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WDR

Text: Berit Kalus
Illustrationen: Dominik Adem Orlati
Redaktion: Thierry Backes, Julia Linn
Mitarbeit: Anne Spruijtenburg

Medien
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Wenn der Geist wach ist, der Körper aber noch schläft

Es ist ein gruseliges Phänomen: Unsere Autorin leidet seit Jahren unter Schlafparalysen. Was es damit auf sich hat – und wer besonders anfällig dafür ist.

Von Berit Kalus (Text) und Dominik Adem Orlati (Illustrationen)



Ich kann mich nicht bewegen. Ich liege mit offenen Augen in einem knarrenden Hotelbett auf Rhodos und blicke in ein dämmriges Zimmer. Ich sehe meine Hand vor mir auf dem Kissen und versuche verzweifelt, sie zu rühren. Aber es tut sich nichts.

Nicht schon wieder, denke ich, bitte nicht. Ich bin gefangen in meinem eigenen Körper, will hier raus, muss hier raus. Mein Herz rast. Bleib ruhig, sage ich mir. Warte ab. Es bringt nichts: Die Angst schnürt mir die Luft ab.

Sekunden vergehen, Minuten vielleicht, bis sich mein Zeigefinger regt. Es ist vorbei. Ich blicke auf die Uhr, kurz nach fünf. Erleichtert schlafe ich wieder ein. Um wenig später wieder aufzuwachen. In Panik. Es geht von vorne los.

Vier Mal erlebe ich das in jener Nacht. Und irgendwann traue ich mich nicht mehr, wieder einzuschlafen.



Was sind Schlaf­paralysen?

Wach sein und sich nicht bewegen können – diese Vorstellung klingt erstmal absurd, ist aber für viele Menschen Realität. Seit ich Anfang 20 bin, erlebe ich das immer wieder. Manchmal drei bis vier Mal im Monat, manchmal mehrmals in der Woche oder sogar mehrmals in einer Nacht – und dann wieder wochenlang gar nicht. Was hat es damit auf sich? Bin ich die Einzige, der es so geht? Und muss ich zum Arzt?

So gruselig sich der Lähmungszustand auch anfühlt – eine Schlafparalyse ist ein für den Körper harmloses Phänomen. Dabei hängt man für eine kurze Zeit zwischen Schlaf und Wachsein fest: Während der Kopf schon wach ist und man alles um sich herum wahrnimmt, schläft der Körper noch.

Dieser Zustand kann wenige Sekunden oder aber auch mehrere Minuten dauern. Manchmal sind die Augen dabei geöffnet, manchmal sind sie geschlossen. Sobald die Schlafparalyse vorbei und der Körper vollständig wach ist, kann man sich wieder ganz normal bewegen. Das Phänomen tritt vor allem beim Aufwachen auf, seltener auch beim Einschlafen.



Wie kommt es zu Schlafparalysen?

Vereinfacht erklärt, läuft das etwa so: Während wir Menschen schlafen, durchlaufen wir mehrere Schlafphasen immer wieder. Den leichten Schlaf, die Tiefschlafphase und die sogenannte REM-Phase, die durch eine hohe Hirnaktivität gekennzeichnet ist und in der wir am intensivsten träumen.

Damit wir nicht aus Versehen im Schlaf um uns treten oder schlagen, wenn wir einen aufregenden Traum haben, setzt ein Schutzmechanismus ein: Unsere Muskeln verfallen in eine Art Lähmung. Wenn wir in dieser Schlafphase aufwachen, kann es passieren, dass das Bewusstsein zwar schon da ist, der Körper sich aber noch gelähmt anfühlt – das ist eine Schlafparalyse oder Schlaflähmung.

Schlafparalysen können entweder das Symptom einer Krankheit sein oder isoliert auftreten. Isolierte Schlafparalysen gelten für gewöhnlich nicht als Krankheit, sondern einfach als ein körperliches Phänomen.

Einige meiner Schlafparalysen sind schlimmer als andere. Es gibt Momente, da sehe ich im Augenwinkel eine fremde Gestalt in der Ecke meines Schlafzimmers stehen. Einen Mann? Schwer zu sagen. Die Gestalt ist nicht klar zu erkennen, versinkt im Schatten des Raumes. Bewegt sich nicht. Steht nur da. Groß, lauernd, bedrohlich.



Was hat es mit den Halluzinationen auf sich?

Es ist keine Seltenheit, dass Schlafparalysen von trügerischen Wahrnehmungen begleitet werden. Es gibt ein breites Spektrum von Halluzinationen, die Menschen sehen, hören oder spüren. Einige nehmen etwas Böses im Raum wahr oder sehen Dämonen oder Monster sehr klar vor sich. Andere hören Schritte oder spüren jemandem auf ihrer Brust sitzen, der ihnen den Atem abschnürt. Manche können in diesem Zusammenhang auch Schmerzen empfinden.

Schlafmedizinerin und Neurologin Priv.-Doz. Dr. Anna Heidbreder arbeitet am Kepler-Universitätsklinikum in Linz und hat viel Erfahrung mit Menschen, die Schlafparalysen haben. Sie sagt, man könne gar nicht so sicher sagen, woher diese Halluzinationen kommen: „Wenn man das verstehen würde, dann könnte man besser was dagegen tun.“ Sie könne sich vorstellen, dass Traumwelt und Realität für den Moment der Schlafparalyse kurz miteinander verschwimmen, die Halluzinationen im Traum ihren Ursprung haben.

Man weiß, dass Schlafmangel Schlafparalysen fördert.

Britta Beckmann, Neurologin

Lange Zeit habe ich kaum jemandem davon erzählt, dass ich Schlafparalysen erlebe. Ich bin damit auch nicht zum Arzt gegangen. Nur die Leute, die in dem Moment der Schlafparalyse neben mir lagen und die kurz nach dem Aufwachen die Panik in meinen verschlafenen Augen gesehen haben, wissen davon.

Ich kann gar nicht sagen, warum ich nicht über meine Schlafparalysen sprechen wollte. Vielleicht wollte ich nicht, dass die diffuse Angst aus der Nacht zu viel Raum in meinem Leben einnimmt. Vielleicht habe ich mich aber auch einfach ein bisschen geschämt.

Ich weiß nur, dass ich mich mit meinen Schlafparalysen unglaublich alleine fühlte. Dass ich dachte, was ich da in manchen Nächten erlebe, wäre nicht normal. Ich wäre nicht normal.

Wer ist anfällig für Schlaf­paralysen?

Dabei ist es nicht unbedingt etwas Ungewöhnliches, Schlafparalysen zu erleben. Theoretisch kann sie jeder Mensch bekommen, unabhängig von Alter und Geschlecht. Es gibt aber Faktoren, die das Risiko erhöhen.

„Man weiß, dass Schlafmangel Schlafparalysen fördert“, sagt Dr. Britta Beckmann, Neurologin und Mitarbeiterin des neurologischen Schlaflabors der Maria Hilf-Kliniken in Mönchengladbach. Der Grund: „Im Zuge des Schlafmangels erhöht sich der Traumschlafanteil, weil man den eben auch für die Erholung braucht.“

Schlafparalysen können theoretisch begünstigt werden durch:

  • schlechten oder zu wenig Schlaf (sei es aus medizinischen Gründen – wie einer Durchschlafstörung oder einer Schlafapnoe – oder aus sozialen Gründen – wie einem langen Filmabend gefolgt von einer Frühschicht)
  • einen unregelmäßigen Schlaf-Wach-Rhythmus (zum Beispiel bei Jetlag, Schichtarbeit oder bei Eltern, die wegen ihrer kleinen Kinder unregelmäßig schlafen)
  • Alkohol und Drogen
  • psychische Vorerkrankungen
  • Stress

Diese Risikofaktoren sind aber keine sichereren Indikatoren für Schlafparalysen. Warum unter den gleichen Bedingungen Person A eine Schlafparalyse hat, Person B aber nicht, ist nicht abschließend geklärt. Generell fehlt es hier an umfassender Forschung.



Wie viele Menschen sind von Schlaf­paralysen betroffen?

Manche von uns erleben nie eine Schlafparalyse, manche nur einmal oder vereinzelt in ihrem Leben. Andere wesentlich öfter. Doch es ist schwer, das Phänomen genau zu quantifizieren.

Zwei Wissenschaftler haben 2011 insgesamt 35 Studien zur Schlafparalyse ausgewertet und kommen zu dem Schluss, dass knapp acht Prozent der Gesamtbevölkerung schon einmal eine Schlafparalyse erlebt haben. Einzelne Studien gehen davon aus, dass sogar 40 Prozent der Menschen betroffen sind.

Und tatsächlich: Je mehr ich anfange, darüber zu reden, desto mehr Leute begegnen mir, die selbst schon einmal eine Schlafparalyse erlebt haben. Während meiner Recherche erzähle ich einer guten Freundin von meinem Thema. Ich will ihr gerade erklären, was eine Schlaflähmung ist, da unterbricht sie mich: “Ich weiß”, sagt sie. “Ich hatte das auch lange.” Und nicht nur sie. Der Kollege, der mir im Büro gegenüber sitzt. Mein großer Bruder. Eine der Ärztinnen, mit der ich für diese Reportage spreche. Sie alle wissen aus eigener Erfahrung, wovon ich spreche.

Die Neurologin Dr. Britta Beckmann hatte bisher drei Schlafparalysen in ihrem Leben. Eine davon ist ihr besonders in Erinnerung geblieben: als sie sich mit 28 Jahren nach mehreren Nächten im Schichtdienst kurz im Dienstarzt-Zimmer des Krankenhauses hinlegte.

Hier erzählt sie von dieser Erfahrung:

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Etwa eine Minute, schätzt Beckmann, dauerte es, bis sie die Schlaflähmung lösen konnte. Obwohl sie sehr müde war, und obwohl sie im Gegensatz zu vielen anderen Menschen genau wusste, was mit ihr geschah, hat sie sich in jener Nacht gezwungen, wach zu bleiben.



Sollte ich zum Arzt, wenn ich Schlaf­paralysen habe?

Wer häufiger Schlafparalysen erlebt oder darunter leidet, sollte einen Arzt aufsuchen. „Wie mit jedem Kopfschmerz gehört einmal eine medizinische Abklärung dazu“, sagt der Neurologe und Schlafmediziner Igor Grigoriev, Beckmanns Kollege. „Einfach, um zu sehen: Gibt es da Hinweise oder Faktoren, die das vielleicht auslösen?“

Die Ursache für immer wiederkehrende Schlafparalysen können nämlich auch Erkrankungen wie Narkolepsie sein. Narkolepsie ist eine neurologische Krankheit, bei der die Schlaf-Wach-Regulation gestört ist und die Menschen tagsüber so müde sind, dass sie oft auch tagsüber einschlafen.

Wer also auf der sicheren Seite sein will, der sollte mit einem Arzt klären, ob die eigenen Schlafparalysen isoliert (und damit medizinisch harmlos) auftreten oder Symptom einer anderen Krankheit sind.

Weil Schlafparalysen bei mir tatsächlich keine Seltenheit sind, suche ich Beckmann und Grigoriev in Mönchengladbach auf. Sie versichern mir nach einem Anamnesegespräch und einer kurzen neurologischen körperlichen Untersuchung, dass das, was ich da erlebe, tatsächlich Schlafparalysen sind.

Weil sie aber noch nicht sicher ausschließen können, dass diese kein Symptom einer anderen Krankheit sind, empfehlen sie mir, eine sogenannte schlafmedizinische Untersuchung im Schlaflabor zu machen. Dabei würde ich zwei Nächte in einem Schlaflabor verbringen, angedockt an Kabel und Elektroden.

Bis ich so eine Untersuchung machen kann, wird es aber noch etwas dauern. Etwa drei bis vier Monate müsste ich auf einen Termin in ihrem Schlaflabor warten, sagen mir die beiden Neurologen.

Was kann ich tun, wenn ich unter Schlaf­paralysen leide?

Die Neurologen Britta Beckmann und Igor Grigoriev sind sich einig: Wer einer Schlafparalyse vorbeugen möchte, sollte genug schlafen, auf eine gute Schlafhygiene und einen gesunden Schlaf-Wach-Rhythmus achten. Also möglichst immer um die gleiche Uhrzeit schlafen gehen und aufwachen. Und nicht unmittelbar vor dem Schlafengehen fernsehen oder am Handy hängen.

Um den Moment der Schlafparalyse erträglicher zu machen, hilft es vielen Menschen bereits zu wissen, dass das, was sie gerade erleben, völlig harmlos ist und bald vorübergeht. Es kann auch helfen, sich auf eine kleine Bewegung zu konzentrieren und zu versuchen, einen Finger zu heben, um den Prozess etwas zu beschleunigen.

Wem das in der Situation nicht hilft, dem empfiehlt die psychologische Psychotherapeutin Lisa Bänfer andere Strategien, mit Angst umzugehen: „Wichtig ist, wenn man in Panik ist, diesen Zustand möglichst zu durchbrechen und sich nicht weiter aufschaukeln zu lassen“, sagt sie. Eine Möglichkeit seien Atemübungen.

Bänfer empfiehlt auch sogenannte imaginäre Techniken: Es kann Betroffene beruhigen, sich während einer Schlaflähmung einen Wohlfühlort vorzustellen.

Egal, wie man es macht – es sei einfach wichtig, dass man an dem Problem arbeite, sagt Bänfer. Sonst könnten immer wiederkehrende angsterfüllte Schlafparalysen zu einer Schlafstörung führen oder im schlimmsten Fall sogar die psychische Gesundheit belasten.

Es gibt zwar Medikamente, mit denen man versuchen kann, den REM-Schlaf, also den Traumschlaf, zu unterdrücken – und so einer isolierten Schlaflähmung medikamentös vorzubeugen. Eine entsprechende Behandlung sei im Umgang mit Schlafparalysen allerdings der allerletzte Schritt.

Generell würde es aber auch helfen, mit anderen Betroffenen zu reden. „Sich darüber auszutauschen, kann ungemein heilsam sein“, sagt Bänfer. „Und es zeigt natürlich auch, dass es ein Phänomen ist, das ganz natürlich sein kann.“

Und tatsächlich ist es genau das, was mir bisher am meisten geholfen hat: Zu merken, dass auch Bekannte, Kollegen, Freunde und Familie diese schrecklichen Momente kennen. Dass sie aus eigener Erfahrung wissen, was ich da erlebe.

Das nimmt mir zwar nicht die Angst im Moment der Schlafparalyse selbst – aber es gibt mir das Gefühl, verstanden zu werden. Es hat mir geholfen zu begreifen, dass ich nicht seltsam bin. Dass ich mich nicht schämen muss. Und dass ich gar nicht so alleine bin, wie ich immer dachte.