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WDR

Autoren: Katja Goebel, Jörn Kießler
Redaktion: Thierry Backes, Till Hafermann, Rainer Kellers
Drohnenbilder: Frank R. Weihs
Schnitt und Bearbeitung: Maik Arnold
Design und Illustrationen: Anna Zdrahal

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Wie sich die Stadt Essen auf die heiße Zukunft vorbereitet

Das Jahr 2023 ist das wärmste Jahr seit mehr als 140 Jahren, meldet Ende Dezember der Deutsche Wetterdienst. Gerade die Sommer in Deutschland werden wärmer, und in Großstädten wie Essen wird es zunehmend unangenehm. Wie können wir der Herausforderung begegnen? Zu Besuch in einer ganz gewöhnlichen Ruhrgebietsstadt.

Von Katja Goebel und Jörn Kießler (Text), Frank R. Weihs (Videos) und Anna Zdrahal (Illustrationen)



Durch die flirrende Hitze dringt ein leises Plätschern. Es verheißt Abkühlung, doch wo kommt es her? Wer den Brunnen auf dem Rüttenscheider Markt in Essen finden will, muss erst an dem ganzen Blech vorbei. Gut 160 Fahrzeuge stehen auf dem asphaltierten Platz herum, und zwischen den Parkreihen lauern weitere Autos nur darauf, dass jemand wegfährt.

Die Sonne brennt an diesem späten Vormittag im Hochsommer erbarmungslos herunter. Nur die steinerne Marktfrau oben auf dem Brunnen, die schwitzt mutmaßlich nicht: Sie hat einen Schirm über dem Kopf.





Das „bisschen Wasser“, das an dem Schirm herunter tröpfelt, das reiche natürlich nicht, um den Platz herunterzukühlen, sagt Marco Mersmann. Der studierte Geograf weiß, wovon er spricht: Er arbeitet als Klimatologe beim Regionalverband Ruhr (RVR), dessen Auftrag es ist, das Ruhrgebiet weiterzuentwickeln.

Mersmanns Spezialgebiet ist das Thema Klimaanpassung. 2022 hat er im Auftrag der Stadt eine Klimaanalyse für ganz Essen erstellt. Sie zeigt unter anderem, welche Stadtteile sich im Sommer besonders stark erwärmen.

Rüttenscheid schneidet darin gar nicht gut ab.



Ganz Rüttenscheid ist eine Hitzeinsel

Marco Mersmann läuft über die Bummelmeile des Viertels, die Rüttenscheider Straße. Geschäfte, Kneipen und Restaurants, üppig bepflanzte Blumenkübel, Cafétische zwischen Fahrradständern und Parkbuchten. Mersmann zieht ein paar sehr bunte Karten aus seiner Ledermappe, und auf einer davon ist das beliebte Ausgehviertel im Süden von Essen in dunklem Rot eingefärbt.

Mit seinen mehr als 30.000 Einwohnern auf einer Fläche von nur 4,5 Quadratkilometern gilt Rüttenscheid als ein hochverdichtetes Quartier, wie es sie in jeder größeren deutschen Stadt gibt. Wo viele Menschen wohnen, stehen oft hohe Häuser, gibt es weniger Grün und umso mehr Autos, Straßen und zubetonierte Flächen.

In Vierteln wie diesen entstehen sogenannte Hitzeinseln. Das sind Bereiche, in denen es im Sommer tagsüber besonders häufig heiß wird und die Temperaturen nachts kaum sinken. Einer Studie des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV, pdf) zufolge leiden alleine in NRW heute schon fast sieben Millionen Menschen unter einer sogenannten Hitzebelastung. Bis Mitte des Jahrhunderts könnten es bei nur einem Grad Erderwärmung Fachleuten zufolge elf Millionen werden.

Es ist schon lange keine Frage mehr, ob es in unseren Innenstädten heißer werden wird in Zukunft. Offen aber ist, wie wir uns auf diese Zukunft am besten vorbereiten. Wie geht etwa eine Stadt wie Essen damit um, die 2017 den Titel „Grüne Hauptstadt Europas“ verliehen bekam? Was kann sie stadtplanerisch in einem Viertel wie Rüttenscheid heute schon tun, damit es auch in der Zukunft lebenswert bleibt? Wo liegen aber auch die Grenzen der Klimaanpassung? Und was sagen Bürgerinnen und Bürger dazu?





Versiegelt und überwärmt

Bittet man Marco Mersmann, die Ergebnisse seiner Klimaanalyse für Rüttenscheid zusammenfassen, sagt er: „Zu hohe Versiegelung. Zu wenig Grün. Nachts überwärmt.“

Vor allem die versiegelten Flächen sind ein Problem. Darunter versteht man Böden, die betoniert, asphaltiert, mit Pflastersteinen bedeckt oder mit Gebäuden bebaut sind. Sie alle haben gemein, dass der Boden luft- und wasserdicht abgedeckt ist, wodurch Regenwasser nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen versickern oder verdunsten (und damit die Umgebung abkühlen) kann.

Die hohen Gebäude sorgen mit dafür, dass es in Rüttenscheid im Sommer so heiß wird. Die Häuser, aber auch die Straßen erhitzen sich und speichern die Wärme. Nachts, wenn die Sonne nicht mehr scheint und die Temperaturen eigentlich sinken müssten, geben Asphalt, Beton und andere Baustoffe die gespeicherte Wärme wieder ab. Der Stadtteil kühlt sich nicht ab.





Ganz anders würde es aussehen, wenn all diese Flächen entsiegelt werden würden. Asphalt und Beton – ersetzt durch Büsche, Gras oder einfach nur eine Oberfläche, die Wasser aufnehmen und speichern kann.





Entsiegelungen sind oft Privatsache

Bereiche, wo dies zumindest theoretisch möglich wäre, gibt es auch in Rüttenscheid. „Gucken Sie mal da!“, ruft Mersmann und lotst in einen typischen Hinterhof an der Rüttenscheider Einkaufsstraße. Auf der anderen Seite des langen Torbogens: Parkplätze.

Es ist schwül, die Hitze steht zwischen den hohen Häuserwänden. „Das hier wäre ein guter Ort, um den Boden zu entsiegeln“, sagt Mersmann. „Dann wären hier nur eben keine Parkplätze mehr.“

Das Problem: Weder die Stadt Essen noch der Regionalverband Ruhr haben viel Einfluss darauf, wie die Hinterhöfe genutzt werden. Die meisten Gebäude sind in Privatbesitz. Die Besitzer entscheiden, ob sie einen begrünten Spielplatz oder einen Parkplatz in ihren Hinterhof bauen.



„Wir betrachten ja eine Stadt, die schlichtweg da ist“, sagt Andreas Müller vom Essener Amt für Stadtplanung und Bauordnung: „Bis auf wenige Lücken oder Brachen ist sie bebaut und auf den größten Teil haben wir gar keinen Zugriff. Unsere Spielwiese ist die öffentliche Verkehrsfläche.“

Und selbst wenn sich die Eigentümer der Grundstücke dazu entscheiden würden, für viel Geld die Flächen entsiegeln zu lassen, bedeutet das nicht, dass dies auch immer möglich ist. Infrastruktur wie Rohre, Leitungen, Kabel, aber auch Altlasten in der Erde unter dem Beton können einen solchen Schritt unmöglich machen.

„Kaltluft fließt nie bergauf“

Das Mikroklima Rüttenscheids wird auch davon geprägt, dass es keine Kaltluftzufuhr aus den nahen Grünflächen gibt. Obwohl mit dem 60 Hektar großen Grugapark einer der größten Landschaftsparks Europas angrenzt, profitiert der Stadtteil nicht davon. Die frische Luft zieht in Richtung Nordwesten ab; auch der nahe Stadtwald sorgt nicht für Abkühlung, wie die Grafik unten zeigt.

„Kaltluftmassen sind immer schwerer als wärmere Luftmassen, sie folgen dem Relief“, erklärt Klimatologe Marco Mersmann. In Essen schafft es die kalte Luft nicht ins etwas höher gelegene Rüttenscheid: „Kaltluft kann niemals bergauf fließen“, sagt Mersmann. Das erklärt, warum es einen Temperaturunterschied von bis zu 7,8 Grad zwischen der Essener Innenstadt und dem nur zehn Kilometer südlich gelegenen Ruhrtal geben kann.





Vom Güterbahnhof zur „Grünen Mitte“

Es ist schwer, gegen die Gesetze der Physik anzukämpfen. Möchte man sich der Frage nähern, welche Anpassungsmaßnahmen es für Rüttenscheid gibt, lohnt der Blick in ein Viertel, das sehr viel besser auf die heiße Zukunft vorbereitet ist.

Die „Grüne Mitte“ ist ein schickes Wohn- und Arbeitsviertel nördlich der Essener Fußgängerzone. Man könnte auch sagen: ein Vorzeige-Quartier. Nichts erinnert heute mehr daran, dass das hier mal eine Schmuddelecke war.

An genau dieser Stelle stand über Jahrzehnte ein Güterbahnhof, der zu Blütezeiten 23 Gleise hatte. Ab den 1970er Jahren wurde der Bahnhof Stück für Stück außer Betrieb genommen und zurückgebaut. Übrig blieb eine gigantische Brache mitten in der Innenstadt, die knapp 30 Jahre lang höchstens als Parkplatz genutzt wurde.



Die „Grüne Mitte“ im Wandel



„Wüstencharakter“ habe das gehabt, erinnert sich Jan Haslage von Grün und Gruga, dem Fachbereich der Stadt, der sich um städtische Grünanlagen kümmert. „Da hat sich die ganze Hitze gesammelt. Im Sommer war das auf der Fläche brutal heiß.“

Das 13 Hektar große Areal wurde zwischen 2011 und 2016 entwickelt. Doch bevor hier überhaupt ein Gebäude gebaut wurde, hat man auf der Fläche einen vier Hektar großen Park angelegt, der 2010 eingeweiht wurde.

Um die Grünfläche herum entstand dann nach und nach eine lockere Bebauung. Der Clou: In dem öffentlichen Park liegen zwei langgezogene Wasserbecken. Grün-blaue Infrastruktur nennen das die Fachleute.



Künstliche Seen und grüne Dächer gegen die Hitze

Die Seen füllen sich nur durch das Regenwasser von den Gebäudedächern. Auf einer Gesamtfläche von 11.000 Quadratmetern wird der Niederschlag gesammelt und fließt dann in die Becken, statt einfach in der Kanalisation zu versickern. Dort verdunstet das Wasser an heißen Tagen und kühlt die Umgebung.

„Die Kühlung trägt sich durch die ganze Grüne Mitte“, erklärt Jan Haslage von Grün und Gruga. Nur wenn es im Sommer allzu heiß werde, müsse man hier nachhelfen. „Bei großer Hitze verdunstet das Wasser sehr stark.“ So habe man bereits im letzten Jahr die Becken einmal auffüllen müssen.

Auch die Dächer in der „Grünen Mitte“ tragen dazu bei, dass hier ein verhältnismäßig angenehmes Klima herrscht. Sie sind mit Pflanzen bedeckt und wirken im Hochsommer wie ein Hitzeschild. Dazu kommen noch andere positive Effekte wie der, dass Feinstaub und Luftschadstoffe sowie CO2 herausgefiltert und im Substrat gebunden werden.

Allerdings gehen die Meinungen über die Wirksamkeit von Gründächern selbst in Expertenkreisen auseinander. Auch Klimatologe Mersmann sieht die vielen positiven Effekte, die sie haben, warnt aber davor, den Abkühlungseffekt zu überschätzen. Modellergebnisse zeigten, dass die in Essen vorhandenen Gründächer und selbst die Begrünung aller dafür geeigneten Dachflächen nicht ausreichen, um ein ganzes Stadtquartier oder die Stadt spürbar zu kühlen.





Als die Grüne Mitte entstand, haben die Planer auch an eine ausreichende Durchlüftung gedacht und auf Hecken oder Büsche verzichtet, die der Luftzirkulation im Wege stünden. Experten stellen heute teilweise ein Parkklima in der „Grünen Mitte“ fest: Die Temperaturen werden gedämpft und die Grünflächen des Areals produzieren in geringem Maße lokale Kaltluft.

So unattraktiv diese Brache früher war, auf ihr ist ein Quartier entstanden, das besser als alle anderen Innenstadtteile in Essen für die Zukunft gewappnet ist. Möglich war dies nur, weil es Platz gab und die Gebäude genau so entworfen werden konnten, wie sie am besten mit der zunehmenden Hitze zurechtkommen.

„Bäume, Bäume, Bäume“

In Stadtteilen wie Rüttenscheid, die über Jahrzehnte gewachsen sind, sieht das ganz anders aus. Zwischen den hohen Gebäuden an der Rüttenscheider Straße stehen links und rechts zarte Bäumchen auf dem Bürgersteig – vor allem Kirschen, wegen der schönen Blüte. Zwischendrin ein paar wenige große Bäume mit ausladender Krone.

Wer in ihren Schatten schlendert, spürt sofort eine angenehme Kühle. „Merken Sie das?“, fragt Klimatologe Mersmann und lächelt. „Wir brauchen Bäume, Bäume, Bäume!“

In stark versiegelten Straßenräumen sind Bäume eine Art Allzweckwaffe. Das gilt nicht nur für Essen. Laut einer aktuellen Umfrage wollen mehr als die Hälfte der NRW-Landkreise Hitze und Starkregen mit Baumpflanzungen und Begrünungen entgegenwirken.

Bäume bieten UV-Schutz und halten Wasser zurück, speichern CO2 und bieten Bodenschutz bei Starkregen. Aber vor allem kühlen sie durch Verdunstung und spenden Schatten durch ihr Blätterdach.

Auf die tatsächliche Lufttemperatur hat das nur einen kleinen Effekt. Darauf, wie Menschen die Hitze jedoch wahrnehmen, einen riesigen. Die sogenannte gefühlte Temperatur sinkt.





Das Phänomen kennt jeder. An einem heißen Tag fühlt es sich wesentlich angenehmer an, im Schatten eines großen Baumes auf einer Wiese zu stehen als in der prallen Sonne auf der Straße – und das, obwohl sich die Lufttemperatur nur minimal unterscheidet.

Das hängt damit zusammen, dass das Wärmeempfinden des Menschen auch durch Luftfeuchtigkeit, Sonneneinstrahlung oder Wind beeinflusst wird. Durch den Schatten des Baumes und die höhere Luftfeuchtigkeit, die unter dem Blätterdach herrscht, empfinden wir die Hitze nicht mehr als so stark.

Auf dem Kennedy­platz fühlt es sich sieben Grad wärmer an als auf dem Salz­markt

In Essen lässt sich das nirgendwo so deutlich erkennen wie auf dem zentralen Kennedyplatz und dem direkt angrenzenden Salzmarkt. Ersterer ist eine große versiegelte Fläche mit wenigen Bäumen, letzterer mit alten Platanen bewachsen, die ein weitgehend geschlossenes Blätterdach über den Platz spannen.

Genau dort hat Klimatologe Marco Mersmann wochenlang Messungen vorgenommen. Auch wenn die gemessene Lufttemperatur ähnlich hoch war, macht es für das Wärmeempfinden einen erheblichen Unterschied, ob man sich bei einer Lufttemperatur von 30 Grad in der Sonne oder im Schatten befindet. Messungen an beiden Plätzen ergaben dabei in der Spitze Unterschiede von mehr als sieben Grad gefühlter Temperatur.



Baurecht vor Baumrecht

Auch in der „Grünen Mitte“ setzt man auf Bäume. Auf dem Areal wurden zahlreiche Robinien gepflanzt. Sie gelten als besonders hitzeresistent; und wenn sie einmal groß genug sind, werden sie viel Schatten spenden.

In Rüttenscheid ist das problematischer. Hier konkurrieren die Bäume oft mit Straßen, Kabelleitungen oder Abwasserrohren. Oft gibt es gar keinen Platz mehr, um Bäume dort zu pflanzen, wo man sie am nötigsten bräuchte.

Um all ihr Potential auszunutzen, müssen Bäume altern dürfen. Experten haben errechnet, dass eine 80 Jahre alte Linde im Vergleich zu einer 20 Jahre alten das Zehnfache an Kühlung schafft. Da in den Städten jeder Platz gebraucht wird, werden alte Bäume immer noch gefällt. Baurecht vor Baumrecht quasi.

Man müsse alles tun, um alte Bäume in der Innenstadt zu erhalten, sagt die Essener Umweltdezernentin Simone Raskob: „Wir wollen Baumrigolen bauen. Das machen wir bei Neupflanzungen, aber auch bei Bestandsbäumen, wenn eine Straße neu gebaut wird.“

Baumrigolen sind unterirdische Wasserspeicher, in denen Regenwasser gesammelt wird. Wenn es heiß und trocken ist, wird es direkt an die Baumwurzeln abgegeben. Das spare auch Trinkwasser, mit dem viele Bäume im Sommer gegossen würden. „Schwamm-Stadt“ nennt man dieses Prinzip, auf das schon viele Städte in NRW setzen.

Beim Rundgang durch Rüttenscheid fällt Marco Mersmanns Blick zufällig in eine Nebenstraße. „Die haben alles richtig gemacht“, sagt er und zeigt auf ein paar große Bäume an der Südseite einer Häuserzeile. „Das ist gut, weil die Bäume so die Fassaden verschatten können. Auf der anderen Straßenseite würden sie keinen Sinn machen.“ Man merke: Manche Bäume sind sinnvoller als andere.

In Rüttenscheid gilt: Park oder Parkplatz?

Zurück auf dem Rüttenscheider Marktplatz. Wenn sich hier mittwochs und samstags die Marktstände aneinanderreihen, wird der Platz zum beliebten Treffpunkt – nicht nur für Rüttenscheider. An den meisten Tagen der Woche ist der Platz allerdings nur ein Parkplatz.

„Man müsste mehr über eine andere Aufteilung nachdenken“, sagt der Klimatologe Mersmann. Er findet ohnehin, dass man Autos besser auf kleiner Fläche in Parkhäusern "stapeln" sollte, statt sie unnötig auf riesigen Flächen abzustellen, die man wunderbar anders nutzen könnte.

In Rüttenscheid steckt viel Potenzial für erhitzte Gemüter. Auch deshalb hat die Stadtverwaltung den Menschen ein öffentliches Meinungsforum geboten. Drei Monate lang konnten Bürger ihre Gedanken und Ideen in der sogenannten Klimamap festhalten und punktgenau auch ihre Kritik formulieren. Über 600 Vorschläge kamen in dem Online-Tool zusammen.

In der Klimamap mahnen Bürgerinnen und Bürger an, gefällte Bäume wieder zu ersetzen. Sie fordern kleine Parks statt Parkplätze. Am „Rüttenscheider Stern“ (zwischen Rüttenscheider Markt und Rüttenscheider Straße) etwa gäbe es keinen Ort in der Nähe, „wo Kinder sich auch mal austoben können, während man zum Einkaufen geht“, schreibt jemand und schlägt vor, die „Aufenthaltsqualität durch schattenspendende Bäume oder Arkadenkonstruktionen“ aufzuwerten und so eine „Reduktion der Belastung durch Hitze“ zu erzielen.

Die Vorschläge der „besten Experten vor Ort“, wie Umweltdezernentin Raskob die Bürger auch nennt, will die Politik auswerten. „Wir nutzen sie im Rahmen unserer Klimaanpassungsmaßnahmen, die wir jetzt nach der Sommerpause in die Ratsgremien bringen.“

„Sagen Sie das in Rüttenscheid lieber nicht laut“

In der Klimamap wird auch angeregt, die „unwirtliche Asphaltfläche“, die der Rüttenscheider Markt nun mal sei, zu entsiegeln. Man könne zwölf Parkbuchten opfern, um den einsamen Brunnen auf dem Platz mit ein paar Bäumen aufzuhübschen. Bislang wurde da aber nichts draus.

„Natürlich könnte das Straßenamt auf öffentlichen Plätzen Bäume pflanzen und dafür Parkplätze wegnehmen“, sagt der Essener Stadtplaner Andreas Müller. „Aber sagen Sie das in Rüttenscheid lieber nicht laut.“

Schon beim Einführen der Fahrradstraße an der Rüttenscheider Straße habe es Diskussionen gegeben. Die Gegenargumente einer Interessengemeinschaft damals: Hält den Verkehr auf und die Leute vom Einkaufen ab, erinnert sich Müller.

Anwohner und Gewerbetreibende seien immer auch ein Teil des Problems, weil sie oder ihre Kunden ihre Autos auf dem Rüttenscheider Platz abstellen. „Die würden auf die Barrikaden gehen, wenn Stellplätze durch Umgestaltung flöten gehen“, sagt Müller und spricht aus Erfahrung – er macht seinen Job seit 30 Jahren. „Sobald man eingreift, hat man nicht nur Freunde.“

Zum Abschied schaut Marco Mersmann auf dem Rüttenscheider Markt noch einmal über die dicht stehenden Häuserreihen. „Man kann davon ausgehen, dass 95 Prozent der Gebäude, wie sie hier stehen, auch in 50 bis 70 Jahren noch hier stehen – aber unter anderen klimatischen Bedingungen“, sagt der Klimatologe. Die Frage sei nur, ob und wie wir unsere Umgebung an diese Bedingungen angepasst haben. In einem ist sich Mersmann jedoch sicher: „Klimaanpassung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.“

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