Am Sonntag, 9. Juni, wählen die Menschen in Deutschland ihre Abgeordneten im Europäischen Parlament. Wie funktioniert die Europawahl? Welche Parteien und Kandidaten treten an? Und welche Rolle spielt das EU-Parlament in der Europäischen Union? Ein Überblick.
Von Jörn Seidel (Text), Dominik Adem Orlati und Alina Bilkis (Grafik)
Alle fünf Jahre wählen die Bürgerinnen und Bürger in der EU das Europäische Parlament. Es ist die einzige Wahl auf EU-Ebene, bei der sie direkt abstimmen können. Schon allein deshalb ist die Europawahl so wichtig für die fast 450 Millionen Menschen in der Europäischen Union.
Die Macht des EU-Parlaments ist einerseits beschränkt. Andererseits geht ohne das Parlament in der EU fast nichts. Es nimmt Einfluss auf den EU-Haushalt, kontrolliert die Kommission und wirkt bei den meisten europäischen Gesetzen mit. Ob in Andalusien, Lappland oder Nordrhein-Westfalen - was das Parlament beschließt, bekommen die Europäer in ihrem Alltag oft sehr konkret zu spüren.
In diesem Beitrag erklären wir, wie die Wahl zum Europäischen Parlament funktioniert und welche Rolle das Parlament im komplizierten System der Europäischen Union einnimmt.
🗳️ Termine der Wahl zum Europäischen Parlament
🗳️ Welche Parteien und Kandidaten stehen zur Wahl?
6. Juni: erster Tag der Europawahl, die Niederländer wählen
6. Juni, 21 Uhr: "Wahlarena" mit deutschen Spitzenkandidaten im Ersten
9. Juni: Wahltag zum Europaparlament in Deutschland
16. Juli: Abgeordnete kommen zur ersten Sitzung zusammen, wählen ihren Präsidenten
In den Monaten danach: Parlament wählt den vom Europäischen Rat nominierten Präsidenten der EU-Kommission und bestätigt als Ganzes die Kommissare
Eine Besonderheit der Europawahl ist, dass sie von den 27 Mitgliedsstaaten nicht einheitlich organisiert wird. In den Grundsätzen ist die Wahl in den EU-Ländern aber gleich. Sie muss unmittelbar, frei und geheim ablaufen. Außerdem darf jeder mit allgemeinem Wahlrecht wählen, und jede Stimme zählt gleich viel. So steht es auch im deutschen Europawahlgesetz.
Wahlberechtigt sind in Deutschland grundsätzlich alle Deutschen - auch wenn sie im Ausland leben - und alle hier lebenden EU-Bürger ab 16 Jahren. Es ist die erste Europawahl, bei der in Deutschland auch Jugendliche wählen dürfen.
Wahlberechtigte in NRW
Deutschlandweit gibt es bis zu 64,9 Millionen Wahlberechtigte, davon 4,1 Millionen Ausländer aus der EU. In NRW sind etwa 13,8 Millionen Menschen wahlberechtigt, davon 820.000 Ausländer, wie das Landesinnenministerium auf WDR-Anfrage mitteilt.
Für Ausländer gilt, wenn sie hier wählen wollen und nicht in ihren Heimatländern: Entweder sie haben sich schon früher ins Wählerverzeichnis ihrer Stadt oder Gemeinde eintragen lassen, oder sie mussten das bis zum 19. Mai beantragen.
Mittlerweile sollten auch alle bei allen Wahlberechtigten per Brief die Wahlbenachrichtigungen angekommen sein. Wer noch keine erhalten hat, sollte das Wahlamt seiner Stadt oder Gemeinde kontaktieren, rät die Bundeswahlleiterin.
In der Wahlbenachrichtigung steht, in welchem nahegelegenen Wahllokal man am Sonntag, 9. Juni, seine Stimme abgeben kann. In der Regel sind das die üblichen Orte wie Schulen, Rathäuser und Bürgerzentren. Geöffnet sind die Wahllokale wie immer von 8 bis 18 Uhr.
Mit der Wahlbenachrichtigung lässt sich außerdem die Briefwahl beantragen. Damit können auch alle wählen, die nicht am Wahltag das Wahllokal besuchen können oder wollen. Die Briefwahlunterlagen sollten so früh wie möglich beantragt werden.
Möglich ist vielerorts auch die direkte Briefwahl - und zwar jetzt schon. Dafür gibt es in den Städten und Gemeinden eigene Wahlräume. Dort erscheint man mit seiner Wahlbenachrichtigung und seinem Ausweis, bekommt dann den Wahlschein und die Briefwahlunterlagen persönlich ausgehändigt und kann an Ort und Stelle in einer Wahlkabine wählen.
Bei der Europawahl hat jeder nur eine Stimme. Auf einem gültigen Wahlzettel kann man also nur ein Kreuz machen. Denn anders als bei der Bundestagswahl gibt es keine Direktkandidaten aus den Wahlkreisen. Man kann sich lediglich für eine Partei bzw. politische Vereinigung und ihre feste Liste an Kandidatinnen und Kandidaten entscheiden.
Eine kleine Entscheidungshilfe für die Stimmabgabe liefert der Wahl-O-Mat zur Europawahl von der Bundeszentrale für politische Bildung.
Insgesamt treten 35 Parteien und sonstige politische Vereinigungen mit insgesamt 1.413 Kandidatinnen und Kandidaten an. In jedem Bundesland stehen 34 auf dem Stimmzettel, denn die CSU lässt sich nur in Bayern wählen, die CDU nur in den anderen Ländern.
Die CDU hat in jedem Land eine eigene Liste an Kandidaten aufgestellt. Hingegen haben alle, die bundesweit antreten, eine einheitliche Liste. Das ist einer der Gründe, weshalb die etwa 80 Zentimeter langen Wahlzettel in jedem Bundesland anders aussehen.
Ein anderer Grund: Die Reihenfolge der Parteien auf dem Wahlzettel hänge davon ab, wie sie bei der vorangegangenen Europawahl im jeweiligen Bundesland abgeschnitten haben, erklärt Monika Wißmann, Landeswahlleiterin für Nordrhein-Westfalen. Wer neu antritt, werde hinten alphabetisch ergänzt.
Hier ein Ausschnitt des Stimmzettels für NRW als Muster (zum PDF):
Auf dem Stimmzettel sind zu jeder Partei mit Name, Beruf und Wohnort die ersten zehn Listenplätze genannt. Die tatsächlichen Listen sind aber teilweise deutlich länger. Die Satirepartei Die Partei zum Beispiel hat 211 Kandidatinnen und Kandidaten auf ihrer Liste stehen, die FDP 194, die SPD 158. Im Europäischen Parlament stehen für Deutschland allerdings nur 96 Sitze bereit.
Die übliche Fünf-Prozent-Hürde gibt es bei der Europawahl in Deutschland derzeit nicht. Die Folge: Seit der vergangenen Wahl verteilen sich die 96 Sitze auf 14 deutsche Parteien, darunter die Piraten, Volt, Familie und die Tierschutzpartei mit je einem Sitz. Ab 2029 wird es voraussichtlich wieder eine Sperrklausel geben.
In Frankreich liegt sie bei fünf Prozent, in Österreich bei vier. In vielen Staaten gibt es keine. Das Europäische Parlament fordert einheitlich 3,5 Prozent.
Einige Parteien haben Spitzenkandidaten benannt, manche nennen mehrere, andere verzichten darauf. CDU und CSU haben landesweite Spitzenkandidaten.
Spitzenkandidatin der SPD ist die gebürtige Kölnerin Katarina Barley, für die Grünen ist es die aus Gelsenkirchen stammende Terry Reintke, für die FDP ist es die Düsseldorferin Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Spitzenkandidat der CDU NRW ist Peter Liese. Die AfD geht mit Maximilian Krah ins Rennen, die Linke mit der Doppelspitze Martin Schirdewan und Carola Rackete.
Spitzenkandidaten gibt es nicht nur in den nationalen Wahlkämpfen, sondern auch in den europäischen Parteien, die im Europaparlament vertreten sind. Hier hat das Spitzenkandidaten-Prinzip eine besondere Funktion, auch wenn es nicht rechtlich verankert ist.
Es bedeutet: Das mächtige Amt des Präsidenten oder der Präsidentin der Europäischen Kommission soll bekommen, wer zuvor Spitzenkandidat einer der europäischen Parteien war. So wollen es jedenfalls die Befürworter.
Dadurch erhoffen sich die Parlamentarier mehr Bürgernähe. Denn für die Nominierung zuständig ist letztlich der Europäische Rat, also die Staats- und Regierungschefs. Dieser soll dabei lediglich das Stimmenergebnis der Europawahl berücksichtigen. Das Parlament kann den Kandidaten nur anhören und wählen - oder ablehnen.
Erstmals angewendet wurde das Spitzenkandidaten-Prinzip 2014 bei Jean-Claude Juncker von der Europäischen Volkspartei (EVP). Bei der Nominierung seiner Nachfolgerin, der CDU-Politikerin Ursula von der Leyen (ebenfalls EVP), umging der Europäische Rat das Prinzip - zum Unmut der Parlamentarier. Bei der Europawahl 2024 ist von der Leyen nun selbst EVP-Spitzenkandidatin. Dass sie Kommissionspräsidentin bleibt, ist bislang trotzdem nicht sicher.
Eine weitere europaweite Spitzenkandidatin aus Deutschland ist Terry Reintke. Sie geht für die europäischen Grünen (EGP) ins Rennen. Aktuell ist sie auch Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Europaparlament.
Marie-Agnes Strack-Zimmermann ist wiederum eine von drei Spitzenkandidatinnen und -kandidaten für die Partei Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE).
Das Europäische Parlament - auch Europaparlament und EU-Parlament genannt - wird nach der Wahl aus 720 Abgeordneten bestehen. Jeder Mitgliedsstaat hat eine feste Zahl an Sitzen. Mit 96 hat Deutschland als bevölkerungsreichstes Land die meisten. Damit kleine Staaten nicht untergehen, bekommen sie mehr als ihnen rechnerisch zusteht. Die kleinsten sind Luxemburg, Malta und Zypern mit jeweils sechs Sitzen.
Bis auf einige Außnahmen schließen sich die Abgeordneten in Fraktionen zusammen. Derzeit sind es sieben:
Eine Woche im Monat ist vertraglich für Sitzungen im französischen Straßburg vorgesehen. Dort hat das Europäische Parlament seinen offiziellen Sitz. Die übrigen Plenarsitzungen gibt es im belgischen Brüssel. Dort tagen auch die meisten Ausschüsse. Die Abgeordneten sind somit oft auf Reisen. Das Sekretariat des Parlaments, also sein Personal, ist übrigens offiziell in Luxemburg angesiedelt.
Das Parlament arbeitet im engen Austausch mit der Europäischen Kommission und dem Rat der EU zusammen, die beide ihren Hauptsitz in Brüssel haben.
Parlament, Kommission und Rat der EU beschließen gemeinsam zum Beispiel den EU-Haushaltsplan. Im Anschluss kontrolliert das Parlament seine Umsetzung. Darüber hinaus kontrolliert das Parlament auch stets die Arbeit der Kommission.
Das reguläre Gesetzgebungsverfahren folgt immer diesem Prinzip:
Gesetze können Verordnungen oder Richtlinien sein. Verordnungen werden praktisch eins zu eins in nationales Recht überführt. Richtlinien bieten etwas mehr Anpassungsspielraum.
Am Ende bekommen die Europäer in ihrem Alltag oft sehr konkret zu spüren, was Parlament und Rat beschlossen haben. Zum Beispiel, wenn wir bei Reisen in der Union ohne Mehrkosten das Handy nutzen. Wenn wir beim Kauf von Elektrogeräten auf das Energielabel mit den Effiziensklassen achten. Oder wenn wir Partys ohne Einwegplastik-Geschirr feiern, weil es aus Umweltschutzgründen nicht mehr zu kaufen ist.
Über die Europawahl berichten wir auch in der "Aktuellen Stunde" im WDR Fernsehen.