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Die gefaltete Welt des Erwin Hapke

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Das Haus

In seinem Elternhaus im Kreis Unna faltete der promovierte Biologe Erwin Hapke sein halbes Leben lang hunderttausende Figuren aus Papier und Metall.

Gänzlich von der Außenwelt abgeschnitten. Mit ebenso wissenschaftlichem wie künstlerischem Anspruch. Und mit unbändiger Fantasie.

Nach unserem ersten exklusiven Rundgang durchs Haus im Juni 2016 hat sich viel getan. Was, zeigt unsere Multimedia-Reportage. Um sie zu entfalten, SCROLLEN SIE HERUNTER UND KLICKEN SIE AUF DIE DREI OBJEKTE.
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Was ist: Das Haus

Was war: Der Mensch

Was wird? Der Nachlass

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Das Haus

Hinter dieser Fassade schuf Erwin Hapke in 35 Jahren im Geheimen ein unvergleichliches Werk. Ohne das Haus je zu verlassen. Bis zu seinem Tod im April 2016.

Nun hausen hier nur noch seine Insekten, Krebse, Akrobaten, Hexen- oder Kopftuchwesen. Gefaltet aus Papier und Blech. Und aus den immer gleichen Grundelementen komponiert. 

Erst jetzt wurde Hapkes Werk entdeckt und vor der Vernichtung gerettet. Auf unbestimmte Zeit.
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Drinnen entfaltet sich ein fremder Kosmos, der das Interieur als zweite Haut überwuchert. Tische und Stühle hat Hapke zu Sockeln seiner Tableaus gemacht, störende Schränke auf den Speicher verbannt.

Einsames Möbelstück im  Wohnzimmer ist eine Kommode mit Telefon. Von hier aus sprach Hapke wohl nur mit seiner Schwester im Nachbarort, die ihn jede Woche mit dem Nötigsten versorgte.

Und wie sehen die Räume aus, die nicht öffentlich zugänglich sind? Ein exklusiver 360°-Rundgang über drei Stockwerke.
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Der zentrale Raum im Erdgeschoss zeigt massenhaft Faltungen von Insekten, die in ausliegenden Fach- und Kinderbüchern erläutert werden.

Aber es gibt auch Menschentableaus, die an Flüchtlingstrecks erinnern. Und merkwürdig verschlungene Hexengruppen an den Wänden.

Starten Sie unten links die 360°-Ansicht und zoomen Sie sich in den Raum.
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Die eckigen Architekturen und seriellen Papier-Akrobaten des Raums im ersten Stock sind ganz anders gefaltet als die Insekten im Erdgeschoss.

Obwohl sie Boden und Wände dominieren, wird der Raum in der Familie "Nietzsche-Zimmer" genannt.

Wer darin herumstöbert, kann über der Tür ein Zitat des Philosophen entdecken.
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"Bilder aus Blech" steht auf einem Schild auf der schmalen Stiege, die zu den Metallfiguren im Dachgeschoss führt. 

Zum Arrangement gehören aber auch noch Fotos der Eltern. Und Weinkorken, die manche Figuren auf den Hörnern tragen.

Schutz vor Verletzungsgefahr für künftige Besucher?
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Entdeckt wurde das Werk am Tag der Beerdigung von dem Neffen Matthias Burchardt, Philosoph an der Kölner Universität. Bis zum rätselhaften Rückzug des Onkels war das Verhältnis innig.

Überfordert sei er mit der Entdeckung, sagt Burchardt, der hier mit einem Faltensemble vorm ehemaligen Bienenhaus seines Großvaters im Garten steht. Überfordert auch vom eigenen Wunsch, die Kunst zu erforschen und zu erhalten.

"Das Werk ist ein Schatz, der noch lange nicht erschlossen ist. Immer wieder finden wir Neues, Aufregendes, Geheimnisvolles."
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Zu den Entdeckungen der letzten Wochen gehört auch eine Werkstatt im Keller, deren Zugang hinter Pflanzendickicht verborgen war.

Wurden hier die geheimnisvollen Metallfiguren unterm Dach geformt, deren Qualität selbst Profi-Blechumformer überrascht?

Das hier auf der Werkbank drapierte schwarze Schaf steht als einzige Blechskulptur eigentlich im Erdgeschoss. Und fungiert dort vielleicht als ironisches Selbstporträt des Eremiten.
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Was sein Haus für Hapke war, steht fest: ein Gesamtkunstwerk, das nach seinem Tod Museum werden sollte.

Hierfür hat Hapke Wegweiser angebracht sowie Postkarten oder aufgeschlagene Bücher platziert, die Werkkomplexe für künftige Besucher erklären.

Hapke fragte seine Schwester sogar einmal, ob sie durch sein Museum führen wolle.
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Sein Museum verstand Hapke als Hommage an den Vater, der das Gebäude ab 1965 zu einem "Heiligtum" umgebaut habe. Das vom Vater erfundene und inzwischen leider zerstörte Dreh-Gewächshaus sah selbst wie eine Faltung aus.

Als Projekt steht Hapkes Kunstwerk auf einer Stufe mit dem Merzbau von Kurt Schwitters in Hannover oder dem "haus u r" von Gregor Schneider in Mönchengladbach-Rheydt.

Und was bedeutet das Haus für den Enkel und Philosophen Matthias Burchardt?
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Kindheitsort mit kultureller Relevanz

Matthias Burchardt beschreibt, was ihm das Haus bedeutet.

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Falten, falten, falten. Tagein, tagaus, 35 Jahre lang, ein halbes Leben. Alle Räume füllen. Und die Zeit mit jedem Knick zum Stillstand bringen.

Und vorher? Wer war Erwin Hapke, als die Zeit noch weiterlief? Und, vor allem: Wie wurde Erwin Hapke, was er war?

Das Falthaus erzählt auch diese Geschichte.
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Geboren wird Hapke 1937 in Ostpreußen, wo er die ersten sieben Jahre lebt. Wohl eine glückliche Kindheit, mitten im Krieg.

"Auf dem Hof, im Garten, im Bunker spielen", notiert Hapke in Erinnerungen an den 2005 verstorbenen Bruder. "Seilspringen, im Sand spielen, Glaskugeln rollen, Sonne spiegeln."

Den Hof hat Hapke mit Hilfe von Zeichnungen des Vaters nachgebaut. Im Haus erhielt er einen exponierten, kontemplativen Platz.
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1944 flieht die Mutter mit Erwin Hapke und drei jüngeren Geschwistern vor der Roten Armee. Die Familie wohnt lange in Flüchtlingsheimen, mit Steinen beworfen, als "Russen" beschimpft.

Zeit seines Lebens sei er ein Entwurzelter geblieben, sagt der Neffe Matthias Burchardt. Die Umwandlung des Hauses: ein "Versuch einer neuen Beheimatung".

Die vielen Koffer von der Flucht sind noch alle da.
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Nach Schlosserlehre, Abendabitur und Studium geht der promovierte Biologe ans Max-Planck-Institut für Zellbiologie nach Wilhelmshaven.

Dort soll Hapke an der Entschlüsselung der menschlichen DNA beteiligt gewesen sein, bevor er in den 70er Jahren aus unbekannten Gründen seinen Job verliert und verarmt.

Biografische Dokumente hat Hapke konsequent vernichtet. Den Laborkittel hat er behalten.
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1981 zieht Hapke ins Elternhaus, das er danach nicht mehr verlässt. Ohne Sozial- und Krankenversicherung, mit der Schwester - der Mutter Matthias Burchardts - als einzigem Kontakt zur Außenwelt.

Mit einer Ausnahme: Nach dem Tod der Mutter fährt er 1996 zur Beerdigung. Mit dem Fahrrad, das er danach auf den Speicher trägt.

Dort steht es bis heute. Umrahmt von Faltkunst.
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Den Bauformen des Lebens hat Hapke schon im Studium auch mit Faltkunst nachgespürt. Davon zeugen kryptische Notizen in Miniaturschrift. Und die Bücher in seiner Bibliothek.

In einem Fluchtkoffer hat Hapke an Kordeln jene Figuren aufgeschnürt, die er daraus nachgefaltet hat. Eine aufgefädelte Kunstgeschichte des Origami, die er bereichern – und überwinden – wollte.

Auf verfalteten Todesanzeigen  erkennt man die Entstehungszeit: 1976/77.
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Erwin Hapke stirbt  im April 2016.

Er erfriert nach einem Sturz. Weil er aus Sparsamkeit darauf verzichtete, die vom Vater erfundene Pressholz-Heizung, die selbst wie eine Skulptur aussieht, in Gang zu setzen.

Auf dem Schrank neben dem Ofen klebt ein Zettel mit einem Zitat von Kurt Schwitters: "Wir spielen, bis uns der Tod abholt."
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War Hapke einsam, wenn er am Schreibtisch faltete? War er zufrieden? Oder sogar glücklich?

"Ich könnte mir vorstellen, dass er zufrieden war, ihm aber doch etwas gefehlt hat", sagt Matthias Burchardt. "Und wenn er dann abends sein Werk betrachtet hat, war er vielleicht sogar ein wenig glücklich."

Und was war Hapke für ein Mensch, als er noch andere Menschen zuließ?
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Vorbild mit langem Atem

Matthias Burchardt über seinen Onkel Erwin Hapke.

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Manches an Hapke wird selbst der Familie ein Rätsel bleiben. Vor kurzem stieß Burchardt auf Fotos von Menschen, die niemand kennt.

Kinder sind darauf zu sehen, aber auch mondäne Damen und eine Art Guru. Ein Umschlag mit Fotos ist "Meiner glücklichen Ulla" gewidmet.

"Hat er die Bilder aus Sammelleidenschaft gehortet?", fragt sich Burchardt. "Oder gab es doch Kontakte, von denen wir nichts wussten?"
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Der Nachlass

Den Plan, aus immergleichen Grundformen in Serie immer neue Figuren zu falten, verfolgte Hapke mit wissenschaftlicher Akribie.

Das Ensemble des Hauses bringt so den Künstler und den Biologen zusammen.

Nun soll das Werk seinerseits erforscht werden. Von einer Bonner Kunstgeschichtlerin, dem Leiter von Tony Craggs Skulpturenpark in Wuppertal – und einer Künstlerin aus Köln.
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Momentan arbeitet das Team an einem Dokumentationsband und einem Symposium. Die Künstlerin Dea Bohde arbeitet mit.

Das Schlagwort von der Außenseiterkunst will sie nicht gelten lassen. Wegen solcher Begriffsschubladen hätte es Hapke ihrer Meinung nach zu Lebzeiten wohl nicht ins Museum geschafft.

"Er wählte den Ausweg, das eigene Heim zum Museum zu machen. Und war, als er starb, kurz vor der Vollendung." Also Kunst. Oder nicht?
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Ist Hapke Kunst?

Die Kölner Künstlerin Dea Bohde bezieht Stellung.

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Wissenschaftliche Erschließung des Werks tut dringend Not. Und scheint doch eine nicht zu bewältigende Sisyphusarbeit.

Nicht nur auf dem Dachboden lagert in Kartons, in den Etagen unzähliger Papp- und Holztürme, in Klarsichtfolien und Plastiktüten noch unendlich viel Material.

Allein zwischen den Schichten auf der Badewanne verbergen sich über 2.000 Faltungen.
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Was aber wird konkret aus Erwin Hapkes Kunst? Noch gibt es keinen Plan, und ohne finanzielle Hilfe ist das Haus, das seit Monaten leer steht, als Museum nicht zu halten.

Schon fallen die mit Tesafilm fixierten Insekten von den Wänden, stürzen Menschen-Tableaus zusammen, werden Papierarchitekturen in den kalten, feuchten Räumen wellig.

Rund 35 Jahre stand die Zeit bei Erwin Hapke still. Jetzt läuft sie den Erben davon.
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Eigentlich dürfen die gefalteten Arrangements nicht auseinander gerissen werden. Im Gesamtkunstwerk bilden die Räume Einheiten. Und das Gebäude ist Teil des Konzepts.

"Man müsste das Haus hier abtragen und auf der documenta in Kassel komplett wieder aufstellen", wünscht sich Matthias Burchardt.

Aber das ist – vorläufig? – nur ein großer Traum.
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Ein Schritt ist trotzdem schon getan: 2017 reist der "Nietzsche-Raum" in die Schweiz, um in einer Schau über die Zeit in der Kunst eins zu eins wieder aufgebaut zu werden.

Ganz im Sinne Erwin Hapkes ist das nicht.

"Die Papierbilder meiner Tätigkeit sollen für immer zu Hause versammelt bleiben", heißt es in seinem Vermächtnis, das in mehreren Räumen klebt. "Für Ausstellungen anderswo müssen sie alle nachgebaut werden."
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Wie er sich die Vervielfältigung seines Werks dachte, sollten künftige Besucher selbst erfahren.

In einer Art Museumsshop hat Hapke Broschüren mit Faltanleitungen ausgelegt. Entstanden nach Vektorgrafiken am Computer, von dessen Festplatte elf Gigabyte Material noch nicht einmal gesichtet sind.

Auf der nächsten Seite wartet eine von Hapkes Anleitungsbroschüren zum Download aufs Nachfalten. Viel Spaß.
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