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WDR

Text: Christian Hoch
Fotos: Jannik Schlüter
Redaktion: Raimund Groß und Till Hafermann

Veröffentlicht am 23.11.2024

Medien
  • WDR

Das macht Crack mit dir

Es wirkt innerhalb weniger Sekunden und macht oft schon nach dem ersten Konsum süchtig: Crack. Seit ein paar Jahren überschwemmt die Droge Nordrhein-Westfalen - für das Jahr 2023 melden die Drogenkonsumräume NRW einen Anstieg von 37,6 Prozent im Vergleich zum Jahr davor.

Besonders betroffen sind Menschen in prekären Lebenssituationen, die der Droge verfallen und sich schnell in einem Teufelskreis wiederfinden, aus dem es nur die wenigsten wieder herausschaffen. Wir haben uns in Düsseldorf mit Menschen getroffen, denen das gelungen ist.

Text: Christian Hoch | Fotos: Jannik Schlüter | Veröffentlicht: 23.11.2024

Ein Sonnenstrahl fällt mitten durch das Stahlgeländer der Unterführung auf das Gesicht von Mo, 31 Jahre. Dunkle kurze Haare, dunkler Pulli. Ein paar Meter entfernt vom Gebäude der Düsseldorfer Drogenhilfe macht er sich bereit für das letzte Foto mit uns. Dafür ist er noch einmal extra nach dem Nachmittagsgebet aus der Moschee zu uns gekommen. Seine Lippen formen ein Lächeln, als er in die Kamera blickt.

Es ist knapp zwei Jahre her, da wäre ein Moment wie dieser noch undenkbar gewesen. Es ist die Zeit, in der ihn seine Drogensucht in den Abgrund reißt: „Einmal bin ich morgens unter einer Brücke aufgewacht, da hatte ich einen Blackout. Ich wusste nicht mehr, wo ich bin, überall war Blut in meinem Gesicht verschmiert.“

Mo früher und heute: Links während der Zeit der Abhängigkeit, rechts im Herbst 2024

  • Bild: WDR/Jannik Schlüter

Familienprobleme und tiefe Depression

2013 ist das Jahr, in dem sich Mos Leben ändert: Bis dahin geht er zur Schule, spielt Fußball und hat den Traum, Profi zu werden. Ganz ohne Sorgen ist sein Leben schon da nicht: Es gibt Konflikte innerhalb seiner Familie und mit seinem alkoholkranken Vater.

Dann ein Schlüsselmoment, der alles verändert: „An einem Abend wollte ich nach Hause gehen und habe mitbekommen, wie ein Mann eine Frau auf der Straße bedroht hat.“ Mo geht dazwischen, schickt die Frau weg und wird von dem Mann daraufhin verprügelt. Bei dem Angriff verliert er die Sehkraft auf dem linken Auge, fällt danach in eine tiefe Depression.

Es folgt eine Trennung von seiner Ex-Freundin, durch die Mo auch vorübergehend den Kontakt zu seinem Sohn verliert.

Darauf musst du erstmal klarkommen. Ich habe dann gesagt: Jetzt ist mir alles egal.

In dieser Zeit kommen Drogen in sein Leben. „Ich habe wirklich alles gemacht, was man nur machen kann.“ Erst ist es Heroin, dann Kokain und später auch Crack.

Crack wirkt nach wenigen Sekunden

Crack ist eine rauchbare Form von Kokain, das mit Natron oder Amoniak aufgekocht wird. Daraus entstehen dann kleine gelbliche Kristalle, die in der Szene oft auch als „Steine“ bezeichnet werden. Diese Kristalle werden dann oft in speziellen Pfeifen konsumiert.

Schon nach wenigen Sekunden nach dem Zug bindet sich Crack an bestimmte Rezeptoren im Körper, die dafür sorgen, dass bestimmte Glückshormone wie Dopamin oder Serotonin ausgeschüttet werden. Das zentrale Nervensystem im Körper wird stimuliert, was dann zu kurzzeitigen Gefühlen wie Euphorie oder Wachheit führt. Konsumenten verlieren oft soziale Hemmungen und fühlen sich selbstbewusster.

Mit solchen Pfeifen wird Crack konsumiert.

  • Bild: WDR/Jannik Schlüter

Auch Mo kennt diese Gefühle. Bei den ersten Malen wird ihm noch schlecht vom Konsum, doch schnell bemerkt er eine andere Wirkung: „Du rauchst und bemerkst, wie auf einmal so eine Kraft kommt. Es fühlt sich so an, als würde sich dein Kopf einfach so erweitern. Du hast auf einmal eine extreme Sensibilität.“

Ein Blick in den Drogenkonsumraum in Düsseldorf - hier können Abhängige in hygienischer Umgebung bestimmte Drogen konsumieren.

  • Bild: WDR/Jannik Schlüter

Gefangen im Teufelskreis

Schnell wird Mo aber auch mit den Schattenseiten konfrontiert: „Du hast keine Hemmungen, keine Gefühle, die dich bei irgendetwas zurückhalten. Was danach kommt, ist dann der Filmriss. Wenn du wieder runterkommst, das ist das Schlimmste. Da fällt dir die Decke auf den Kopf.“

Genau an dieser Stelle setzt die Suchtspirale von Crack an, weiß Michael Harbaum, Leiter der Düsseldorfer Drogenhilfe: „Wenn man sich die Kurven anschaut, wann welche Substanz wie wirkt, ist Crack einfach ganz weit vorn. Es wirkt super schnell und super stark. Nach diesem Kick kommt aber vielleicht noch ein kurzes High von maximal fünfzehn Minuten. Danach können die meisten sofort wieder konsumieren.“

Ein Teufelskreis beginnt, in dem sich viele Suchtabhängige verfangen, die mit Crack in Berührung kommen. Sie konsumieren mehrmals täglich und kommen kaum noch zum schlafen, essen oder trinken.

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Wundversorgung, Hygieneartikel - und ein offenes Ohr

Diese Wirkung von Crack ist einer der Hauptgründe für die steigenden Zahlen, die für suchtkranke Menschen zum Teil schwere Folgen haben. Anna von Itter beobachtet diese während ihrer Arbeit als Sozialarbeiterin bei der Düsseldorfer Drogenhilfe. Sie ist mehrmals in der Woche in der Drogenszene unterwegs, hilft zum Beispiel mit Wundversorgungen und Hygieneartikeln.

Anna von Itter von der Düsseldorfer Drogenhilfe

  • Bild: WDR/Jannik Schlüter

Genauso wichtig: Einfach ein offenes Ohr zu haben. „Die Menschen haben, seit sie Crack konsumieren, durchgehend abgebaut. Sie sind fast durchgehend wach, ich habe einige Menschen im Kopf, die sehr stark abgenommen haben. Wenn man sich vorstellt, dass man kaum noch isst. Das geht extrem auf den Körper und die Psyche. Dementsprechend sind die Menschen dann auch gereizter, fahriger, aggressiver und generell unglücklich.“

Die Gewalt in der Szene nimmt zu

Vor allem an Hotspot-Plätzen kommt es deswegen aktuell zu immer mehr Auseinandersetzungen von Menschen in der Drogenszene, bei denen zum Teil auch Gewalt eingesetzt wird. Auch Messer kommen dabei immer häufiger zum Einsatz, so der Eindruck von Anna von Itter. Ein Trend, den sie mit Sorge verfolgt: „Die meisten haben ein Messer dabei, um sich zu verteidigen, weil sie Angst haben, abgestochen zu werden. Viele Klienten sagen mir gerade, dass die Stimmung sehr aggressiv und aufgeheizt ist.“

Einer dieser Hotspots ist der Worringer Platz in Düsseldorf. Ein Verkehrsknotenpunkt, an dem sich viele Obdachlose und Suchterkrankte aufhalten. Finja (Name geändert) sitzt dort mit einer Flasche Bier auf einem silbernen Geländer neben einem Stromkasten. Sie möchte anonym bleiben, ihre braunen Haare werden von einer pinken Kappe verdeckt. Auch sie beobachtet eine Veränderung innerhalb der Szene durch Crack: „Die Menschen verändern sich, ihre ganzen Persönlichkeiten werden anders, aggressiver. Ich finde das traurig.“

Der Worringer Platz ist ein Hotspot der Düsseldorfer Drogenszene.

  • Bild: WDR/Jannik Schlüter

Wege raus finden nur wenige

Finja wächst in Hamburg in einer Zirkusfamilie auf. In den 80er-Jahren flieht sie nach Düsseldorf - weil ihr Bruder sie mehrfach vergewaltigt hat, erzählt sie. „Ich habe immer geschwiegen und geschwiegen. Irgendwann kam es dann dazu, dass ich durchgedreht bin.“

In Düsseldorf kommt sie dann mit Drogen in Kontakt. Erst mit Heroin und später auch mit Crack: „Es gibt keine Erklärung für diesen Kick, es fühlt sich an wie ein Orgasmus, es befriedigt dich innerlich. Du willst dann immer mehr und es macht dich süchtig.“

Um diese Sucht zu befriedigen, fehlt oft das Geld: „Als man drauf war, ist man als Frau auch anschaffen gegangen. Sucht macht erfinderisch. Entweder man macht das oder man dealt und landet so oder so im Knast. Ich habe genug dafür gesessen und werde es auch nie wieder tun.“

Finja ist eine der wenigen Personen, die einen Ausweg gefunden haben. So wie auch Mo, als er vor zwei Jahren wegen der Drogen ins Gefängnis und dort durch seinen zweiten kalten Entzug muss. Er hat durchgehalten und ist mittlerweile wieder „clean“. Einer der Hauptgründe ist die Hilfe von Sozialarbeiterin Anna von Itter, wie er selbst sagt: „Durch sie habe ich mir gedacht: Jetzt kann ich mich zusammenreißen und schaffen, was ich schaffen will. Ich muss nur durchhalten. Die Schmerzen sind egal.“

Anna von Itter von der Düsseldorfer Drogenhilfe besucht Orte, an denen sich Crack-Abhängige aufhalten.

  • Bild: WDR/Jannik Schlüter

Gesellschaftliche Akzeptanz für Wandel

Anna von Itter begleitet Mo in der ersten Phase zu vielen Arztterminen, klärt bürokratische Angelegenheiten, damit der 31-Jährige sich erst einmal voll darauf konzentrieren kann, nicht rückfällig zu werden. Auch heute ist sie noch ein Teil seines Lebens, begleitet den Genesungsprozess weiter.

Fälle wie der von Mo geben ihr Kraft und Hoffnung für ihre Arbeit. Ihr sei es wichtig, zu vermitteln, dass suchtkranke Menschen „auch eine Daseinsberechtigung haben und Menschen sind wie jeder andere. Eine Suchterkrankung ist eine Erkrankung - das ist mir sehr wichtig zu sagen.“

  • Bild: WDR/Jannik Schlüter

Die Kamera löst aus, das Lächeln verschwindet von Mos Gesicht. Noch ein schneller Handschlag und schon ist er wieder verschwunden. Mo hat den Weg aus der Sucht geschafft - sein Beispiel ist ein kleiner Hoffnungsschimmer im Kampf gegen die Crack-Welle, die aktuell immer mehr Teile in Nordrhein-Westfalen überschwemmt.