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Autoren und Recherche: Christof Voigt, David Peters, Dina Dada (WDR) und Edgar Lopez MDR)
Redaktion: Philipp Blanke, Raimund Groß (WDR) und Monique Junker (MDR)

Medien
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Wie Neonazis aus NRW rechts­extreme Strukturen in Ostdeutschland ausbauen

Führende Dortmunder Neonazis haben in den vergangenen Jahren NRW verlassen und sind nach Sachsen und Sachsen-Anhalt gezogen. MDR- und WDR-Recherchen zeigen, wie sie dort ihre Ideologie weiterführen und neue rechtsextreme Strukturen entstehen.

Darum geht es in diesem Beitrag:



Autoren und Recherche
Christof Voigt, David Peters, Dina Dada (WDR) und Edgar Lopez (MDR)
Redaktion
Philipp Blanke, Raimund Groß (WDR) und Monique Junker (MDR)
Veröffentlichung
18. Januar 2025

Dortmund: Besuch von alten Führungskadern

"Die rechte Szene in Dortmund ist zerschlagen." Das schreibt die Dortmunder Polizei in einer Pressemitteilung am 18. November 2024. Führungspersonen seien "aus Dortmund abgewandert." Die Mobilisierung zu Demos sei in 2024 "so gering wie nie zuvor" gewesen. Dabei galt Dortmund bundesweit als eine Hochburg der rechtsextremen Szene.

Elf Tage später stehen wir auf dem Wilhelmplatz in Dortmund-Dorstfeld. Es ist ein trister Abend, zwei Grad, nasskalt. Und vor uns stehen etwa 50 Neonazis. Es ist die erste wahrnehmbare rechtsextreme Kundgebung in Dortmund seit Monaten. Die überschaubare Gruppe hat sich im Halbkreis um einen Lautsprecherwagen gestellt. Ein paar halten schwarz-weiß-rote Fahnen vor sich, die haben sie sich vorher am Lautsprecherwagen abgeholt. Wir schauen in viele junge Gesichter, manche hier scheinen zum ersten Mal auf so einer Kundgebung zu sein.

Eine Neonazi-Demonstration in Dortmund-Dorstfeld im November 2024.

Vor dem Wagen steht Sven Skoda, seit mehr als zwei Jahrzehnten in der rechtsextremen Szene Nordrhein-Westfalens verwurzelt und schon seit Jahren in Dortmund aktiv. Nach dem Abgang führender Neonazi-Kader aus Dortmund ist Skoda in die erste Reihe gerückt. Er teilt sich die Führungsrolle jetzt offensichtlich mit dem mehrfach vorbestraften Sascha Krolzig. Der kommt ursprünglich aus Hamm, ist aber wie Skoda schon seit vielen Jahren in der Dortmunder Neonazi-Szene unterwegs.

Heute Abend sind sie hier, um der Dortmunder Polizei zu zeigen: Wir sind nicht zerschlagen. Es gibt noch eine Nazi-Szene in Dortmund.

"Dieser Staat ist mein Feind"

Sven Skoda steht mit einem Mikrofon vor dem Lautsprecherwagen, einem älteren, silbernen Transporter. Gleich zu Beginn seiner Rede sagt er, dass es richtig sei, dass die Szene im vergangenen Jahr kaum in Erscheinung getreten sei. Aber man habe die Zeit genutzt, um junge Menschen anzusprechen. Skoda ist sich sicher: "Dass es eine Jugend gibt, die genau in diesem Geist aufwachsen wird. Eine Jugend, die erkennt: Dieser Staat ist mein Feind. Dieser Staat kämpft gegen mich. Dieser Staat kämpft gegen sein eigenes Volk."

Und der Rechtsextremist hat noch eine Botschaft, die sich an die Dortmunder Polizei richtet: "Wir sind nicht schwächer geworden. Wir haben das Revier vergrößert. Wir sind mehr geworden. Und wir werden uns mit Sicherheit nicht von irgendwem vorschreiben lassen, was wir zu denken, was wir zu fühlen und was wir zu handeln haben. Das entscheiden wir alleine. Hier, in Halberstadt, in Chemnitz und überall in Deutschland."

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Sven Skoda spricht auf einer Neonazi-Demonstration in Dortmund im November.

Wer hat Recht? Die Dortmunder Polizei, wenn sie schreibt, die rechte Szene sei zerschlagen oder der bekennende Rechtsextremist und Feind der Demokratie, der behauptet, die Szene sei stärker geworden und habe sich besser vernetzt. Und wieso nennt der Dortmunder Neonazi ausgerechnet die Städte Chemnitz in Sachsen und Halberstadt in Sachsen-Anhalt?

Am 14. Dezember, nur zwei Wochen später ist die Dortmunder Neonazi-Szene wieder auf der Straße. Sie hat eine Demonstration angemeldet. Etwa 150 Rechtsextreme versammeln sich am Nordausgang des Dortmunder Hauptbahnhofs. Einige Teilnehmer nehmen das mit der Jugend ziemlich genau und bringen ihre Kinder mit auf die Neonazi-Demo. Hier sind aber nicht nur Dortmunder Neonazis unterwegs. Knapp die Hälfte der Teilnehmer sei aus dem Bundesgebiet angereist, teilt die Polizei später mit. Darunter auch alte Bekannte aus Chemnitz und Halberstadt.

Kurzzeitige Rückkehr alter Bekannter

Aus Chemnitz ist Michael Brück angereist, aus Halberstadt Alexander Deptolla. Beide haben lange Zeit Führungspositionen in der rechtsextremen Szene in Dortmund eingenommen. Sie sind dort schon als Teenager eingestiegen und haben in ihrer Zeit in Dortmund ein großes, bundes- und europaweites Netzwerk aufgebaut.

Ende 2020 ist Michael Brück (35) dann nach Chemnitz gegangen und hat sich dort Anfang 2021 der rechtsextremen Partei Freie Sachsen angeschlossen. Alexander Deptolla (41) ist knapp zwei Jahre später nach Halberstadt in Sachsen-Anhalt gegangen, einer Stadt mit 42.680 Einwohnern im Landkreis Harz.

Deptolla ist auf der Demo in Dortmund heute als Ordner unterwegs. Zeigt den Teilnehmern, wie sie sich aufstellen sollen, wie sie die Plakate und schwarz-weiß-roten Flaggen zu halten haben, die auch heute wieder aus dem silbernen Transporter der Dortmunder Nazis verteilt werden.

Er macht das, was er über Jahre hier gemacht hat. Dieses Know-how wird Sachsen-Anhalt in ein paar Tagen die größte rechtsextreme Demonstration des Jahres bescheren, in Magdeburg, aus traurigem Anlass. Dazu später mehr.

Alexander Deptolla (mit weißer Ordnerbinde), Sven Skoda und Michael Brück .

Michael Brück lebt jetzt in Chemnitz und arbeitet dort in der Kanzlei des rechtsextremen Rechtsanwaltes und Vorsitzenden der Partei Freie Sachsen Martin Kohlmann. Brück ist für die Demonstration nach Dortmund gereist.

Vor Beginn der Veranstaltung können wir mit ihm sprechen. Er sagt uns, dass er nach Chemnitz gegangen sei, um dort "politisch ein paar andere Konzepte" aufzuschlagen. Westdeutschland sei für seine Idee des völkischen Nationalismus verloren. Brück: "Für meine persönliche Arbeit. Die seh' ich woanders doch deutlich mehr verwirklicht und denke, dass meine Arbeit dort auch mehr Früchte trägt."

Die Freien Sachsen seien für Brück eine Chance gewesen, sagt er: "Die Freien Sachsen sind durch Corona-Proteste groß geworden und das war natürlich ein Möglichkeitsfenster, was sich da geöffnet hat. Natürlich hat man vieles von dem, was man in Dortmund im alltäglichen Politgeschäft gelernt hat, auch übernehmen können. Das ist ja immer so. Man kann aus Dingen lernen und sie auch verbessern und auf Dingen aufbauen."

Der sächsische Verfassungsschutz bezeichnet die Freien Sachsen als "eine als Partei organisierte Gruppierung von Neonationalsozialisten." Die Idee eines "Säxit", also eines Austritts Sachsens aus der Bundesrepublik sei verfassungsfeindlich. Zudem richte sie sich gegen die Menschenwürde, weil Geflüchtete pauschal als "Kriminelle" bezeichnet würden.

Was er in Chemnitz vor hat, hat Brück in einem Buch beschrieben, dass er 2024 veröffentlich hat. Es trägt den martialischen Titel "Kampf um Dortmund". Das Parteienlabel solle nur noch als "juristisches Gerüst im Hintergrund dienen", nach außen solle man als Bürgerbewegung auftreten, sich als Kümmerer geben, etwa bei Themen wie "Ausländerkriminalität" oder "Sicherheit". Brück schreibt: "Das Ziel sollte sein, aus einem festen Kreis heraus an immer neuen, anlassbezogenen Projekten zu arbeiten, mit denen wir in die Stadtteile hineinwirken könnten."

Chemnitz: Ein Rechtsextremist im Ortschaftsrat

Was genau macht Michael Brück jetzt bei den Freien Sachsen? Wie kann er dort umsetzen, was in NRW in die gesellschaftliche und politische Isolation geführt hat? Wir machen uns auf den Weg nach Sachsen.

Im Rahmen der Recherche haben wir auch mit Johannes Kieß gesprochen. Kieß ist stellvertretender Direktor des Else-Frenkel-Brunswik-Institutes für Demokratieforschung an der Universität Leipzig und verfolgt die Entwicklung der Freien Sachsen seit ihrer Gründung im Februar 2021.

Johannes Kieß beobachtet die Freien Sachsen seit ihrer Gründung.

"Die Freien Sachsen sind eine Kaderpartei, das heißt, sie bestehen aus einer relativ kleinen Personenzahl, die alle ganz klar geschulte Aktivisten sind. Die seit Jahren, Jahrzehnten teilweise, nichts anderes machen, als eben neonazistische, rechtsextreme Aktivitäten, Aktionen durchzuführen."

Und Michael Brück ist eines der Paradebeispiele des bundesdeutschen Rechtsextremismus.

Soziologe Johannes Kieß

Und auch den Werdegang von Brück bei den Freien Sachsen hat Kieß verfolgt: "Seine Rolle ist es tatsächlich Aktivist mit Leib und Seele zu sein, also in der Corona-Demo-Zeit, ist der von Demo zu Demo gereist, die ganze Zeit unterwegs, hat dort gefilmt und über Telegram wurde das dann weiterverbreitet."

Freie Sachsen fluten das Bundesland mit Demonstrationen

Im Jahr 2024 hat sich Brück bei den Freien Sachsen vor allem um den Wahlkampf gekümmert, zur Kommunal- und zur Landtagswahl. Und Brück und die Freien Sachsen machen offensichtlich das, was Brück in Dortmund gelernt hat. Sie gehen auf die Straße. Die rechtsextreme Partei flutet das Bundesland geradezu mit Veranstaltungen. Von Januar bis Oktober listet das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz 302 Demonstrationen und Kundgebungen der Freien Sachsen auf. Mal so, wie es Brück in seinem Buch beschrieben hat, also "anlassbezogen":

Mal geht es gegen ein Flüchtlingsheim in Brand-Erbisdorf. Mal gegen die Bundesrepublik und für den "Säxit" bei einer Demonstration in Chemnitz. Und mal gegen fast alles, wie beim Montagsprotest in Freiberg.

Ich bin damit einverstanden, dass mir Diagramme von Datawrapper angezeigt werden.

"Ganz zentrales Motiv im Kommunalwahlkampf und auch von Akteuren wie Michael Brück ist Widerstand. Widerstand gegen das System, Widerstand gegen die Corona-Maßnahmen, Widerstand gegen Krieg, gegen alles", sagt der Politologe und Soziologe Johannes Kiess.

Der Kommunalwahlkampf sei trotz des hohen Aufwands eher mäßig erfolgreich gewesen. In ganz Sachsen hat die Partei am Ende knapp über zwei Prozent gelegen: "Also es gab um die 90 Mandate, das ist wirklich minimal. Aber sie haben natürlich schon punktuell Zugang zu Informationen über [ihre eigenen, Anm. Red] Stadträte: Wo wird das nächste Geflüchtetenheim errichtet? Welche Umgehungsstraße ist gerade umstritten, und da kann man natürlich immer wieder versuchen, dann zu mobilisieren."

Für den Rechtsextremisten Brück hat sich der Wahlkampf gelohnt. Er ist in Chemnitz-Röhrsdorf angetreten und hat nach der CDU und der Freien Wählervereinigung Röhrsdorf das drittbeste Ergebnis geholt. Jetzt sitzt der Neonazi mit 13,27 Prozent der Stimmen im Ortschaftsrat.

Brücks Partei hat das drittbeste Wahlergebnis in Röhrsdorf erzielt.

Wir fahren nach Chemnitz. Es ist Abend, der erste Montag des Jahres. Und wie an jedem Montag rufen die Freien Sachsen zu sogenannten "Montagsspaziergängen" auf. In dutzenden Orten, in Dresden, Chemnitz oder Burgstädt. Wir schauen uns den Beginn der Kundgebung in Chemnitz an. In der Nähe des riesigen Karl-Marx-Monuments wird gerade ein Infostand der Freien Sachsen aufgebaut.

Es sind vor dem offiziellen Beginn nur eine Handvoll Menschen am Treffpunkt. Da kommt uns Michael Brück entgegen. Wir begrüßen uns. Brück sagt, dass er hier nur kurz vorbeischauen wolle und dann später raus nach Burgstädt fahren will. Der kleine Ort liegt etwa 15 Kilometer vor Chemnitz und da wollen wir auch hin. Denn in Burgstädt wird heute Martin Kohlmann auftreten, Brücks Arbeitgeber in Chemnitz und Gründungsvorsitzender der Freien Sachsen.

Als wir eine Stunde später in Burgstädt ankommen, ist Martin Kohlmann noch nicht da. Wir sprechen mit dem Einsatzleiter der Polizei. Mehrere Einsatzwagen der Polizei stehen neben einem Infostand der Freien Sachsen. Der Einsatzleiter erklärt uns, dass der "Montagsspaziergang", zu dem die Freien Sachsen auf einem Telegram-Kanal aufrufen, zwei Straßen weiter beginnt. Dieser "Spaziergang" werde von der Polizei aber nicht als Versammlung gewertet und lediglich von einem Streifenwagen begleitet. Die Menschen würden sich da eher spontan versammeln.

Als wir zu dem kleinen Platz gehen, den uns der Polizist genannt hat, trifft sich da niemand spontan. Nach und nach kommen die Teilnehmer an, werden mit Autos vorgefahren, jeder zweite trägt eine Landesfahne Sachsens, einer eine Russland-Flagge, auf manchen Fahnen flattert eine Friedenstaube.

Brück und Kohlmann sind nicht dabei, als es um Punkt 19 Uhr losgeht. Etwa 60 Menschen sind jetzt zusammengekommen. Einer von ihnen bläst in eine Art Horn, dann gehen sie los. Und kommen keine zehn Minuten später am Infostand der Freien Sachsen an.

Verfassungsfeinde wollen in die Parlamente

Hier stehen jetzt auch Rechtsanwalt Kohlmann und sein Angestellter Michael Brück. Kohlmann hält eine Rede, in der er resümiert, dass es den Widerstand der Freien Sachsen vielleicht irgendwann nicht mehr brauche, dann, wenn die AfD noch mehr Positionen von ihnen übernehmen würde. Wir sprechen ihn nach seiner Rede an.

Kohlmann war in der Vergangenheit immer wieder in rechten Parteien aktiv und bezeichnet sich selbst als Staatsgegner: "Also Libertärer würde man in Amerika sagen, hier ist es der Begriff nicht so bekannt. Aber ja, also ich finde, der Staat macht mehr Probleme als er löst." Und was wäre für ihn eine Alternative? Kohlmann: "Also eine Privatrechtsgesellschaft. Na, wo wir uns selber aushandeln, wie wir mit wem zusammenleben wollen."

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Ein sogenannter "Montags­spaziergang" in Burgstädt.

Auf unsere Nachfrage, dass das separatistisch sei, antwortet er: "Das haben Sie ganz gut zusammengefasst." Wir wüssten ja, dass die Freien Sachsen auch den "Säxit" fordern. Wir wollen wissen, wieso die Freien Sachsen dann überhaupt als Partei an Wahlen teilnehme, sich am demokratischen System beteilige? Kohlmann lächelt etwas verächtlich: "Erstens machen wir da mit, um Erfahrungen zu sammeln. Eine Rumpfverwaltung auf kommunaler Ebene wird natürlich auch in einem freiheitlicheren Gemeinwesen noch existieren. Und da braucht man Erfahrung."

Martin Kohlmann ist Vorsitzender der Partei Freie Sachsen.

Kohlmann und die Freien Sachsen wollen also das System überwinden, indem sie erstmal mitspielen: "Man ist ja gezwungen mitzuspielen. Also wenn ich in einen Laden gehe, dann zahle ich Mehrwertsteuer, ob ich das möchte oder nicht. Das hindert aber nicht daran, dass man hier erstmal versucht, das Beste rauszuholen."

Hat er Brück dafür auch nach Chemnitz geholt? Das sei eher Zufall gewesen sagt Kohlmann, aber: "Gutes Personal ist immer schwer zu finden. Und da freut man sich natürlich, wenn jemand kommt, der also Ahnung von Juristerei hat. Speziell für die Kanzlei ist es also eine wichtige Sache. Und ja, natürlich organisatorische Erfahrungen, da freut sich jeder Unternehmer."

Michael Brück als Redner bei einer Neonazi-Demonstration in Chemnitz 2019.

Michael Brück steht während des Interviews neben uns. Wir fragen ihn, wie er seinen Erfolg bei der Kommunalwahl im Sommer 2024 einschätzt: "Das lag natürlich auch daran, dass zu dem Ortschaftsrat die AfD nicht mit angetreten ist und das Rechtswähler-Potenzial sich doch zu einem großen Teil auf mich dann ausgewirkt hat." Sein Mandat im Ortschaftsrat von Röhrsdorf sei nur ein Teil seiner politischen Arbeit, sagt Brück: "Also ich unterstütze natürlich die Freien Sachsen. Da gibt es regelmäßige Proteste, es müssen Podeste geplant werden. Es muss Öffentlichkeitsarbeit organisiert werden."

Trotzdem macht Brück im Ortschaftsrat von Röhrsdorf auch das, was sein Chef Martin Kohlmann "Erfahrung sammeln" nennt. Auch wenn es laut Brück hier nicht um die ganz großen Themen geht: "Da geht es darum, wenn da der Wasserspiegel mal wieder nach einem Regenfall zu hoch ist, der Gullideckel nicht funktioniert oder so. Da arbeiten natürlich alle zusammen. Es gibt da dieses Parteidenken überhaupt nicht." Ist das so? Wird Brück im Ortschaftsrat von Röhrsdorf als Rechtsextremist nicht politisch isoliert, wie er das in Dortmund war?

Keine Brandmauer gegen Rechtsextremisten

Am nächsten Tag sind wir mit Thomas Trost (CDU), seit vergangenem Jahr Ortsvorsteher von Röhrsdorf, verabredet. Wir treffen ihn im Rathaus der 2.700-Einwohner-Gemeinde und gehen zusammen in den kleinen Sitzungssaal. Hier sitzt der CDU-Politiker, der 2006 aus Thüringen nach Sachsen gekommen ist, jetzt also gemeinsam mit dem Neonazi Michael Brück. Und wie gehen sie hier mit ihm um?

Thomas Trost (CDU) ist Orts­vor­steher im Chemnitzer Stadtteil Röhrsdorf.

Trost sagt: "Klar, wir kennen die Hintergründe. Er ist zugelassen worden, er ist gewählt worden, er ist bestätigt worden, er ist ernannt worden als Ortschaftsrat. Und ja, somit können wir ihm ja die Tür nicht zumachen." Klar sei er überrascht gewesen, dass Brück, den im Ort kaum jemand kenne, so viele Stimmen geholt hat, dass es für das drittbeste Ergebnis gereicht hat. Bislang sei Brück aber noch nicht aufgefallen, habe keine Anträge gestellt, sich bei den meisten Abstimmungen enthalten.

Das Rathaus in Chemnitz-Röhrsdorf.

Trost beschreibt ein mulmiges Gefühl, wenn Brück ihm am Tisch des Ratssaales gegenübersitze. Aber: "Ich habe mir im Vorfeld auch meine Gedanken gemacht, ob man ihn, ich sage mal ausgrenzen sollte oder wie es so schön in den Medien heißt: eine Brandmauern ziehen et cetera. Das wollte ich von vornherein nicht, dass man ihn komplett ausschließt. Weil, ich sage mal, er hat fast 600 Stimmen von den Röhrsdorfern gekriegt. Und da muss man ihn einfach auch erst einmal ankommen lassen."

"Natürlich", ergänzt Thomas Trost, "wenn es dann mal drauf ankommt und er eine gewisse Meinung vertritt, mit der alle anderen nichts anfangen können, dann werden wir da natürlich dagegensteuern."

Wir verlassen Röhrsdorf. Hängen bleibt vor allem: Hier will man einen bekennenden Rechtsextremisten erst mal ankommen lassen. Wir wollen später vom Soziologen Johannes Kieß wissen, ob das der richtige Umgang ist: "Gerade bei Personen, wie Brück, wo klar ist, woher sie kommen, dass sie eben aus dem Neonazi-Spektrum kommen, dass sie ganz klare, knallharte und auch brutale Ideologie vertreten. Da dann keine Brandmauer zu setzen, ist eigentlich dem auf den Leim gehen, obwohl es so offensichtlich ist, gerade bei einem Akteur wie Brück."

Halberstadt: Ein Gefährder stärkt die Szene

Eine früher führende Figur der Dortmunder Rechtsextremisten ist offenbar im politischen System in Sachsen angekommen. Ein weiterer ehemals in Dortmund tätiger Neonazi verfolgt eine andere Strategie: Alexander Deptolla.

Alexander Deptolla ist aus Dortmund nach Halberstadt gezogen (hier bei einer Demonstration in Dortmund im Mai 2021).

Der ist unter anderem Organisator des rechtsextremen Kampfsport-Events "Kampf der Nibelungen". Neben Brück galt er früher in Dortmund als einer der führenden Köpfe der Szene. Er ist gemeinsam mit vier anderen Neonazis von Nordrhein-Westfalen nach Sachsen-Anhalt gegangen. Wir fahren also von Chemnitz knapp 250 Kilometer nach Halberstadt.

"Wir haben eine verstärkte Bedrohung. Also vor ein paar Monaten wurde uns virtuell, im Online-Bereich in Kommentarspalten, gedroht, die Zora anzuzünden und Zitat: das Gesindel in der Zora anzuzünden. Wir hatten in den letzten Wochen und Monaten hier sehr viele Vorfälle: Hakenkreuzschmierereien an den Außenmauern oder es wurde quasi dazu aufgestachelt und angestiftet, uns anzugreifen. Daraufhin kam es dann auch verstärkt zu diesen Neonazi-Schmierereien. Mitten am Tag ausgeübt, wahrscheinlich von sehr jungen Jugendlichen."

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In letzter Zeit finden sich in Halberstadt viele rechte Sticker und Schmiereien.

Das sagt Robert Fietzke. Er leitet das soziokulturelle Zentrum "Zora" in Halberstadt und sitzt für die Linke im Stadtrat in Magdeburg. Diese Drohungen und Schmierereien sind nicht Deptolla oder anderen ehemaligen Dortmunder Neonazis zuzuordnen. Seitdem die nach Halberstadt gezogen sind, hätten die Neonazi-Aktivitäten hier aber wieder deutlich zugenommen, erzählt Fietzke.

Das Erstarken der rechten Szene in Halberstadt besorgt Robert Fietzke.

Besonders große Sorgen bereitet dem Sozialpädagogen, dass die Rechtsextremen verstärkt Jugendliche ansprechen: "Man kann schon sagen, dass es einen Professionalisierungsschub gibt und dass hier offenbar auch sehr gut im Jugendbereich rekrutiert wird. Also schon bei 13- bis 14-Jährigen wird hier verstärkt mobilisiert und die Radikalisierung schreitet voran."

In Halberstadt nehmen die Bedrohungen zu

Die rechtsextreme Szene in Halberstadt wachse wieder, sagt Fietzke. Es sei eine neue Bedrohungslage für Menschen zu spüren, die nicht in das Weltbild von Neonazis passen: "Die Bedrohungslage etwa gegen nicht-rechte Jugendliche hat massiv zugenommen. Das wird uns überall berichtet, aus vielen Schulen, gerade auch im Jugendbereich."

Das Jugendzentrum Zora steht im Fokus der Rechtsextremisten in Halberstadt.

Vor kurzem hat Alexander Deptolla in einem Sozialen Netzwerk angeboten, die Zora "bei Gelegenheit mal" persönlich zu besuchen. Deptolla wird als einer der bundesweit 72 rechtsextremistischen Gefährder geführt. Das Bundeskriminalamt bezeichnet Personen als Gefährder, bei denen davon auszugehen ist, dass sie erhebliche politische Straftaten begehen könnten.

Für Fietzke ist das Angebot von Deptolla kein ernst gemeintes Dialogangebot, sondern eine ernstzunehmende Bedrohung: "Solche Akteure machen sich natürlich nicht selbst die Hände schmutzig, sondern versuchen, über Kommunikationsmethoden im virtuellen Raum über Telegram-Gruppen ihre Anhänger aufzuwiegeln, damit sie jemanden finden, der bestimmte Taten ausführt."

Wir wollen vom Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt wissen, wie sie Alexander Deptolla und das Erstarken der rechten Szene in Halberstadt bewerten. Man sei mit den Sicherheitsbehörden in Nordrhein-Westfalen im Austausch und habe die Situation im Harz im Blick. Deptolla habe sich in kürzester Zeit zu einem führenden Kopf der Szene dort entwickelt:

"Die zwischenzeitlich orientierungslose rechtsextremistische Szene im Landkreis Harz reorganisiert sich unter der Führung des bundesweit bekannten Neonazis Alexander Deptolla. Aufgrund seiner von der Szene wahrgenommen Führungs- und Organisationsbemühungen wird sich die strukturelle Stärke der Szene erhöhen", schreibt uns der Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt.

Teile der rechtsextremistischen Szene würden eine "gezielte Ansiedlung in eher ländlichen Räumen Ostdeutschlands" propagieren, weil die Rahmenbedingungen für die eigenen Szeneaktivitäten als "vergleichsweise günstig betrachtet" würden.

In diesem Gebäude befinden sich die Geschäftsräume von Alexander Deptolla.

Nicht mal zehn Autominuten entfernt von dem Jugendzentrum Zora sind die Geschäftsräume von Alexander Deptollas Druckerei. Hier wollen wir Alexander Deptolla, der europaweit in militanten Neonazistrukturen vernetzt ist, nach seinem Umzug nach Halberstadt und seinen Aktivitäten hier fragen.

Als wir ihn am neuen Sitz seiner Firma, öffnet er zwar die Tür, will aber nicht mit uns reden. Er sagt, das sei privat, er wolle auch nicht, dass dort gefilmt werde.

Welches Mobilisierungspotential Deptolla in kurzer Zeit in Sachsen-Anhalt entwickelt hat, zeigte sich am 21. Dezember 2024 in Magdeburg. Einen Tag nach dem fürchterlichen Anschlag auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt, bei dem sechs Menschen getötet und Hunderte verletzt wurden. Deptolla meldete dort eine Demonstration an, trommelte dafür in Sozialen Netzwerken, mehr als 3.000 Rechtsextremisten folgten seinem Aufruf.

Alexander Deptolla hatte die Demonstration in Magdeburg angemeldet.

Auch Neonazis aus Dortmund. Sie waren mit dem silbernen Transporter, der auch auf den Demonstrationen in Dortmund war, angereist und organisieren die Demonstration gemeinsam mit Deptolla. Der Transporter der Dortmunder Szene dient als Lautsprecherwagen. Hier kommen die Szenen zusammen. Das Netzwerk der Rechtsextremisten funktioniert. Das war bereits am 14. Dezember in Dortmund zu sehen, als Michael Brück und Alexander Deptolla die Demonstration ihrer alten politischen Heimat besuchten.

Rechtsextreme Jugendkultur entwickelt sich

Und was bedeutet diese Vernetzung für die Dortmunder Szene? Gelingt es der Szene auch in Dortmund junge Menschen anzusprechen, wie in Halberstadt? Oder der Weg in die Kommunalpolitik wie in Chemnitz? Oder ist die Szene in Dortmund wirklich zerschlagen? Professor Dierk Borstel von der Dortmunder Fachhochschule hat die Szene hier, aber auch in Ostdeutschland, schon seit mehr als zwei Jahrzehnten im Blick.

Die Dortmunder Szene sei nicht zerschlagen, aber massiv geschwächt, sagt der Szene-Kenner: "Es stimmt, dass einige Führungspersonen abgewandert sind, nach Chemnitz und in den Harz. Einige sind auch von der Bildfläche verschwunden. Allerdings die Aussage, dass die Szene zerschlagen sei, die halte ich für sehr optimistisch. Dagegen sprechen halt die sich neu bildenden Jugendkulturen."

Dierk Borstel forscht seit mehr als zwei Jahrzehnten zu Rechts­extre­mismus.

Auch in Dortmund sei das verstärkte Bemühen der Szenen um Jugendliche spürbar: "Es gibt Hinweise aus dem Bereich der Jugendarbeit, die wieder vermehrt rechtsextreme Einstellungen bei ihren Jugendlichen beobachten. Deswegen ist es ernst zu nehmen."

Bisher sei es der rechtsextremen Szene in NRW aber nicht gelungen, so etwas wie einen "strategischen Kopf" zu finden, dem es gelungen sei, Jugendliche zu binden. Borstel: "Davon sind sie noch weit entfernt. Aber trotzdem gibt es keinen Grund, sich zurückzulehnen, weil das Potenzial, das ist weiterhin vorhanden."

In Dortmund gibt es noch keine Entwarnung

Eine Einschätzung, die die Dortmunder Polizei teilt. Wir sind mit dem Dortmunder Polizeipräsidenten Gregor Lange verabredet. Es ist das letzte Interview, das wir für diese Reportage führen. Und das Thema ist bei der Dortmunder Polizei "Chefsache". Vor zwölf Jahren hat die Behörde von Lange eine "Taskforce Rechts" mit mehr als 50 Beamten und Beamtinnen gegründet, die Szene mit einem hohen Strafverfolgungsdruck permanent gestresst. Etwa mit umfangreichen Demonstrationsauflagen.

Polizeipräsident Lange will bei der rechten Szene wachsam bleiben.

Kann man heute wirklich sagen, die Szene sei zerschlagen? Gregor Lange muss nicht lange nachdenken: "Wenn ich sage, dass die Szene zerschlagen ist, dann heißt das nicht, dass es keine Rechtsextremisten mehr in Dortmund gibt. Sondern das heißt: eine hartnäckige, organisierte Neonazi-Szene, eine Kameradschaftsszene, die von hier aus bundesweit Furore gemacht hat, diese Szene konnte zerschlagen werden."

Lange ist es wichtig zu betonen, dass das vor allem dank einer "intensiven Zusammenarbeit aus Zivilgesellschaft, Stadt, Dortmund und Polizei" gelungen sei: "Führende Kader der rechten Szene, der Neonazi-Szene haben Dortmund verlassen. Viele sind in Haft gekommen. Wir haben unsere rechtlichen Möglichkeiten da, wo wir können und rechtsstaatlich auch dazu befugt sind, im Versammlungsrecht, aber eben auch bei der Frage der Strafverfolgung sehr klug und gut nutzen können."

Aber Lange weiß auch, dass es keinen Grund zur Entwarnung gibt. Die Entwicklungen in Sachsen oder Sachsen-Anhalt machen auch dem Dortmunder Polizeipräsidenten große Sorgen: "Die Personen sind nicht weg, sie machen weiter. Sie sind nicht von ihren politischen Absichten losgekommen, sondern sie haben sich in anderen Bundesländern ansässig gemacht und tun da leider inzwischen das, was sie in Dortmund in der Vergangenheit getan haben."

Und was sagt er zu den Versuchen Dortmunder Neonazis gerade junge Menschen an die Szene heranzuführen? "Wir wissen, dass es Versuche gibt, auch die "Jungen Nationalisten" hier anzusiedeln, die Jugendorganisation der Partei "Die Heimat". Die versuchen hier einen Standort hochzuziehen. Wir achten sehr genau darauf, wer hier in Dortmund aufläuft."

Und die vielen neuen und jungen Gesichter auf den Demos im Dezember. Die habe man auch registriert. Und angefangen, Gespräche mit den Erziehungsberechtigten zu führen. Danach seien diese Jugendlichen nicht mehr bei Veranstaltungen in Dortmund gesehen worden, sagt der Polizeipräsident.

Gänzlich zerschlagen ist die Szene in Dortmund also nicht, sie existiert weiter. Und auch in Chemnitz geht es weiter. Die Stadt feiert die Eröffnung der Kulturhauptstadt Europas 2025. Dagegen hatten die Freien Sachsen rund um Michael Brück Proteste für Samstag den 18. Januar angekündigt. Sie wollten die Eröffnungsfeier damit stören.

Auch in Halberstadt beruhigt sich die rechtsextreme Szene nicht, aber: Hier entsteht derzeit ein Bündnis, eine zivilgesellschaftliche Gegenbewegung, aus Stadt, Parteien und auch dem Jugendzentrum Zora. Sie wollen den Rechtsextremisten nicht die Stadt überlassen.

Unsere Quellen

  • WDR-Reporter vor Ort in Chemnitz, Halberstadt, Burgstädt und Röhrsdorf
  • Polizei Dortmund
  • Gespräche mit Michael Brück
  • Buch von Michael Brück "Kampf um Dortmund"
  • Gespräch mit Johannes Kieß
  • Verfassungsschutz Sachsen
  • Polizei Chemnitz
  • Gespräch mit Martin Kohlmann
  • Gespräch mit Thomas Trost
  • Gespräch mit Robert Fietzke
  • Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt
  • Gespräch mit Dierk Borstel

Das Team

Autoren und Recherche
Christof Voigt, David Peters, Dina Dada (WDR) und Edgar Lopez (MDR)
Redaktion
Philipp Blanke, Raimund Groß (WDR) und Monique Junker (MDR)