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Autorin: Anna van Doorn
Redaktion: Rainer Kellers
Grafik: Christine Schuller

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Overthinking

Wenn man vor lauter Grübeln nicht mehr schlafen kann















Egal ob Job, Partnerschaft oder aktuelle Krisen wie der Krieg in Nahost – es gibt viele Dinge, über die man sich den Kopf zerbrechen kann. Einige Menschen kommen aus dem Grübeln allerdings nicht mehr heraus. Dieser Zustand wird Overthinking genannt. Und er kann Betroffene krank machen.

Von Anna van Doorn (Text) und Christine Schuller (Grafik)

Was ist Overthinking?

Wenn sich Janina ins Bett legt und das Licht ausknipst, springt ihr Gehirn an. Die Gedanken fluten ihren Kopf, kreisen immer schneller, unkontrollierbar, endlos, rauben ihr den Schlaf. "Ich hinterfrage alles Mögliche. Ich hinterfrage mich, ich hinterfrage Aussagen von mir, meine Beziehung. Sachen, die in meiner Kindheit oder Jugend passiert sind." So beschreibt Janina ihr Gedankenkarussell. Meistens sind es negative Dinge, die ihr in den Kopf schießen.

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Eine Weile stand dieses Karussell aus Gedanken keinen einzigen Abend still. "In den Zeiten, wenn du dann einfach ein paar Wochen lang nicht wirklich schlafen kannst, weil du halt jede Nacht durchdenkst - das ist natürlich belastend", sagt die 28-Jährige. Das Phänomen, dass Janina um den Schlaf bringt und in schlimmen Zeiten quält, hat einen Namen: Overthinking. Was zu deutsch ungefähr so viel heißt, wie sich endlos Gedanken über etwas machen, grübeln.

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Schlafstörungen nehmen zu

Die Neigung zum Grübeln ist keine grundsätzlich schlechte Eigenschaft und ein Stück weit normal. Bis zu 6.200 Gedanken denken Menschen am Tag. Das geht aus einer Überschlagsrechnung eines Forscher-Duos der Queens University im kanadischen Kingston hervor. Dabei sind nur wenige dieser Gedanken positiv, einige unwichtig und viele negativ.

Gerade Krisen wie die Corona-Pandemie, der Krieg in der Ukraine oder der Krieg in Nahost sorgen für mehr Grübeleien bei Menschen. Wen ununterbrochen eine Flut negativer Gedanken überrollt, für den kann der Zustand sehr belastend werden. Vor allem, weil sich das Gedankenkarussell oft erst beim zu Bett gehen zu drehen beginnt. Und Betroffene dann den Schlaf kostet.

Wer über einen längeren Zeitraum mehr als dreimal die Woche grübelnd im Bett liegt, nicht einschlafen oder gut schlafen kann, bei dem spricht man von einer Schlafstörung, sagt Schlafmediziner Dr. Lennart Knaack aus Köln. Dass immer mehr Menschen in Deutschland von einer Schlafstörung betroffen sind, merkt nicht nur Knaack im Praxisalltag im Zentrum für Schlafmedizin. Auch eine Analyse der Barmer zeigt, dass die Zahl der Betroffenen seit Jahren kontinuierlich steigt.

Schlafstörungen können verschiedene Ursachen haben. Einige sind organisch. Dazu zählen neurologische Erkrankungen wie zum Beispiel das Restless-Leg-Syndrom, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Rheuma, Krebs oder Schlafapnoe. Bei Frauen sind auch hormonelle Veränderungen ein Auslöser für Schlafprobleme. Sie treten dann vor der Periode, während einer Schwangerschaft oder in den Wechseljahren auf.

Bei circa 80 Prozent der Betroffenen sei die Schlaflosigkeit aber auf eine psychische Ursache zurückzuführen, so Schlafmediziner Knaack. Stress und Depressionen können ursächlich sein. Wie viele Menschen aufgrund von Overthinking schlecht schlafen, ist schwer einzuschätzen. Übermäßiges Grübeln kann zum Beispiel eine Depression auslösen und dann kann es unter Umständen schwer zu unterscheiden sein, was einem akut den Schlaf raubt.

Wer das über Wochen und Monate hat, der legt sich schon mit dieser Angst hin und fängt an, die Situation direkt zu überdenken und gerät in einen entsprechenden Strudel.

Schlafmediziner Lennart Knaack

Tatsächlich kann die Neigung zum Grübeln und eine daraus  hervorgehende Schlafstörung aber auch vererbt werden. Studien gehen von einem genetischen Anteil von 20 bis 40 Prozent aus. Und auch der Erziehungsstil könnte eine Rolle spielen. Das Umfeld kann dazu beitragen, ob man eher konstruktive oder problematische Denkweisen hat. Ein Knackpunkt: Schlechter Schlaf erzeugt neue Grübeleien.

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Zu wenig Schlaf kann krank machen. Das Risiko für Übergewicht, Schlaganfall, Demenz und Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöht sich dadurch. Bei Janina wirkt sich die Schlaflosigkeit vor allem auf ihren Alltag aus. Ihre Konzentrationsfähigkeit lässt nach, sie wird ungeduldiger, ist leicht zu reizen und regt sich über Kleinigkeiten auf. Das beeinträchtigt sie nicht nur im Job, beschreibt Janina: "Darunter leidet die Beziehung, weil man sich von außen betrachtet daneben benimmt, was man auch weiß. Aber man kann ja auch nicht aus seiner Haut raus."

Ich bin superwütend auf meinen Partner, wenn der gut schläft. Ich weiß, es ist nicht so, aber man denkt, jeder Atemzug ist die pure Provokation.

Janina

Das können Betroffene tun

Deswegen hat Janina auch schon viel versucht, damit ihr Gedankenkarussell am Abend erst gar nicht so viel Fahrt aufnimmt und sie um ihren Schlaf bringt. Sie hat Melatonin genommen, Hörbücher gehört, meditiert oder Schlafroutinen getestet. Manche Sachen haben ihr geholfen, andere so gar nicht.

Gerade seinen jüngeren Patientinnen und Patienten rät Schlafmediziner Dr. Knaack von Melatonin ab, da die Wirkung sehr gering sei. Beruhigende Tees, zum Beispiel mit Baldrian, Lavendel oder Passionsblume, könnten helfen.

Grundsätzlich empfiehlt der Schlafmediziner drei Dinge:

  • Regelmäßigkeit, also feste Einschlaf- und Aufstehzeiten etablieren.
  • Individuelle Schlaf-Rituale einführen, die entspannen. Zum Beispiel kurz vor dem Zubettgehen eine kleine Runde mit dem Hund drehen. Ein paar Seiten in einem Buch lesen. Eine kleine Runde Yoga machen.
  • Techniken zum Ablenken der dysfunktionalen Gedanken anwenden - siehe Grafik.

Ein paar Dinge sollten Menschen mit Schlafproblemen am Abend außerdem möglichst nicht tun. Auf dem Laptop schnell nochmal ein paar E-Mails checken, ein Video auf dem Handy anschauen oder ein paar Zeilen auf dem Tablet lesen - das sind keine guten Ideen. Elektronische Geräte wie Tablets, Smartphones, Computer, Fernseher, E-Reader oder Videospiel-Konsolen erzeugen blaues Licht. Laut Forschenden der Harvard-University unterdrücke vor allem dieses blaue Licht die Produktion des Schlafhormons Melatonin. Doch es geht nicht nur ums Licht - auch die Inhalte spielen eine Rolle. Social Media regt oft auf - und dieser Zustand hält vom Schlafen ab.

Auch wenn Janina weiß, dass der Social-Media-Konsum im Bett aus Sicht von Schlafmedizinern eigentlich ein No-Go ist, ertappt sie sich immer wieder dabei, zum Smartphone zu greifen, wenn das Grübeln losgeht. Tatsächlich hat sie aber schon einen Schritt geschafft: Die Phasen, in denen sie Stunde um Stunde grübelnd wach liegt, werden seltener.

Hörbuch hören, mit ihrem Freund über ihre Gedanken sprechen, ihre Erfahrungen mit Overthinking in Videos auf Instagram mit anderen teilen - all das hat ihr geholfen. Doch der wichtigste Hebel, um das abendliche Gedankenkarussell in der eigenen Geschwindigkeit fahren zu lassen oder zu stoppen, ist für Janina vor allem eins: Akzeptanz.

Sie hat akzeptiert, dass das Grübeln ein Teil ihrer Persönlichkeit ist und gelernt, diese Eigenschaft auch zu wertschätzen. Seitdem zieht das Karussell Janina immer seltener in einen Strudel aus negativen Gedanken und bringt ihr manchmal sogar gute Ideen.

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