Das Haus
Erwin HapkeDer Welten-Falter
Gänzlich von der Außenwelt abgeschnitten. Mit ebenso wissenschaftlichem wie künstlerischem Anspruch. Und mit unbändiger Fantasie.
Nach unserem ersten exklusiven Rundgang durchs Haus im Juni 2016 hat sich viel getan. Was, zeigt unsere Multimedia-Reportage. Um sie zu entfalten, SCROLLEN SIE HERUNTER UND KLICKEN SIE AUF DIE DREI OBJEKTE.
Was ist: Das Haus
Was war: Der Mensch
Was wird? Der Nachlass
Das Haus
Das Falthaus
Nun hausen hier nur noch seine Insekten, Krebse, Akrobaten, Hexen- oder Kopftuchwesen. Gefaltet aus Papier und Blech. Und aus den immer gleichen Grundelementen komponiert.
Erst jetzt wurde Hapkes Werk entdeckt und vor der Vernichtung gerettet. Auf unbestimmte Zeit.
Die zweite Haut
Einsames Möbelstück im Wohnzimmer ist eine Kommode mit Telefon. Von hier aus sprach Hapke wohl nur mit seiner Schwester im Nachbarort, die ihn jede Woche mit dem Nötigsten versorgte.
Und wie sehen die Räume aus, die nicht öffentlich zugänglich sind? Ein exklusiver 360°-Rundgang über drei Stockwerke.
Insektenraum
Aber es gibt auch Menschentableaus, die an Flüchtlingstrecks erinnern. Und merkwürdig verschlungene Hexengruppen an den Wänden.
Starten Sie unten links die 360°-Ansicht und zoomen Sie sich in den Raum.
Nietzsche-Zimmer
Obwohl sie Boden und Wände dominieren, wird der Raum in der Familie "Nietzsche-Zimmer" genannt.
Wer darin herumstöbert, kann über der Tür ein Zitat des Philosophen entdecken.
Bilder aus Blech
Zum Arrangement gehören aber auch noch Fotos der Eltern. Und Weinkorken, die manche Figuren auf den Hörnern tragen.
Schutz vor Verletzungsgefahr für künftige Besucher?
Der Entdecker
Überfordert sei er mit der Entdeckung, sagt Burchardt, der hier mit einem Faltensemble vorm ehemaligen Bienenhaus seines Großvaters im Garten steht. Überfordert auch vom eigenen Wunsch, die Kunst zu erforschen und zu erhalten.
"Das Werk ist ein Schatz, der noch lange nicht erschlossen ist. Immer wieder finden wir Neues, Aufregendes, Geheimnisvolles."
Schwarzes Schaf
Wurden hier die geheimnisvollen Metallfiguren unterm Dach geformt, deren Qualität selbst Profi-Blechumformer überrascht?
Das hier auf der Werkbank drapierte schwarze Schaf steht als einzige Blechskulptur eigentlich im Erdgeschoss. Und fungiert dort vielleicht als ironisches Selbstporträt des Eremiten.
Posthum Museum
Hierfür hat Hapke Wegweiser angebracht sowie Postkarten oder aufgeschlagene Bücher platziert, die Werkkomplexe für künftige Besucher erklären.
Hapke fragte seine Schwester sogar einmal, ob sie durch sein Museum führen wolle.
Heiligtum mit Garten
Als Projekt steht Hapkes Kunstwerk auf einer Stufe mit dem Merzbau von Kurt Schwitters in Hannover oder dem "haus u r" von Gregor Schneider in Mönchengladbach-Rheydt.
Und was bedeutet das Haus für den Enkel und Philosophen Matthias Burchardt?
Kindheitsort mit kultureller Relevanz
Matthias Burchardt beschreibt, was ihm das Haus bedeutet.
Wer war Erwin Hapke?
Und vorher? Wer war Erwin Hapke, als die Zeit noch weiterlief? Und, vor allem: Wie wurde Erwin Hapke, was er war?
Das Falthaus erzählt auch diese Geschichte.
Sonne spiegeln
"Auf dem Hof, im Garten, im Bunker spielen", notiert Hapke in Erinnerungen an den 2005 verstorbenen Bruder. "Seilspringen, im Sand spielen, Glaskugeln rollen, Sonne spiegeln."
Den Hof hat Hapke mit Hilfe von Zeichnungen des Vaters nachgebaut. Im Haus erhielt er einen exponierten, kontemplativen Platz.
Erfaltete Heimat
Zeit seines Lebens sei er ein Entwurzelter geblieben, sagt der Neffe Matthias Burchardt. Die Umwandlung des Hauses: ein "Versuch einer neuen Beheimatung".
Die vielen Koffer von der Flucht sind noch alle da.
Leben entschlüsseln
Dort soll Hapke an der Entschlüsselung der menschlichen DNA beteiligt gewesen sein, bevor er in den 70er Jahren aus unbekannten Gründen seinen Job verliert und verarmt.
Biografische Dokumente hat Hapke konsequent vernichtet. Den Laborkittel hat er behalten.
Letzte Ausfahrt
Mit einer Ausnahme: Nach dem Tod der Mutter fährt er 1996 zur Beerdigung. Mit dem Fahrrad, das er danach auf den Speicher trägt.
Dort steht es bis heute. Umrahmt von Faltkunst.
Origami, aufgefädelt
In einem Fluchtkoffer hat Hapke an Kordeln jene Figuren aufgeschnürt, die er daraus nachgefaltet hat. Eine aufgefädelte Kunstgeschichte des Origami, die er bereichern – und überwinden – wollte.
Auf verfalteten Todesanzeigen erkennt man die Entstehungszeit: 1976/77.
Tragisches Ende
Er erfriert nach einem Sturz. Weil er aus Sparsamkeit darauf verzichtete, die vom Vater erfundene Pressholz-Heizung, die selbst wie eine Skulptur aussieht, in Gang zu setzen.
Auf dem Schrank neben dem Ofen klebt ein Zettel mit einem Zitat von Kurt Schwitters: "Wir spielen, bis uns der Tod abholt."
Glück mit Lücken
"Ich könnte mir vorstellen, dass er zufrieden war, ihm aber doch etwas gefehlt hat", sagt Matthias Burchardt. "Und wenn er dann abends sein Werk betrachtet hat, war er vielleicht sogar ein wenig glücklich."
Und was war Hapke für ein Mensch, als er noch andere Menschen zuließ?
Vorbild mit langem Atem
Matthias Burchardt über seinen Onkel Erwin Hapke.
Wer ist Ulla?
Kinder sind darauf zu sehen, aber auch mondäne Damen und eine Art Guru. Ein Umschlag mit Fotos ist "Meiner glücklichen Ulla" gewidmet.
"Hat er die Bilder aus Sammelleidenschaft gehortet?", fragt sich Burchardt. "Oder gab es doch Kontakte, von denen wir nichts wussten?"
Der Nachlass
Kunst und Forschung
Das Ensemble des Hauses bringt so den Künstler und den Biologen zusammen.
Nun soll das Werk seinerseits erforscht werden. Von einer Bonner Kunstgeschichtlerin, dem Leiter von Tony Craggs Skulpturenpark in Wuppertal – und einer Künstlerin aus Köln.
Kann das weg?
Das Schlagwort von der Außenseiterkunst will sie nicht gelten lassen. Wegen solcher Begriffsschubladen hätte es Hapke ihrer Meinung nach zu Lebzeiten wohl nicht ins Museum geschafft.
"Er wählte den Ausweg, das eigene Heim zum Museum zu machen. Und war, als er starb, kurz vor der Vollendung." Also Kunst. Oder nicht?
Ist Hapke Kunst?
Die Kölner Künstlerin Dea Bohde bezieht Stellung.
Faltung in Schichten
Nicht nur auf dem Dachboden lagert in Kartons, in den Etagen unzähliger Papp- und Holztürme, in Klarsichtfolien und Plastiktüten noch unendlich viel Material.
Allein zwischen den Schichten auf der Badewanne verbergen sich über 2.000 Faltungen.
Zeit verrinnt
Schon fallen die mit Tesafilm fixierten Insekten von den Wänden, stürzen Menschen-Tableaus zusammen, werden Papierarchitekturen in den kalten, feuchten Räumen wellig.
Rund 35 Jahre stand die Zeit bei Erwin Hapke still. Jetzt läuft sie den Erben davon.
Zur documenta?
"Man müsste das Haus hier abtragen und auf der documenta in Kassel komplett wieder aufstellen", wünscht sich Matthias Burchardt.
Aber das ist – vorläufig? – nur ein großer Traum.
Das Vermächtnis
Ganz im Sinne Erwin Hapkes ist das nicht.
"Die Papierbilder meiner Tätigkeit sollen für immer zu Hause versammelt bleiben", heißt es in seinem Vermächtnis, das in mehreren Räumen klebt. "Für Ausstellungen anderswo müssen sie alle nachgebaut werden."
Hapke erbasteln
In einer Art Museumsshop hat Hapke Broschüren mit Faltanleitungen ausgelegt. Entstanden nach Vektorgrafiken am Computer, von dessen Festplatte elf Gigabyte Material noch nicht einmal gesichtet sind.
Auf der nächsten Seite wartet eine von Hapkes Anleitungsbroschüren zum Download aufs Nachfalten. Viel Spaß.