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WDR

Autor: Thilko Gläßgen
Fotos und Videos: Jan Knoff
Redaktion: Julia Linn und Till Hafermann

Medien
  • Oliver Berg/picture alliance/dpa
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Raubkunst in NRW - endlich Gerechtigkeit?



Vor 125 Jahren wurden sie geraubt - zur Kolonialzeit aus Nigeria. Seitdem sind die Benin-Bronzen in aller Welt. Auch in NRW gab es noch einige der gestohlenen Kunstwerke. Jetzt wurde ein Abkommen unterzeichnet, mit dem insgesamt 92 Benin-Bronzen aus Köln nach Nigeria zurückgegeben werden.

von Thilko Gläßgen

Für den gebürtigen Nigerianer John Akude aus Köln widerlegen die kunstvollen Büsten rassistische Vorurteile. Denn sie zeigen, dass nigerianisches und damit afrikanisches Handwerk dem europäischen nicht unterlegen, sondern ebenbürtig ist. Afrikanistin Fatou Cissé Kane nennt sie die "lebendige Seele" einer ganzen Kultur.

Bei den legendären Benin-Bronzen handelt es sich um Gedenkköpfe, Statuen und Schmuck aus dem Königreich Benin im heutigen Nigeria. Geraubt wurden sie 1897 bei einer sogenannten Strafexpedition der Briten und dann in der ganzen westlichen Welt verkauft. In deutschen Museen gibt es mehr als 1.200 Benin-Bronzen. Der größte Teil der Benin-Bronzen in NRW befindet sich im Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln.

Stadt Köln gibt Benin-Bronzen zurück

Nun kehren sie heim. Schon im Frühjahr hatte der Rat der Stadt Köln erklärt, dass man die Bronzen zurückgeben wolle - und ließ nun Taten folgen: Am 8. Dezember 2022 beschloss der Rat seine Pläne zur Rückgabe. Am 15. Dezember unterzeichneten dann die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker und Abba Isa Tijani, Generaldirektor der Nationalen Kommission für Museen und Monumente Nigerias, den Vertrag zur Rückführung der Kunstwerke.

15. Dezember 2022: Henriette Reker übergibt Abba Isa Tijani symbolisch einen bronzenen Schlüssel aus dem Königreich Benin.

Insgesamt sollen 92 Benin-Bronzen aus der Sammlung des Rautenstrauch-Joest-Museums an Nigeria zurückgegeben werden. Drei Werke auf Wunsch der nigerianischen Partner noch im Dezember, weitere 52 sollen ab 2023 nach und nach an Nigeria zurückgeführt werden. 37 der Kunstwerke sollen zunächst für zehn Jahre als Leihgaben in dem Kölner Museum bleiben.

Im Juli hatten Kulturstaatsministerin Claudia Roth und Außenministerin Annalena Baerbock eine Absichtserklärung über die Rückgabe von Bronzen in Deutschland an die Bundesrepublik Nigeria unterzeichnet.



Es ist ein Gefühl der Gerechtigkeit, endlich kommt Gerechtigkeit in die Sache.

Im Kölner Stadtrat sitzt auch John Akude. Er wurde in Nigeria geboren. Seit 26 Jahren lebt er in Köln. Als er kam, waren die Bronzen schon lange nicht mehr in Nigeria. Und doch erinnert sich Akude an seine Kindheit im Nigeria der 70er Jahre:

"Für mich ist es wirklich etwas Überwältigendes. Du bist ein kleiner Schuljunge in Nigeria und du lernst in der Grundschule und später im Gymnasium, dass es einen Krieg gab, dass weiße Leute hierher kamen, erobern wollten und dadurch das Königreich zerstört und alle Kunstobjekte mitgenommen haben."

Das war alles so fern und plötzlich bin ich hier in Köln - da, wo die Kunstobjekte sind.

Raubkunst: Von Westafrika ins Rheinland

125 Jahre sind die Benin-Bronzen nun in aller Welt: Von Aberdeen in Schottland über Christchurch in Neuseeland oder Österreichs Hauptstadt Wien bis nach Washington in den Vereinigten Staaten. Und eben hier in Nordrhein-Westfalen: eine Bronze steht im Essener Museum Folkwang, dazu kommen zwei Bronzen in der Bonner Amerikas Sammlung - und die meisten im Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln.

Von 98 Benin-Bronzen sei dokumentiert, dass sie irgendwann in den Besitz des Museum übergingen. Bis vor Kurzem ging man noch von 96 Bronzen aus - aber weitere Forschungen in den vergangenen Monaten sind zu einem neuen Ergebnis gekommen:

"Neue Werke sind hinzugekommen, andere wurden von der Liste gestrichen. Bei den gestrichenen Objekten handelt sich teils um Kriegsverlust teils wurden sie mit anderen Museen getauscht oder sie stammen doch nicht wie zunächst vermutet aus dem Königreich Benin, bzw. wurden erst im 20. Jahrhundert hergestellt", heißt es dazu aus dem Rautenstrauch-Joest-Museum.

Auffindbar und klar als geraubte Benin-Bronzen identifiziert sind 92 - diese sollen nun zurückgegeben werden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir Diagramme von Datawrapper angezeigt werden.

1897 hatten die Briten im Königreich Benin eine sogenannte Strafexpedition durchgeführt. Den König von Benin zwangen sie ins Exil, die Stadt wurde angezündet, zerstört und die gut 4.000 Kunstobjekte nahmen sie einfach mit.

Übrigens: Die Stadt bzw. das ehemalige Königreich Benin sind nicht mit Nigerias Nachbarland Benin zu verwechseln - sie teilen lediglich den Namen.

Fatou Cissé Kane forscht zum afrikanischen Kontinent. 2013 kam sie aus dem westafrikanischen Senegal nach Köln. Für sie sind die Benin-Bronzen identitätsstiftend für die Menschen aus allen Ländern des afrikanischen Kontinents: "Benins Kunst repräsentiert gewissermaßen den afrikanischen, kulturellen Klassizismus. Es wurden verschiedene Materialien verwendet, wie Holz, Metall und Elfenbein."

Die sakralen Gegenstände stellen die lebendige Seele eines ganzen Volkes, einer ganzen Kultur dar.

Eine Geschichte voller Fragezeichen

Lange Zeit lagerten die allermeisten Bronzen nur im Depot des Kölner Rautenstrauch-Joest-Museums. Niemand bekam sie zu Gesicht. Aktuell werden die Exponate ausgestellt. Zwei Vitrinen sind allerdings leer, sie stehen für Objekte, die "nicht mehr auffindbar" sind. Das Museum teilt mit, dass es hofft, dass sie wieder auftauchen. Im Museum Folkwang in Essen wird die einzige Bronze ausgestellt.

Die Geschichte der Bronzen in Nordrhein-Westfalen ist auch eine Geschichte voller Fragezeichen: In Köln wissen sie nicht, wo einige ihrer Bronzen sind. In Essen wissen sie nicht, woher die einzige Bronze wirklich stammt. 1932 wurde sie dem Museum anonym geschenkt und in Bonn ist unklar, ob ihre zwei Bronzen überhaupt aus der Zeit der Strafexpedition stammen oder nachträglich angefertigt wurden.

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John Akude erzählt beim Besuch der Ausstellung in Köln: Es sei schwierig für ihn gewesen, "im Rathaus zwei Sätze zusammenzukriegen. Ich war zu überwältigt von der Geschichte, die ich Tausende Meilen entfernt als Kind gehört habe, denn plötzlich bin ich da, wo die Entscheidung getroffen werden sollte. Man fühlt sich, als wäre man doch wer geworden."

Eine Menge verrückter Gefühle, aber alle positiv, nur eben sehr überwältigend.

Schwer fällt dem Kölner und gebürtigen Nigerianer John Akude die Entscheidung aber nicht. Beide Seiten wollen dasselbe, sagt er: Gerechtigkeit. In Nigeria wollen sie endlich die Benin-Bronzen, ihren Schatz, zurück und bei vielen Deutschen rückt die eigene blutige Kolonialvergangenheit zunehmend ins Bewusstsein und der Ruf nach kolonialer Aufarbeitung wird lauter.

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Alle geraubten Benin-Bronzen zurück - für mehr Gerechtigkeit?

Akude befürwortet, dass nicht alles aus Köln nach Nigeria zurückgeht, denn Gerechtigkeit habe Grenzen, sagt er. Wenn alle Kunstobjekte in Nigeria sind, verlieren die Menschen in Nigeria und auf dem afrikanischen Kontinent eine ihrer stärksten Waffen gegen Rassismus. Denn die Benin-Bronzen zeigen, wie einzigartig und fortschrittlich die Kunst aus dem Königreich Benin auch im Vergleich zur europäischen war.

Akude argumentiert: Wenn sie nur noch in nigerianischen Museen stehen, werden sie nur wenige Menschen von außerhalb zu Gesicht bekommen. Stattdessen hatte er sich dafür eingesetzt, einige Bronzen nach Köln zu verleihen: Mit dem Geld für die Ausleihe könnte Nigeria dann in sein Bildungs- und Gesundheitssystem investieren.

Afrikanistin Cissé Kane sieht das anders, sie findet, Museen sollten aufhören, "die Objekte, die ihnen nicht gehören, auszustellen. Auch gekaufte Objekte wurden nur unter Zwang verkauft."

Die Objekte sind Gefangene der Museen, die alle zurück müssen in ihre Heimatländer. Das liegt mir am Herzen.

Die Bronzen sind für viele Menschen nicht einfach nur Kunst, sie geben ihnen Kraft. Für Afrikanistin Cissé Kane sind die Benin-Bronzen „belebte Wesen“. Ihre Bedeutung für die Menschen in Nigeria und darüber hinaus ist größer.

John Akude hofft, dass auch wieder mehr Menschen dem traditionsreichen Kunsthandwerk nachgehen, wenn die Bronzen zurück sind – denn das gehöre zur Identität Nigerias. Die Könige des früheren Benin-Königreichs seien nämlich nicht nur politische Machthaber gewesen:

Der König ist auch der spirituelle Kopf der Gesellschaft und damit ist ein Kunstobjekt, das einen Kopf darstellt, auch ein spirituelles Objekt. Viele Leute glauben, dass Könige magische, spirituelle Kräfte haben.

Rückgabe der Benin-Bronzen - erst ein Anfang der Aufarbeitung des Kolonialismus

Ganz Nigeria sei stolz auf seine Benin-Bronzen und blicke glücklich auf die Rückgabe, schwärmt Akude. Doch auch viele Menschen in anderen afrikanischen Ländern sind begeistert. Sie wissen: In deutschen und nordrhein-westfälischen Museen sind noch viele in der Kolonialzeit geraubte Schätze. Auch sie könnten eines Tages zurückkehren. Die Benin-Bronzen stehen für Afrikanistin Cissé Kane symbolisch für den ganzen Kontinent Afrika.

Die Benin-Bronzen haben nicht nur eine Bedeutung für die Menschen aus Nigeria, sondern für alle Afrikaner, weil sie das Kulturerbe Afrikas sind und das ist für alle Menschen in Afrika wichtig.

In NRW sind die Tage der Benin-Bronzen jedenfalls gezählt. Essen wird das Eigentum seiner Bronze an Nigeria übertragen. Nicht ausgeschlossen, dass Nigeria die Bronze dann an das Museum Folkwang verleiht. In Bonn wird untersucht, ob die zwei Bronzen geraubt sind oder nicht. Und Teile der größten Sammlung des Landes in Köln werden in diesem und beginnend mit dem kommenden Jahr nach Nigeria zurückkehren. Akude und mit ihm der Rat der Stadt schaffen den Rahmen, gemeinsam mit Nigeria.

Hör-Tipp: Reportage "Benin zeigt ehemalige Raubkunst"

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel wurde erstmals im September 2022 veröffentlicht und danach regelmäßig auf den aktuellsten Nachrichtenstand gebracht. Letzte Aktualisierung: 15. Dezember 2022