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WDR

Autoren: Katja Goebel, Solveig Bader, Julian Budjan
Grafiken: Julian Budjan
Videos: Solveig Bader
Mitarbeit: Norman Laryea, Luisa Pfertner
Redaktion: Nila Reinhardt
Bildrechte: Solveig Bader, picture alliance

Medien
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Blickpunkt Schule

Was sind uns unsere Kinder wert?



Überfüllte Klassen, zu wenig Lehrer - kann so der Start ins Leben überhaupt gelingen? Es ist ein schwieriger Spagat zwischen Finanznot, motivierten Lehrkräften und zufriedenen Schülern.



Von Katja Goebel (Text), Julian Budjan (Grafiken) und Solveig Bader (Videos)

Schulen fehlt es an Geld und Personal. Dennoch sollen sie Kindern eine gute Starthilfe fürs Leben an die Hand geben, ihnen nicht nur Bildung vermitteln, sondern auch ihre sozialen Fähigkeiten ausbauen - und ihr Selbstvertrauen stärken. Kurzum: ihnen das beste Rüstzeug für ihre Zukunft mitgeben.

Wie gut sind Schulen dafür ausgestattet? Was sagen die Zahlen, wie steuern Lehrer gegen und was macht die Kinder glücklich? Neben Zahlen, Fakten und Vergleichen stellen wir eine Schule aus NRW vor, die sich den widrigen Umständen entgegenstemmt, im Unterricht auf spezielle Teamarbeit setzt und sogar einen Preis dafür bekommen hat.

Was gibt NRW für Schulen aus?

Die Zahlen sind eher ernüchternd. Denn: NRW investiert weniger als andere Bundesländer in seine Schüler. Im Jahr 2022 hat das Land NRW 13,75 Milliarden Euro für Schulbildung ausgegeben. Das sind 24,3 Prozent aller öffentlichen Nettoausgaben im Haushalt (57 Milliarden Euro). Die Gemeinden in NRW haben weitere 3,74 Milliarden Euro für Schulen ausgegeben (5,2 Prozent der Gemeindeausgaben). Kombiniert ergibt sich ein Wert von rund 17,5 Milliarden Euro, die Land und Gemeinden für die Schulen bereitgestellt haben, das sind 13,7 Prozent aller Ausgaben. Zum Vergleich: In Bayern liegt der Prozentsatz der Ausgaben bei 15,2 . Pro Schüler hat NRW im Jahr 2021 8.300 Euro für öffentliche Schulen ausgegeben - nur Mecklenburg-Vorpommern hat noch weniger pro Kopf ausgegeben

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Gewerkschaften sprechen beim Blick auf NRW längst vom Bildungsnotstand. Die Bildungsgewerkschaft GEW kritisiert eine „chronische Unterfinanzierung". Allein bei den Gebäuden gebe es einen Sanierungsstau in Milliardenhöhe.

Green-Gesamtschule: Erfolg mit Lernzeit

Trotz all dieser schlechten Voraussetzungen gelingt es Schulen dennoch, guten Unterricht in einer angenehmen Umgebung zu machen und eine soziale Gemeinschaft aus den Schülern zu formen.

Einige Schüler der Green Gesamtschule in Duisburg

Solch eine Schule gibt es zum Beispiel in Duisburg. Die dortige Green-Gesamtschule hat ein ganz besonderes Lernkonzept: Klassischen Frontalunterricht gibt es hier so gut wie gar nicht, stattdessen setzt man hier auf Lernzeit. Schüler lösen zum Beispiel im Matheunterricht erst allein eine Aufgabe, dann besprechen sie sich untereinander und vergleichen ihre Ergebnisse. Gibt es Schwierigkeiten, dann helfen sich die Schüler gegenseitig. Kooperatives Lernen nennt sich das. Das stärkt nicht nur die Teamarbeit. Die Schüler werden selbst zu Lernvermittlern.

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Aylin, 16 Jahre, arbeitet gerne im Team

NRW hat die größten Schulklassen

NRW hatte im Schuljahr 2021/22 im Vergleich mit den anderen 15 Bundesländern bei allen gängigen Schularten die größten Klassen. Sowohl bei den Grundschulen (23,5 Kinder) als auch bei den Gesamtschulen (26,8) und Gymnasien (26,8) war NRW negativer Spitzenreiter.

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"Ganz klar ist, dass Klassengrößen mit bis zu 30 Kindern einfach viel zu groß sind", sagt auch Stefan Behlau, Landesvorsitzender vom Verband Bildung und Erziehung (VBE) NRW.

Auf Augenhöhe begegnen und Visionen teilen

Auch in der Duisburger Green Gesamtschule gibt es diese riesigen Klassen. Teilweise sitzen hier bis zu 33 Schüler. Wie gehen Lehrer damit um? Die Lage entzerrt sich durch die Kleingruppen, die dort miteinander lernen. "Dadurch, dass die Schüler ab Klasse 5 lernen, wie sie am Tisch so leise miteinander sprechen, dass man noch sein eigenes Wort versteht, geht das sehr gut", erklärt Schulleiterin Nicole Schlette. "Die Schüler lernen sehr selbständig zu arbeiten, sodass ich als Lehrkraft die Möglichkeit habe, viel stärker als Lernbegleiterin zu fungieren, zu beobachten und zu diagnostizieren. Das ist eine gute Möglichkeit, mit vollen Klassen umzugehen."

Das Zauberwort ist Teamarbeit.

Nicole Schlette, Schulleiterin

Außerdem wird jede Sitzung in der Klasse mit einem Warm-up gestartet. Das kann eine einfache Frage sein wie: "Was war der schönste Ort, an dem du jemals warst?" Schüler und Lehrer lernen sich so noch besser kennen. Fragen stellen heißt auch, sich für den anderen zu interessieren. Das Fundament für bessere Zusammenarbeit.

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Angel, 15 Jahre alt, war erstaunt über das Team-Konzept in ihrer neuen Schule.



Bildungsnotstand durch Lehrermangel?

Der Lehrermangel spitzt sich zu. Rund 6.700 Lehrer werden in NRW gesucht. Hinzu kommt: Derzeit ist auch fast jede zehnte Schulleiterstelle unbesetzt.

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So viele Lehrkräfte fehlen derzeit allein an NRW-Grundschulen

Nach Angaben des Statistischen Landesamtes IT.NRW arbeiten zum Beispiel inzwischen 48 Prozent der Grundschullehrkräfte in Teilzeit. Immer weniger halten den Beruf bis zum Erreichen der Regelalterszeit durch. Und auch der Nachwuchs wolle nicht mehr unbedingt ein Leben lang Lehrkraft sein, so die stellvertretende Landesvorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) Wibke Poth und hat auch Gründe dafür ausgemacht: Die von der Politik versprochene Wertschätzung und Entlastung der Lehrkräfte komme seit Jahren nicht. "Das schreckt ab."

Beim Lehrer-Schüler-Verhältnis landet Nordrhein-Westfalen im Ländervergleich auf einem Mittelplatz. Auf eine Lehrkraft kamen im Jahr 2021/22 durchschnittlich 13 Schülerinnen und Schüler. Der Lehrermangel ist kein alleiniges NRW-Problem. Auch andere Bundesländer kämpfen damit.

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Schulpreis für ein besonderes Teamkonzept

Wie steuert die Green Gesamtschule in Duisburg in diesen schwierigen Zeiten gegen? So gut jedenfalls, dass sie 2021 den Deutschen Schulpreis für ihr Konzept bekommen hat. Den gab es für besondere Teamarbeit während der Pandemie und auch für den Mut, Seiten- und Quereinsteiger einzubeziehen. Gruppenarbeit gibt es auch im Kollegium. In Teams tauschen sich Lehrkräfte regelmäßig über Unterrichtsinhalte aus. So hat zum Beispiel auch jede Klasse zwei Klassenleitungen.

Und noch eine andere Hürde muss die Duisburger Schule nehmen: Die Schüler kommen zum größten Teil aus ärmeren Elternhäusern. Voraussetzungen für einen gelungenen Bildungsprozess seien da nicht von Anfang an gegeben, erklärt die Schulleiterin.

Bei Weitem kein Einzelfall in NRW: 948 Schulen in NRW gelten ab dem Schuljahr 2024 als besonders "sozial belastet". Bisher waren es 338 Schulen mit besonderen sozialen Herausforderungen, die in den höchsten Index-Stufen eingruppiert waren.



Der Jahrgang, der jetzt Abitur macht, hatte zu 80 Prozent eine Hauptschulempfehlung.

Schulleiterin Nicole Schlette

Glück als Unterrichtsfach

Etwas ganz Besonderes ist wohl der Glücksunterricht in der Duisburger Schule. Da werden die Strukturen eines normalen Unterrichts einfach aufgebrochen. Und wenn es sein muss, steigen Schüler dazu auch mal auf die Tische, reichen sich die Hände, liegen sich in den Armen. Gesprochen wird über alles - auch über Streit. "Im Glücksunterricht geht es mir persönlich darum, den Kindern im stressigen Alltag eine Insel zu geben, wo sie begreifen können, dass das Glas nicht halb leer ist, sondern halb voll ist", sagt Glückslehrerin Simone Kaiser-Gülicher. Manchmal nach einer stressigen Klassenarbeit, kämen die Kinder ihr schon auf dem Flur entgegen und rufen: "Frau Kaiser, lassen Sie uns jetzt Glück machen."

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Emirhan, 16 Jahre, freut sich, seinen Geburtstag in der Klasse zu feiern