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WDR

Autor: Rainer Striewski
Grafik: Fabian Neumann
Redaktion: Till Hafermann, Philipp Blanke

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Landtagswahlen Sachsen, Thüringen und Brandenburg

Darum sind die Wahlen im Osten auch für NRW wichtig















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Von Rainer Striewski | Veröffentlicht am 25. August 2024, aktualisiert am 22. September

Am 1. September haben Sachsen und Thüringen ihre neuen Landtage gewählt, am 22. September war Brandenburg an der Reihe. Diese Wahlen sind auch für uns in NRW wichtig - warum das so ist, erklären wir hier.

Um diese Punkte geht es: 

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Bundesrat: So bestimmen Länder im Bund mit

Wahlen in einzelnen Bundesländern haben einen direkten Einfluss auf den Bundesrat. Hier, in der sogenannten "Länderkammer", können die Bundesländer unter anderem bei Gesetzen des Bundestages mitreden und auch eigene Gesetze einbringen - aber auch die Richter am Bundesverfassungsgericht mitbestimmen. Kurz: Bei vielen wichtigen Entscheidungen können die Landesregierungen über den Bundesrat mitreden.

Früher, als sich eher CDU und SPD in der Rolle der Regierungs- oder Oppositionsfraktion in Bund und Ländern abwechselten, waren die Mehrheitsverhältnisse recht klar. Das gilt heute nicht mehr.

Der Bundesrat ist im Gegensatz zu früheren Jahren sehr bunt.

Politikwissenschaftler Dr. Marcel Lewandowsky

Für Abstimmungen im Bundesrat gelten ganz besondere Regeln.

Der Bundesrat hat 69 Mitglieder. Jedes der 16 Bundesländer entsendet mindestens drei Mitglieder in die Länderkammer, ist also mit mindestens drei Stimmen vertreten. Meist handelt es sich hierbei um die Regierungschefin bzw. den Regierungschef und Stellvertreter bzw. Koalitionspartner.

Durch den Bundesrat wirken die Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes und in Angelegenheiten der Europäischen Union mit.

Art. 50 Grundgesetz

Damit kleine Stadtstaaten wie Bremen bei Abstimmungen nicht das gleiche Gewicht wie Flächenländer wie etwa NRW haben, erhalten größere Bundesländer mehr Stimmen und damit mehr Gewicht: Länder mit mehr als zwei Millionen Einwohnern - wie etwa Brandenburg, Thüringen oder Sachsen - entsenden vier Personen, haben also vier Stimmen, Länder mit mehr als sechs Millionen Einwohnern fünf. Und Länder mit mehr als sieben Millionen Einwohnern - wie etwa NRW - sind mit sechs Mitgliedern vertreten. Zusammengerechnet können so 69 Stimmen im Bundesrat vergeben werden.

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Sollten extreme Parteien wie die AfD in Thüringen in die Landesregierung und damit in den Bundesrat einziehen, könnte ihnen eine weitere Besonderheit des Bundesrates in die Hände spielen: Die Stimmen der einzelnen Bundesländer können nur gemeinsam abgegeben werden. Ein Aufteilen der Stimmen - etwa weil Mitglieder einer Regierungskoalition unterschiedliche Meinungen haben - ist nicht möglich. Sollten Mitglieder eines Bundeslandes dennoch bei Abstimmungen unterschiedlich abstimmen, werden die gesamten Stimmen des Bundeslandes für ungültig erklärt.

"Wenn die AfD in einer Regierung mit dabei wäre, dann könnte sie, wenn es Spitz auf Knopf steht, plötzlich großen Einfluss haben", erklärt der Kölner Politikwissenschaftler Dr. Marcel Lewandowsky. Und weiter:

Dann könnte eine Landesregierung mit einer Partei, die durchaus auch ein Interesse an Blockade haben könnte, womöglich den Unterschied machen. Nicht sofort, aber mittelfristig.

Auch eine Enthaltung im Sinne einer Nicht-Beeinflussung einer Abstimmung ist im Grunde nicht möglich. Bei den meisten Abstimmungen werden in der Praxis nur die Ja-Stimmen gezählt. Ist damit eine absolute Mehrheit von 35 Stimmen erreicht, gilt die Zustimmung des Bundesrates als erteilt. Bei der manchmal notwendigen Zweidrittelmehrheit müssen 46 Stimmen zusammenkommen. Eine Enthaltung hat damit also die gleiche Wirkung wie eine Nein-Stimme.

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Stimmen werden im Bundesrat für eine absolute Mehrheit benötigt.

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Stimmen braucht's für eine manchmal notwendige Zweidrittelmehrheit.

Dennoch enthalten sich immer mal wieder einzelne Bundesländer bei Abstimmungen. Das hat mit der erwähnten Einstimmigkeit zu tun: Da jedes Bundesland mit seinen Stimmen nur als Einheit abstimmen kann, können keine unterschiedlichen Interessen der einzelnen Koalitionspartner einer Landesregierung berücksichtigt werden. Können sich zwei Koalitionspartner der Regierung in einem Bundesland nicht einigen, sehen die Koalitionsverträge häufig eine Enthaltung des Bundeslandes im Bundesrat vor.

  • Bild: WDR/dpa/Kay Nietfeld

Der Bundesrat befasst sich mit jedem Gesetz, das auf Bundesebene beschlossen werden soll. Dabei wird aber unterschieden zwischen Einspruchs- und Zustimmungsgesetzen:

Der Bundesrat muss bei Gesetzen ausdrücklich zustimmen, wenn sie in besonderer Weise die Interessen der Länder berühren. Dabei handelt es sich unter anderem um Gesetze, die die Verfassung ändern oder etwa die Finanzen der Länder erheblich betreffen. Welche Fälle das sind, ist unter anderem im Grundgesetz festgelegt. Alle anderen Gesetze sind sogenannte Einspruchsgesetze, bei denen der Bundesrat lediglich Einspruch gegen das Gesetz einlegen kann, den der Bundestag jedoch überstimmen kann.

Der Bundesrat kann vor einer Abstimmung aber auch den Vermittlungsausschuss anrufen. Dieser besteht aus 16 Mitgliedern des Bundesrates und ebenso vielen des Bundestages. Er vermittelt zwischen Bund und Ländern, indem er Kompromisse in strittigen Punkten sucht. Weichen Beschlüsse des Vermittlungsausschusses von denen des Bundestages ab, dann muss im Bundestag darüber neu abgestimmt werden.

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Auswirkungen auf die rechte Szene in NRW

Im Gegensatz zur Zusammenarbeit im Bundesrat wirken sich die Ergebnisse anderer Landtagswahlen nicht auf NRW aus - zumindest nicht direkt und unmittelbar. Politikwissenschaftler Marcel Lewandowsky erwartet aber einen gewissen "Dominoeffekt" und erklärt: "Wenn in einem Bundesland eine rechtspopulistische Partei mit an die Regierung käme - und das ist ja in Thüringen und Sachsen durchaus im Bereich des Möglichen - dann führt das zur weiteren Legitimierung einer solchen Partei. Und damit auch zur Möglichkeit der Bildung einer solchen Koalitionen anderswo." Die AfD wäre grundsätzlich weit weniger Außenseiter, wenn sie irgendwo mit an der Regierung wäre oder eine Minderheitsregierung tolerieren würde.

Und welche Auswirkungen hätte das dann auf Nordrhein-Westfalen? "Das hat für NRW erstmal gar keine Auswirkungen", glaubt Lewandowsky. Allerdings könnte die AfD dann mittelfristig auch in NRW für Wähler attraktiver werden, wenn sie in anderen Ländern an der Regierung beteiligt wird - auch wenn die CDU in NRW das hier noch konsequent ausschließt. "So kann sich das Ganze verstetigen und am Ende auch in Nordrhein-Westfalen sich die Frage stellen: Wie stark wird die AfD eigentlich noch?" meint Marcel Lewandowsky.

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Hinzu kommt: "Wenn die AfD weiter etabliert wird als Partei, dann bedeutet das auch, dass ihre Positionen legitimer werden", erläutert Lewandowsky. So kämen ihre Themen in der Mitte der Gesellschaft an, und das wäre eben nicht auf Sachsen, Thüringen oder Brandenburg beschränkt. Davon könnte nach Ansicht des Politikwissenschaftlers mittelfristig auch die politische Rechte in NRW profitieren.

  • Bild: privat

Dr. Marcel Lewandowsky

Denn Parteien wie die CDU würden weiter glauben, dass man die Themen und Positionen der AfD aufgreifen und kopieren müsse, um sie in Schach zu halten. "Wir wissen allerdings aus der Forschung, dass das nicht funktioniert", erklärt Lewandowsky. "Aber wenn die etablierten Parteien das tun, dann verändert sich der Diskurs." Und nicht nur der: Auch die Personen, die derartige Positionen vertreten, wie etwa die radikale Rechte, werden nach Ansicht des Politikwissenschaftlers weiter gestärkt.

Wir sprechen da von mittelbaren Effekten. Und die, glaube ich, sind schon nicht von der Hand zu weisen.

Marcel Lewandowsky

Noch versucht die AfD in NRW, sich von rechtsextremen Kräften in der Partei abzugrenzen. Landesparteichef Martin Vincentz steht eher für einen moderaten Kurs. Die Partei scheint dabei zwar in großen Teilen hinter ihm zu stehen. Doch die Stimmung im Landesverband ist explosiv - mehr dazu:

🔗 Von Chemtrails und "Viechern" - die explosive Stimmung in der NRW-AfD

  • Bild: WDR / dpa/Arno Burgi

Auswirkungen auf die Verfassungsschutz-Behörden

Anders als in NRW gilt die AfD in Sachsen und Thüringen als gesichert rechtsextrem, in Brandenburg als rechtsextremistischer Verdachtsfall. Der AfD-Spitzenkandidat für Thüringen, Björn Höcke, hat bereits angekündigt, im Falle eines Wahlsieges den Thüringer Verfassungsschutz umkrempeln zu wollen, ihn nach seiner Vorstellung zu "demokratisieren". Bedeutet: Sämtliche Kompetenzen der Behörde zur Überwachung extremistischer Bestrebungen sollen beschnitten werden.

🔗 Verfassungschutz umkrempeln: Höckes 5-Punkte-Plan für den Fall, dass die AfD Thüringen regiert [mdr.de]

Der Verfassungsschutz ist in Deutschland föderal aufgebaut. Jedes der 16 Bundesländer verfügt über eine eigene Verfassung - und auch über eine eigene Landesbehörde für den Verfassungsschutz. Diese sammelt jeweils Informationen über Bestrebungen in ihrem Bundesland, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. Dabei arbeiten die Landesbehörden auch mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz zusammen. Laut Bundesverfassungsschutzgesetz sind die Behörden zur Zusammenarbeit, gegenseitigen Unterstützung und Hilfeleistung verpflichtet.

Entsprechend groß war die Irritation, als Medien Anfang August berichteten, dass es Pläne gäbe, diese Zusammenarbeit eventuell auszusetzen. Sollte die AfD nach den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen an einer der drei Landesregierungen beteiligt sein, dann würde das jeweilige Landesamt für Verfassungsschutz vom Informationsfluss der anderen Verfassungsschutzämter abgeschnitten, meldete das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

  • Bild: WDR

Eine offizielle Bestätigung hierzu gibt es nicht. Die AfD hat bereits parlamentarische Anfragen gestartet, will etwa in NRW über eine "Kleine Anfrage" im Landtag wissen, welche "Pläne und Anweisungen" die Landesregierung für den Verfassungsschutz in NRW hat, sollte es zu einer AfD-Regierungsbeteiligung in Brandenburg, Sachsen oder Thüringen kommen. Die Antwort der Landesregierung liegt noch nicht vor.

Aus Sicherheitskreisen ist jedoch zu hören, dass ein derartiges Abkoppeln einzelner Verfassungsschutzbehörden nur schwer möglich wäre. Offiziell teilt das Bundesamt für Verfassungsschutz mit, eine entsprechende Absprache "ist nicht erfolgt". Nach Angaben des Bundesamtes arbeiten die einzelnen Behörden "in unterschiedlichen Gremien und Zentren, wie beispielsweise dem Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum" (GTAZ) oder dem Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) sehr eng und vertrauensvoll zusammen."

🔗 AfD-Urteil in Münster: Auswirkungen auf NRW und bundesweit

🔗 Thüringen, die AfD und der Verfassungsschutz: Redezeit mit dem Präsidenten des Verfassungsschutzes in Thüringen [WDR5]

  • Bild: WDR / dpa/Jan Woitas

Sind gemeinsame Länderinitiativen in Gefahr?

Die Zusammenarbeit zwischen NRW und den anderen Bundesländern geht weit über den Verfassungsschutz hinaus. Ein Sprecher der Staatskanzlei erklärt: "Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen arbeitet mit allen Landesregierungen auf vielfältige Art und Weise im Rahmen ihrer verfassungsmäßigen Aufgaben zusammen." Dabei verweist er etwa auf die Zusammenarbeit zwischen NRW und Sachsen und eine Ende Juni durchgeführte gemeinsame Kabinettssitzung in Leipzig.

Tatsächlich ist die Liste der gemeinsamen Themen lang: Beide Bundesländer haben etwa vereinbart, sich in Fragen des Strukturwandels auszutauschen, zur Krankenhausreform, zu Pflichtversicherungen bei Elementarschäden, beim Digitalpakt Schule oder auch der Pflegeversicherung. Auf der gemeinsamen Agenda steht auch die Bekämpfung des Antisemitismus oder auch der Austausch zur Clankriminalität oder dem Erstarken extremistischer Kräfte.

  • Bild: dpa / Jan Woitas

Wüst und Kretschmer in Leipzig

Besonders bei diesen Themen sieht Politikwissenschaftler Marcel Lewandowsky die Zusammenarbeit in Gefahr, sollte die AfD in einem Bundesland wie Sachsen mitregieren. Denn die AfD habe einen sehr einseitigen Extremismus-Begriff: "Ich glaube nicht, dass sie den Kampf gegen den Antisemitismus infrage stellen würde. Aber sie würde womöglich versuchen, den Kampf gegen Rechts einzustampfen und sich, wenn überhaupt, dann auf den Kampf gegen Linksextremismus zu konzentrieren", so der Politikwissenschaftler.

Allerdings würde die AfD seiner Ansicht nach in erster Linie versuchen, sich beim Thema Migration vom Bund abzugrenzen, statt den Konflikt mit einem anderen Bundesland bei anderen Kooperationen zu suchen. Dabei wäre zudem die Frage, ob eine Aufkündigung überhaupt öffentlich wahrgenommen werden würde. "Denn davon lebt die AfD ja", erklärt Lewandowsky. Aber thematisch gebe es schon das Potenzial der Konflikte zwischen den Bundesländern.

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Gefahr für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk?

Ein Konflikt könnte sich auch auf einem ganz anderen Gebiet auftun - in Medienfragen. Genauer: beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Der Thüringer AfD-Spitzenkandidat Björn Höcke hat bereits angekündigt, "die Medienstaatsverträge" kündigen zu wollen - ohne allerdings genau zu erläutern, welche Verträge er damit meint. In Thüringen gelten etwa der MDR-Staatsvertrag, der Medienstaatsvertrag, der Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag oder der Rundfunkbeitrags-Staatsvertrag. 

Welche Auswirkungen das Kündigen dieser Verträge hätte, ist unklar, zumal dann auch gerichtsfeste Alternativen gefunden werden müssen. Denn Artikel 5 des Grundgesetzes schreibt klar vor: "Die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet.“

Mit einem reinen Aufkündigen der Verträge ist es also nicht getan. Zumal die Lizenzvergabe der privaten Rundfunksender in Thüringen über die dortige Landesmedienanstalt läuft, die ebenfalls von Rundfunkbeiträgen finanziert wird. "Wir selbst als Thüringer Landesmedienanstalt würden in die Knie gehen, wenn man keine neue Finanzierungsmöglichkeit findet", erklärt dazu deren Direktor Jochen Fasco. "Ich halte viel davon, dass man darüber nachdenkt, was kann man reformieren, was kann man besser machen. Aber dann muss man sagen, wie es anders laufen soll", so Fasco.

🔗 Medienstaatsvertrag kündigen: Höckes 5-Punkte-Plan für den Fall, dass die AfD Thüringen regiert [mdr.de]

🔗 Könnte Höcke den MDR beschneiden? Landtagswahl in Thüringen [tagesschau.de]

Der MDR-Staatsvertrag wurde zwischen den Bundesländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen geschlossen. Er bildet die Grundlage des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR). Sollte Thüringen diesen Staatsvertrag kündigen, bliebe er zwischen Sachsen und Sachsen-Anhalt bestehen.

Kündigt ein Land, kann jedes andere innerhalb von drei Monaten nach Zugang der Kündigung erklären, dass es sich dieser anschließt; zwischen den übrigen Ländern bleibt der Staatsvertrag in Kraft. Im Falle der Kündigung durch zwei Länder tritt der Staatsvertrag außer Kraft und ist der MDR als Rundfunkanstalt aufgelöst. (§42 MDR-Staatsvertrag)

Erst wenn Sachsen oder Sachsen-Anhalt ebenfalls kündigen, müsste der MDR aufgelöst werden. Das hätte dann auch Auswirkungen auf die ARD und damit die anderen Rundfunkanstalten wie etwa den WDR.

Die Ankündigung, den MDR-Staatsvertrag kündigen zu wollen, ist übrigens nicht neu. Bereits 2021 hatte die Thüringer Landesregierung damit gedroht. Allerdings wollte der damalige Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) den öffentlich-rechtlichen Rundfunk damit nicht abschaffen oder schwächen, sondern im Gegenteil zu einem größeren Engagement in seinem Bundesland bewegen. Im Vergleich zu Sachsen und Sachsen-Anhalt fühlte er sich damals vom MDR unfair behandelt.

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Wankt die Fünf-Prozent-Hürde?

Die Berliner Ampel-Parteien haben mit großer Sorge auf die Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen geschaut - zum Teil zu Recht: In allen drei Bundesländern hat die FDP den Einzug in den jeweiligen Landtag verpasst, die Grünen schafften es in Thüringen und Brandenburg nicht über die Fünf-Prozent-Hürde, in Sachsen nur knapp.

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Das könnte die Regierungsbildung in den Landesparlamenten erschweren - und die Diskussion um die Abschaffung der Sperrklausel vorantreiben. Zumal diese bei vielen anderen Wahlen bereits nicht (mehr) existiert. Die Fünf-Prozent-Hürde gilt zwar noch bei der Wahl zum Bundestag oder den Landesparlamenten, aber nicht bei den meisten Kommunalwahlen oder der Wahl zum Europaparlament.

Wenn die Sperrklausel auch bei Landtagswahlen wegfallen sollte, hätte das großen Einfluss auf die Zusammensetzung aller Landesparlamente, auch in NRW. Allerdings rechnet der Politikwissenschaftler Marcel Lewandowsky nicht damit: "Ich wäre überrascht, wenn wir jetzt eine große Debatte über die Fünf-Prozent-Hürde hätten." Denn auch wenn dadurch mögliche Koalitionspartner in den Parlamenten wegfallen: "Die Ironie wäre in Thüringen, dass dann eigentlich mathematisch eine Regierungsbildung bequem möglich wäre. Nur eine der größten Parteien wäre die AfD - und das ist ein politisches Problem", erklärt Lewandowsky. Das hätte man bei Einführung der Fünf-Prozent-Hürde nicht bedacht und auch kaum voraussehen können: "Da ging man eigentlich davon aus, dass alle Parteien demokratische Parteien sind, mit denen man grundsätzlich zusammenarbeiten kann."

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Verändert sich die Parteienlandschaft in NRW?

Eine mögliche Diskussion über die Fünf-Prozent-Hürde dürfte zumindest eine kleine Partei in den ostdeutschen Bundesländern sehr gelassen sehen: das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Die noch sehr junge Partei ist mit zweistelligen Ergebnissen in Sachsen und Thüringen in die Landtage eingezogen, könnte dort sogar mitregieren.

In NRW ist das BSW davon zwar noch weit entfernt. Bei der Europawahl kam die Partei in NRW nur auf 4,4 Prozent. Aber auch das kann sich mit den Wahlen in Ostdeutschland ändern. Politikwissenschaftler Marcel Lewandowsky erwartet hier einen "Trittbrettfahrer-Effekt". Die Partei könnte seiner Ansicht nach in NRW interessanter werden, wenn sie in anderen Bundesländern erfolgreich ist.

Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass das BSW für Menschen auch in Nordrhein-Westfalen interessanter wird und auch hier Zulauf bekommt.

Marcel Lewandowsky



Die Menschen in NRW würden zwar eher etablierte Parteien bevorzugen, das Protestpotential wäre kleiner als etwa in Ostdeutschland. Aber auch hier hätte das BSW großes Potential, mittelfristig über die Fünf-Prozent-Hürde zu kommen. "Und das wird natürlich auch das Regieren in NRW womöglich nicht einfacher machen", so Lewandowsky.

Hinzu kommt: Das BSW könnte in NRW großen Parteien wie der SPD Stimmen wegnehmen, gar nicht so sehr der AfD. "Das BSW scheint ein Protestpotential zu sammeln, das noch bei den Wählern steckt, die eigentlich die etablierten Parteien wählen", vermutet Lewandowsky, schränkt aber auch ein: "Wie das jetzt auf Dauer wird, muss man sehen."

🔗 BSW gründet NRW-Landesverband im September

🔗 Welche Rolle das BSW bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen spielte