Von Andreas Palik | Veröffentlicht: 9. Mai 2024, Update: 16. Juli 2024
An drei Tagen im Juli (Mittwoch, 17.7. bis Freitag, 19.7.) gibt Superstar Taylor Swift Konzerte in Gelsenkirchen. Begonnen hat sie ihre "Eras Tour" in Europa Anfang Mai in Paris , ihr letztes Konzert in Europa findet am 17. August in London statt.
Zwischen Postern, signierten Album-Booklets und Verpackungen vieler Fanartikel steht Kim Niehaus und nimmt eines ihrer Lieblingsstücke aus dem Regal: eine Schneekugel. In der Kugel steht das „Lover House“ aus dem Musikvideo zu dem Song „Lover“ von Taylor Swift: „Das Lover House zeigt die gesamte Karriere von Taylor Swift. Jedes Zimmer im Lover House steht für ein Album und einen Teil ihrer Karriere. Ich finde sie einfach optisch auch am schönsten. Wenn man die Schneekugel anmacht, spielt sie das Lied ‚Lover‘ und das ist eins meiner Lieblingslieder.“
Alles, was hier in den Regalen in ihrem Arbeitszimmer steht, hat etwas mit Taylor Swift zu tun. Eine Sofortbildkamera im Taylor-Swift-Design, Popcorn-Eimer zu ihrem Kinofilm, die Alben auf CD und Vinyl im Wohnzimmer – da kommt einiges zusammen.
Hunderte von Taylor-Swift-Fanartikeln sammelt Kim Niehaus bei sich zu Hause. Den Wert schätzt sie auf einen gebrauchten Kleinwagen: „Genau nachgerechnet habe ich es nicht – ich möchte das auch nicht, weil im Endeffekt ist es dann doch mehr als ich gegenüber meiner Familie und vor allem meinen Eltern zugeben möchte. Aber der emotionale Wert ist für mich unermesslich.“
Kim Niehaus ist 26 Jahre alt und kommt aus Bielefeld. Seit über zehn Jahren verfolgt die Social-Media-Managerin eines Kontaktlinsen-Onlineshops die US-amerikanische Künstlerin – und sie ist ein Swiftie. So nennen sich ihre Fans. Wenn sie von Taylor Swift erzählt, fängt sie direkt an zu lächeln und man hört die Begeisterung in ihrer Stimme: „Taylor Swift hat einen Song für jede Lebenslage. Wenn du heiratest, du verliebt bist oder du gerade durch eine Trennung gehst und supertraurig bist – sie hat einen Song. Und die begleiten mich und geben mir emotionalen Support. Ich hatte dadurch das Gefühl, es gibt auch andere Leute, die so fühlen wie ich.“
Und damit ist sie nicht allein. Weil Fan-Sein sehr individuell und subjektiv ist, lässt es sich schwer messen. Nimmt man als Maßstab beispielsweise die Follower auf Instagram, kann man sagen, dass Taylor Swift über 280 Millionen Fans hat. Ihre Musik ist unglaublich erfolgreich: Ihre Songs und Alben landen regelmäßig auf Platz 1 der Charts und sie wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit 14 Grammys. Auch ihr neues Album „The Tortured Poets Department“, welches Mitte April veröffentlicht wurde, hat nach nicht mal einer Woche Weltrekorde gebrochen. Am Tag der Veröffentlichung wurde ihr Album über Spotify 300 Millionen mal gestreamt. Nach ein paar Tagen haben sich Fans ihr Album bereits über eine Milliarde Mal angehört. Das gab es bei Spotify noch nie.
Von diesem Erfolg konnte die junge Taylor Swift – geboren 1989 im US-Bundesstaat Pennsylvania – nur träumen, als sie das erste Mal mit 14 Jahren in den Bars von Nashville auftrat. Zu dieser Zeit versuchte sie ihren Durchbruch noch als Country-Sängerin. Sie spielte mit ihrer Gitarre Coversongs, aber auch selbst getextete Lieder. 2004 und 2005 unterschrieb sie bereits ihre ersten Verträge. Nachdem ihre Karriere als Country-Sängerin startete, wurde ihre Musik zunehmend poppiger und rockiger, bis sie mit ihrem Album 1989 das Country-Genre so gut wie verlassen hatte. Mittlerweile hat Taylor Swift elf Alben herausgebracht und bricht heute als Pop-Sängerin immer wieder neue Rekorde.
Sie als Künstlerin sticht neben Ikonen der vergangenen Jahrzehnte hervor, sagt Jörn Glasenapp. Er forscht an der Universität Bamberg unter anderem zu Popkultur und hat ein Buch über den Hype um Taylor Swift geschrieben: „Ihr Songwriting ist brillant. Sie bringt seit 2006 durchweg relevante Alben heraus – und das sage ich jetzt nicht nur als Fan. Mit anderen Worten: Taylor Swift hält sich bereits ungemein lange. Das liegt vornehmlich an der Qualität ihrer Musik, aber auch daran, dass sie es einem wirklich leicht macht, den Zugang zu finden. Denn sie macht Musik, die – und das meine ich ausdrücklich nicht negativ – im besten Sinne massentauglich ist.“
Da, wo es passt, lässt Kim Niehaus Taylor Swift auch gerne etwas mehr in ihr Leben – zum Beispiel bei ihrer Hochzeit. „Es war das Ende eines Jahrzehnts, aber der Beginn eines neuen Zeitalters“: Das Zitat aus dem Song „Long live“ stand auf den Einladungskarten zu der Hochzeit von Kim und ihrem Mann Julian. Taylor Swift hatte den Song ihrer Band gewidmet, mit der sie schon so lange zusammen Musik gemacht hat. Für Kim passt er perfekt: „Als wir geheiratet haben, waren wir im zehnten Jahr zusammen und es war wirklich das Ende einer Dekade. Aber der Anfang von einer ganz großen, hoffentlich langen Zeit. Deswegen berührt mich das emotional sehr und es hat einfach sehr gut gepasst.“
Für das Hochzeitsfotos der beiden gibt es deshalb keinen besseren Platz als in einem Bilderrahmen, den eine weitere Zeile aus dem Song ziert: „Es hat einen Kreis gebildet, dass ich einen Songtext auf der Einladungskarte zur Hochzeit hatte und jetzt das Hochzeitsbild in diesen Bilderrahmen packen konnte.“
Viele Fans wollen ihrem Idol nahe sein. Bei einem Popstar wie Taylor Swift ist die einzige Möglichkeit dafür in der Regel ein Konzert. Das will auch Kim Niehaus. Das letzte Mal auf einem Konzert von Taylor Swift war sie 2015 in Köln.
Im vergangenen Sommer startete der Ticketverkauf für die ERAS-Tour von Taylor Swift. Drei Abende hintereinander spielt sie auch in Gelsenkirchen, von Mittwoch, 17. Juli bis Freitag, 19. Juli. Die Nachfrage war groß – laut Ticketverkäufer Eventim haben drei Millionen Fans versucht, Tickets zu kaufen. Wer eins bekommen hat, musste über 100 Euro pro Ticket zahlen, für VIP-Tickets mehrere hundert Euro. Damit Kim Niehaus überhaupt eine Chance hatte, hatte sie sich den Tag, an dem der Vorverkauf startete, Urlaub genommen: „Das war für mich der stressigste Tag aller Zeiten.“ Mit mehreren Geräten haben sie und ihre Freunde versucht, Tickets für die Konzerte zu bekommen. Viele Fans gingen leer aus.
Kim Niehaus hat Tickets bekommen. Nicht nur für ein Konzert – sondern für sieben. Neben den Konzerten in Gelsenkirchen geht es für sie auch nach Hamburg, London und Liverpool: „Ich glaube, es gibt keinen Ort, an dem ich mich so frei fühle und so viel Spaß habe wie bei einem Taylor-Swift-Konzert. Und wenn dir etwas so Freude macht und du so darin aufgeht, dann machst du das öfter. Und deswegen gehe ich auf mehrere Konzerte.“
Über 750 Euro lässt sich Kim Niehaus die Konzerte kosten. Hinzu kommen die Kosten für die Reise und Unterkunft. Bis nach Gelsenkirchen hat sie es von Bielefeld zwar nicht weit. Nach Hamburg und England ist es schon weiter. Das geht ins Geld, deswegen sind die Konzerte für sie auch ihr Jahresurlaub: „Aber ich kann mir keinen schöneren Urlaub vorstellen, als mit meinen liebsten Freunden zusammen die Musik zu hören, die uns glücklich macht und die uns zusammengebracht hat.“ Auch an dem Tag, als das neue Album von Taylor Swift „The Tortured Poets Department“ veröffentlicht wurde, hat sie sich Urlaub genommen, um das zu tun, was sie am liebsten macht: Song für Song Taylors Alben durchhören.
Konzertkarten sind teuer. Doch die ausverkauften Stadien zeigen, dass die Fans bereit sind, den Preis zu bezahlen. Dass Fans für ihre Leidenschaft viel Geld ausgeben, war schon immer so, sagt Medienkulturwissenschaftlerin und Fanforscherin Melanie Fritsch von der Universität Düsseldorf. Sie forscht unter anderem über das Verhalten von Fans in der Gaming-Szene, sie sieht aber auch viele Parallelen zu den Fans von Taylor Swift: „Geld in eine Leidenschaft versenken konnte man schon immer. Wenn jemand im 19. Jahrhundert großer Buchfan war und sich eine komplette Bibliothek aufgebaut hat, war das vielleicht auch nicht unbedingt so günstig.“
Kim Niehaus weiß, dass nicht jeder die gleichen finanziellen Mittel hat und sich vielleicht kein Konzert leisten kann. Dass sie auf viele Konzerte geht und viele Fanartikel hat, macht sie auch nicht zu einem besseren Fan, sagt sie: „Du kannst auch ein großer Taylor-Swift-Fan sein, ohne viel Merch zu haben. Ihre Musik ist etwas für jeden. Ich bin eine Konsum-Maus und gebe gerne Geld dafür aus. Aber das muss nicht jeder Fan.“
Grundsätzlich hat jede Fan-Gemeinde ihre Besonderheiten, eigene Bräuche und spezielles Wissen, das es nur in der Community gibt. Und obwohl es Künstler gibt, die beispielsweise mehr Follower bei Instagram haben als Taylor Swift, ist es bei ihr noch einmal ein anderes Level, sagt Jörn Glasenapp: „Die Fans von Taylor Swift, die Swifties, sind deutlich auffälliger und präsenter als die Fans beispielsweise von Dua Lipa oder Ariana Grande, selbst als jene von Beyoncé. Die Schwarmintelligenz dieser Community ist gewaltig, nicht zuletzt, weil es sehr, sehr viele sind.“
Wer sich mit Kim Niehaus über Taylor Swift unterhält, weiß danach Dinge über die Künstlerin, über die man vorher noch nicht einmal nachgedacht hat – zum Beispiel über Taylor Swifts Katzen: Meredith, Benji und Olivia. Nicht viele wissen vermutlich, dass die Katzen nach bekannten Filmfiguren benannt sind: Olivia Benson, Benjamin Button und Meredith Grey. Fans wie Kim Niehaus wissen aber noch mehr: „Ihre Katze Olivia nennt sie aber eigentlich nie Olivia, sondern Dibbles. Das hat sie mal vor Ewigkeiten in einem Interview bei Ellen erzählt, dass sie vom Charakter her eigentlich eher Dibbles heißen sollte.“
Perle an Perle an Perle: In allen Farben, dazu mit Emojis und ein paar Buchstaben, die meistens Zeilen aus einem der vielen Songs von Taylor Swift sind. Fast täglich sitzt Kim Niehaus im Wohnzimmer und bastelt Freundschaftsarmbänder. Dieser Brauch ist eine weitere Besonderheit zwischen den Swifties. Die werden zum Beispiel auf Konzerten ausgetauscht. Da sie auf gleich sieben Konzerte geht, hat sie noch viele vor sich: „Ich will zu jedem Konzert 50 Armbänder mitnehmen. Da habe ich noch einiges zu tun.“
Das kostet viel Zeit. Die verbringt Kim auch in den sozialen Medien, um mit der Swiftie-Community in Kontakt zu bleiben. Vor etwa fünf Jahren hatte sie sich einen Fan-Account auf Instagram angelegt. Damals hatte Kim Niehaus mitbekommen, dass Taylor Swift sich mit Fans trifft: „Ich wusste, ich musste irgendetwas tun, um gesehen zu werden.“ Persönlichen Kontakt zu Taylor Swift hatte sie damit noch nicht, dafür aber zu vielen anderen Swifties. Später kam noch ein TikTok-Kanal dazu, auf dem sie fast jeden Tag Videos über Themen wie Merch, Konzerte, News oder persönliche Gedanken zu Taylor Swift postet. Mittlerweile haben ihre Beiträge auf TikTok über 700.000 Likes.
Noch nie war es so einfach für Fans, sich mit anderen auszutauschen – dank Instagram und TikTok. „Es ist leichter, sich miteinander in Verbindung zu setzen. Früher musste man jemanden kennen, der zum Beispiel ein Fan-Magazin hatte und einem gesagt hat, da musst du einen Brief hinschreiben, so kriegst du das“, sagt Fanforscherin Melanie Fritsch.
Harald Lange leitet die Fan- und Fußballforschung an der Universität Würzburg. Er betont: Gerade das Gesellige und Zusammenkommen mit anderen Menschen sei eines der schönsten Dinge am Fan-Sein. „Da erlebt man enorm viel mit Gleichgesinnten und da entstehen Freundschaften und Kontakte. Man tauscht Geschichten aus, man erlebt Geschichten. Das ist Teil meines sozialen Lebens. Ich tauche ein in eine Community, in der ich dann auf höchstem Niveau Expertise austauschen kann.“
Und eben durch diese Community hat Kim Niehaus auch ihre heutige beste Freundin Sophie kennengelernt, die in Rostock wohnt. Sophie war sogar Brautjungfer auf ihrer Hochzeit. Das wäre ohne Taylor Swift nicht möglich gewesen – und nicht ohne die Swiftie-Community.
Die Community bedeutet für Kim Niehaus nicht nur Freundschaft, sie ist auch zu einem Safe Space für sie und viele andere Fans geworden. Das merke man vor allem auf den Konzerten, „weil dort so viele andere Leute sind, die dasselbe feiern und dasselbe cool finden wie ich auch und man wird nicht dafür verurteilt, dass man die Musik feiert und sich Kostüme anzieht. Gerade als Taylor-Swift-Fan begegnet man im Alltag immer wieder kritischen Leuten, die sagen ,Hey, Taylor Swift schreibt doch nur über die eine Sache, das ist Girly-Pop.‘“
Dabei haben es Fans heute schon deutlich einfacher als früher. Das liegt auch an dem Image der Fans, das sich gewandelt hat, sagt Popkultur-Forscher Jörn Glasenapp. Fan zu sein wird viel häufiger positiv wahrgenommen: „Fan war lange ein Schimpfwort und das ist es heute definitiv nicht mehr. Früher hat man auch über Taylor Swift gesagt, sie sei nur etwas für kleine, dumme Mädchen. Das hat sich geändert, da man mittlerweile auf diese Fangruppe ein bisschen weniger patriarchal und frauenfeindlich blickt. Fan zu sein ist schlicht ein tolles Hobby, das man haben kann.“
Für die Fans von Taylor Swift bedeutet das, dass sie nicht mehr so oft in eine Schublade gesteckt werden. Fan von etwas zu sein ist so ganz normal. Wenn jeder es ausleben darf, wie er oder sie es möchte. Ohne Grenzen zu überschreiten, wie zum Beispiel sich in das Privatleben der Stars einzumischen, sich für das Fan-Sein zu verschulden oder Pflichten bei der Arbeit oder soziale Kontakte zu vernachlässigen.
Diese Grenzen zieht auch Kim. Taylor Swift ist zwar ein großer Teil ihres Lebens geworden, das Fan-Sein ist für sie aber nicht alles: „In meinem Leben steht im Mittelpunkt meine Familie, mein Mann, meine Katzen. Wenn jetzt ein Konzert von Taylor Swift wäre und am selben Tag heiratet meine beste Freundin – natürlich bin ich bei meiner besten Freundin. Fan zu sein ist mein größtes Hobby, aber es ist ein Hobby. Es macht mich als Person nicht aus. Ich bin immer noch Kim.“
Text: Andreas Palik
Fotos und Videos: Andreas Palik
Grafik: Alina Bilkis, Anna Zdrahal
Redaktion: Thierry Backes, Raimund Groß, Till Hafermann
Weitere Fotos: picture alliance / Chris Pizzello/Invision/AP und AP Photo/Natacha Pisarenko (Aufmacher-Montage); picture-alliance/dpa (Taylor Swift mit 17); IMAGO/JOEL CARRETT (Taylor Swift-Konzert 2024)