wie viel Wasser die Landwirtschaft verbraucht. Klar ist aber: Die Trockenheit nimmt zu - und kostbares Nass muss gespart werden.

Eine Idee ist, Regenwasser in Tanks oder Rückkhaltebecken zu speichern. Helfen können zudem neue, wenn auch oft teure, Bewässerungssysteme. Statt ihre Felder im hohen Bogen zu sprengen, bringen Landwirte das Wasser dann näher am Boden aus. So verdunstet weniger oder wird vom Wind weggetragen.

Auch der Anbau von Arten, die besser mit Hitze und Trockenheit auskommen, wird erprobt. Quinoa wächst beispielsweise nicht mehr nur in Südamerika, sondern auch in Pulheim bei Köln.

Getestet werden auch Pflanzenarten, die sich für wiedervernässte Moor-Böden eignen. Viele Moore wurden einst trockengelegt, um sie landwirtschaftlich zu nutzen. Das hat allerdings dazu geführt, dass der in den Mooren gespeicherte Kohlenstoff freigesetzt wird - und als CO2 entweicht. Auch wenn der Anteil der Moore an der landwirtschaftlichen Fläche nur bei sieben Prozent liegt, trägt ihre Entwässerung zu einem Drittel der Treibhausgas-Emissionen in dem Sektor bei.

Umstritten sind dagegen noch Pflanzen-Arten, die gentechnisch verändert wurden. Viele Forscher sehen aber enormes Potenzial: So besteht die Hoffnung, stressresistente Maispflanzen oder eine Weizensorte zu entwickeln, die gegen die Pilzkrankheit Mehltau resistent ist.

Ideen aus NRW

Rieke Künsemöller hat auf ihren Feldern bewusst Klee gepflanzt. Und der schützt die Erde vor Trockenheit. "Der Boden ist bedeckt und überhitzt nicht mehr", sagt die Landwirtin aus OWL. Das tut dem Boden und den darin lebenden Tieren gut. Künsemöllers Betrieb ist deshalb auch zum "Bio-Betrieb des Jahres" gekürt worden.

Fabian Karthaus im Kreis Paderborn setzt auf seinen Feldern moderne Technologie ein. Mit Satellitenaufnahmen unterscheidet er fruchtbaren von trockenem Boden auf seinem Acker.



Problem

Massentierhaltung





















Immer wieder machen Tierschützer verstörende Aufnahmen in Ställen. Zum Beispiel im Herbst 2022 im Münsterland und Ostwestfalen. Zu sehen waren abgemagerte, verwundete und tote Schweine. 

In Deutschland schaffen es viele Schweine nicht mal bis zur Schlachtung: Ein Viertel wird tot geboren oder stirbt während der Mast. So steht es im Fleischatlas der Böll-Stiftung. Ein Grund dafür sind auf Hochleistung gezüchtete Rassen, die zwar mehr, aber auch kleinere und anfälligere Ferkel werfen. Ein weiterer Grund für das frühe Ableben der Tiere sind schlechte Haltungsbedingungen in der intensiven Tierhaltung.

Lösungen

Weniger und besseres Fleisch

Agrarminister Cem Özdemir meint: Will man auch künftig Tierhaltung in Deutschland haben, müsse es eine andere sein als heute. Özdemir fordert, dass weniger Tiere gehalten werden. Die Tiere sollen dafür mehr Platz in den Ställen haben. Das sei gut für die Tiere und auch fürs Klima.

Um das zu erreichen, hat Özdemir ein verpflichtendes "Tierwohl-Label" auf den Weg gebracht, zunächst für Schweinefleisch. Verbraucher sollen so beim Kauf sehen, wie die Tiere vor der Schlachtung gehalten wurden.

Doch wird das allein für mehr Tierwohl und Nachhaltigkeit reichen? Der Wirtschaftsethiker Nick Lin-Hi ist pessimistisch. Er meint - wie viele andere Forschende - dass wir unseren Fleischkonsum massiv reduzieren müssen.

Die Bereitschaft in der Gesellschaft dafür nimmt zwar zu, in der Breite bleibt Deutschland aber ein Land von Fleischessern. Lin-Hi sieht die Zukunft daher in radikalen Innovationen wie In-Vitro-Fleisch, also kultiviertem Fleisch aus dem Labor. In Singapur und den USA ist das Laborfleisch bereits zugelassen.

Zu betonen ist, dass es sich hierbei um echtes Fleisch handelt und damit genauso schmeckt und aussieht wie das, was wir heute essen.

Wirtschaftsethiker Nick Lin-Hi

Ideen aus NRW

Kate Jacobi betreibt mit ihrer Familie einen Bio-Hof im Südwesten von NRW. Ihre Rinder können selbst entscheiden, wann sie im Stall oder auf der Weide sein möchten - und wann sie gemolken werden. Die Milch wird in der hofeigenen Käserei verarbeitet. Auch Saatgut wird von den Jacobis verkauft.

In Freudenberg leben Aubrac-Rinder, eine besonders robuste Hochlandrinder-Rasse aus Frankreich. Die Tiere sind genügsam und können ihre Kälber ohne menschliche Unterstützung zur Welt bringen. Sie leben den ganzen Sommer über auf den Weiden rund um den Hof. Um die Gesundheit der Tiere im Blick zu behalten, fährt Landwirt Mark Junglas mit dem Quad zur Herde.





Problem

Dünger





















Das Münsterland gehört zu den Regionen mit den größten Nutztierbeständen in Deutschland. Und zu den Orten, in denen sehr viele Grundwasser-Messstellen die erlaubten Höchstwerte für Nitrat überschreiten. Zurückzuführen ist das auf das intensive Düngen mit Gülle in den vergangenen Jahrzehnten.

Das Problem: Wird zu viel gedüngt, können die Pflanzen Nährstoffe wie Stickstoff nicht verwerten. Der gelangt dann als Nitrat ins Grundwasser. So wird auch das Trinkwasser belastet. Das Nitrat muss umständlich und kostspielig herausgefiltert werden, ansonsten kann es schädlich für den Menschen werden. Auch den Pflanzen tut die Überdüngung keineswegs gut: Sie werden anfälliger, zum Beispiel für Schädlinge.

NRW hat mit einer Verschärfung des Düngerechts auf das Nitrat-Problem reagiert. Das sorgt für Unmut bei Landwirtinnen und Landwirten, die ihre Pflanzen mit Stickstoff versorgen müssen. Wie kann das umweltfreundlicher gelingen?

Lösungen

Fruchtfolgen und Digitales

Bereits bei der Entstehung der Gülle kann angesetzt werden: mithilfe von stickstoff- und phosphorreduzierten Fütterungsverfahren. So lässt sich schon in der Schweinhaltung die Düngebilanz verbessern.

Die Digitalisierung hilft auf dem Feld: So werten etwa Algorithmen Satellitenbilder von Feldern aus und berechnen den spezifischen Düngeraufwand, damit die Nährstoffe bei der Pflanze und nicht im Grundwasser ankommen. Schonende Bodenbearbeitung kann ebenfalls helfen, den Acker fruchtbar zu halten.

Reduzieren lässt sich der Dünge-Bedarf zudem durch bestimmte Fruchtfolgen. Ackerkulturen wie beispielsweise Getreide, Raps und Kartoffeln werden nicht Jahr für Jahr auf der gleichen Fläche ausgebracht. Die Gefahr, dass sich Schädlinge vermehren, wäre dabei zu groß. Stattdessen werden "zwischendurch" andere Kulturen angebaut - eine Fruchtfolge.

Zum Beispiel Hülsenfrüchtler wie Erbsen und Lupinen oder Futterpflanzen wie Klee. Sie binden Stickstoff aus der Luft und sammeln ihn im Boden. So werden auch die Folgefrüchte mitversorgt - und die Landwirte müssen weniger Dünger ausbringen. Zugleich sind Klee und Co. humusaufbauend und machen den Boden fruchtbarer.

Ideen aus NRW

Schon 2005 hat Wilhelm Seemer eine Biogasanlage gebaut: "Damit die Gülle nicht mehr stinkt", sagt er. Viele Landwirte aus der Umgebung bringen ihm mittlerweile ihren Mist. Daraus erzeugt Bauer Seemer Energie. Eine Energie-Genossenschaft wurde gegründet, die nun fast 500 Menschen versorgt.

Viktoria und Burkhard Voss aus Rinkerode bauen Lupinen an. Die Samen sind vielseitig einsetzbar. Besonders stolz sind die Landwirte auf ihren Lupinen-Kaffee. Ein weiterer Vorteil: Die Pflanzen brauchen keinen Dünger und sorgen für eine bessere Bodenqualität.

Problem

Kostendruck





















Landwirte und Landwirtinnen sollen Lebensmittel zu erschwinglichen Preisen produzieren. Dabei kommt immer weniger von dem Geld, das Verbraucherinnen und Verbraucher für Nahrungsmittel bezahlen, bei den Höfen an.

Zudem steigen die Anforderungen: Neue Auflagen müssen beachtet werden. Effiziente Maschinen und neue Technologien kosten Geld. Doch die Preise sind hoch, auch für Energie und Dünger. Das zwingt viele Landwirtinnen und Landwirte zum Aufgeben. Gab es 1991 noch mehr als 60.000 Betriebe in NRW, waren es 2020 nur noch die Hälfte. Dies hat das statistische Landesamt ermittelt.

Die Betriebe, die überleben, werden meist größer: Sie bewirtschaften mehr Fläche und halten mehr Vieh. Weil ihnen moderne Technik die Möglichkeit bietet - und weil sich der Einsatz von teurer Technologie nur so lohnt. Wachsen oder Weichen.

Lösungen

Alternative Einkommensquellen

Grundsätzlich lässt sich sagen: Je kürzer die Wertschöpfungskette, desto mehr verdienen Landwirtinnen und Landwirte am Verkauf ihrer Erzeugnisse. Deshalb nutzen viele mittlerweile die Option der Direktvermarktung. Zum Beispiel über Märkte und Hofläden, aber auch über "Abo-Modelle" wie Obst- und Gemüsekisten. Das kann den klassischen Handel nicht ersetzen, aber ein weiteres Standbein bieten.

Allerdings leiden viele Hofläden in NRW unter einer sinkende Nachfrage. Die Kunden achten mehr aufs Geld. Viele Höfe machen sich daher Gedanken über weitere Einkommensquellen, bieten zum Beispiel Ferienwohnungen oder andere Urlaubsangebote an.

Die Erzeugung von Erneuerbaren Energien kann ebenfalls ein Standbein sein. Erprobt wird das Konzept der Agri-Photovoltaik: Solarmodule werden über landwirtschaftlichen Flächen errichtet. Sie erzeugen erneuerbaren Strom, der vermarktet werden kann. Ein weiterer Vorteil: Die Module schützen Pflanzen vor Spätfrost, Hagel und Starkregen oder vor zu hoher Sonneneinstrahlung.

Ideen aus NRW

Der Hof von Nicole Nassiry ist kein reiner Bauernhof, sondern eine Mischung aus Landwirtschaft und betreutem Wohnen. Psychisch Erkrankte helfen unter anderem im Hofladen und bei der Versorgung der Tiere mit, um zurück ins Leben zu finden.

Vor ein paar Jahren haben Anja und Marius Pötting eine Solidarische Landwirtschaft gegründet: Menschen aus der Umgebung kaufen Anteile, helfen bei der Bewirtschaftung der Gemüseflächen und werden dann - je nach Saison und Ertrag - mit regionalen, ökologischen und nachhaltigen Produkten versorgt.

Ein ähnliches Konzept verfolgt auch Landwirt Ulrich Krispin mit seiner "Hühner-Aktie": Verbraucher können Anteilseigner einer Hühner-Herde werden, als Dividende gibt es frische Bio-Eier.



Über dieses Thema berichtet unter anderem auch die Aktuelle Stunde im WDR Fernsehen.