von Jörn Seidel | veröffentlicht: 11.3.2025
Am 11. März 2020 rief die Weltgesundheitsorganisation Covid-19 zur Pandemie aus. Da beklagte Nordrhein-Westfalen bereits die ersten Corona-Toten. Wenige Tage später verhängten Bund und Länder massive Einschränkungen für unseren Alltag. Der erste sogenannte Lockdown begann - ein Leben, das sich kaum jemand vorstellen konnte.
Wie fühlte sich das damals an? Eine Intensivmedizinerin aus Bonn, ein Gastronom aus Düsseldorf und eine Mutter von vier Kindern in Paderborn berichten. Eine Chronik der ersten Wochen der Corona-Krise in NRW.
Übersicht
Foto: In einem Behelfskrankenhaus im chinesischen Wuhan sind zahlreiche Menschen, die mit dem Coronavirus infiziert sind.
Donnerstag, 12. Dezember 2019
Dienstag, 31. Dezember 2019
Montag, 6. Januar 2020
Dienstag, 7. Januar 2020
Montag, 13. Januar 2020
Donnerstag, 23. Januar 2020
Freitag, 24. Januar 2020
Montag, 27. Januar 2020
Freitag, 31. Januar 2020
Samstag, 1. Februar 2020
Dienstag, 11. Februar 2020
Samstag, 15. Februar 2020
Sonntag, 23. Februar 2020
Veilchendienstag, 25. Februar 2020
Aschermittwoch, 26. Februar 2020
Freitag, 28. Februar 2020
"Als Intensivmediziner rechnet man immer damit, dass sich ein Virus ausbreitet", sagt Aylin Yürüktümen dem WDR. Sie ist Leiterin der kardiologischen Intensivstation am Universitätsklinikum Bonn. Als in Deutschland die ersten Corona-Fälle auftraten, sei ihr klar gewesen: "Das wird die Spitze des Eisbergs sein."
Anfangs blieb ihre Intensivstation noch verschont von Corona. Aber der Blick nach Italien ließ Yürüktümen Schlimmes erahnen. Dort wütete das Virus schon bald so stark, dass jeden Tag Dutzende, später sogar Hunderte Menschen starben.
Man hat in Italien gesehen, welches Ausmaß das nehmen kann, was so ein Virus verursachen kann.
Ihre ersten Corona-Patienten hatte sie irgendwann im März 2020. Patienten zu isolieren und Schutzausrüstung zu tragen, war für ihr Team nichts Neues. Aber diesmal war das Gesundheitsrisiko ein anderes - ein unbekanntes.
Stets war allen klar: Man könnte sich bei der Arbeit selbst iinfiziert haben und dann das Virus weitertragen. Zum Teil hätten ihre Ärztinnen und Ärzte deshalb wochenlang kaum Kontakt zu ihren Familien gehabt, sagt 52-Jährige.
Das war ein Mega-Team. Das hat zusammengeschweißt.
Eine ihrer größten Sorgen: Ihr Team könnte selbst erkranken und in der Klinik somit eine Versorgungslücke klaffen.
Einmal kam eine Kollegin infiziert aus dem Urlaub zurück, ohne es zu wissen. "Sie hat sich große Vorwürfe gemacht", erinnert sich Yürüktümen. Es ging noch mal gut: Niemand steckte sich an.
"Das war eine irre Herausforderung", sagt Yürüktümen über die Corona-Zeit. Auch die Pflegekräfte hätten "Enormes geleistet".
Zugleich sagt sie: "Wir hatten irrsinniges Glück." Denn ihre Station war nie überfüllt - wohl auch deshalb, weil es am Uniklinikum Bonn noch andere Intensivstationen gibt.
Vielen Patienten habe man das Leben retten können. Vielen aber auch nicht, sagt Yürüktümen. Einer sei schon bei der Einlieferung so schwer erkrankt gewesen, dass er nach etwa vier Stunden starb.
Irgendwann untersagten die Corona-Regeln den Angehörigen, ans Bett kommen zu dürfen. Das sei vielen schwergefallen, erinnert sich Yürüktümen. "Eine Frau stand bei uns heulend im Flur. Wir sagten ihr: Wenn es kritisch wird, sagen wir Bescheid." Sie hatte Glück: Ihr Mann überlebte.
Foto: Im der norditalienischen Provinz Bergamo starben an einigen Tagen hunderte Menschen.
Freitag, 6. März 2020
Sonntag, 8. März 2020
Montag, 9. März 2020
Dienstag, 10. März 2020
Mittwoch, 11. März 2020
Donnerstag, 12. März 2020
Freitag, 13. März 2020
Samstag, 14. März 2020
Sonntag, 15. März 2020
Montag, 16. März 2020
Dienstag, 17. März 2020
Samstag, 21. März 2020
Sonntag, 22. März 2020
Montag, 23. März 2020
Im Frühjahr 2020 herrschte im Café Florian noch das pulsierende Leben. Die Gaststätte mit Pariser Flair ist zugleich Café, Bar und Restaurant und eine Institution in der Düsseldorfer Nordstraße. An der Seite seines Vaters Abed Mansour war Marcel Mansour damals noch Juniorchef.
Die ersten Meldungen über das Virus aus Wuhan nahm der studierte Betriebswirt noch nicht so ernst. "Erst dachte ich: Schon wieder so eine Vogelgrippe", erzählt der 30-Jährige dem WDR. "Doch dann änderte sich die Berichterstattung. Schrittweise begriff man den Ernst der Situation."
Als dann vom Karneval in Heinsberg die Rede war, dachte ich: Krass, das hätte auch bei uns passieren können.
Wenig später war im Café Florian nichts mehr wie vorher. Durch die Schutzmaßnahmen "mussten wir erst mal komplett schließen", sagt Mansour. Und niemand habe gewusst, wie es weitergehen wird.
Was tun mit den knapp 20 Mitarbeitenden von der Vollzeitkraft bis zum Studenten?, fragte sich Mansour. "Als Unternehmer trage ich eine Verantwortung für sie." Er beantragte Kurzarbeitergeld, aber das ließ "ultralange" auf sich warten. "Also haben wir es aus eigener Tasche vorgestreckt."
Auch für seine Gäste war die Schließung ein Verlust - für manche richtig schwerer. Einmal sah Mansour durch das Fenster seiner Wohnung drüben auf der anderen Straßenseite eine Stammkundin vorm Café Florian. "Sie kam zu der Uhrzeit, zu der sie immer kam, setzte sich vor die Tür auf ihren Rollator und trank aus einer Flasche Wasser."
Wenig später war der Außer-Haus-Verkauf erlaubt. "Wir verkauften durchs Fenster Kaffee und Mittagessen. Meine Mutter half hinten mit", erinnert er sich. "Geld hat man mit der Nummer nicht verdient. Aber darum ging es nicht. Es ging den Menschen um diese zwei Minuten sozialen Kontakt."
Es ging den Menschen um diese zwei Minuten sozialen Kontakt.
"Wir waren ja alle hungrig nach sozialen Kontakten. Das war wie ein Dienst am Volke. Wie so ein Stadtteilzentrum", sagt Mansour.
Aber das gefiel nicht allen. Ein Anwohner habe sich beim Ordnungsamt beschwert, als Kunden beim Abholen zu nah beieinander standen. Auch das gehöre zu der damaligen Zeit, sagt Mansour: "das Denunziantentum".
Die Unsicherheit über die Zukunft des Betriebs war groß. Aber er persönlich und seine Eltern hätten damals nicht gelitten, sagt Mansour. Darüber sei er froh, denn er habe auch anderes erlebt.
Damals habe er ein kleines Ladenlokal, das ihm gehört, gerade neu vermietet, erinnert sich Mansour. Der Mieter, ein älterer Mann, habe sich mit seinem Ersparten einen Lebenstraum verwirklichen wollen: einen kleinen Friseursalon. "Tagelang hat er alles selbst aufgebaut, auch das Laminat verlegt. Dann bekam er Corona. Eine Woche später war er tot."
Foto: Auch in dieser Essener Straßenbahn gilt im April 2020 die Maskenpflicht.
Mittwoch, 1. April 2020
Freitag, 3. April 2020
Ostersonntag, 12. April 2020
Mittwoch, 15. April 2020
Montag, 20. April 2020
Montag, 27. April 2020
"Ich weiß bis heute nicht, wie wir das alles überstanden haben", sagt Sonja Feierabend dem WDR. Sie ist Mutter von zwei Jungen und zwei Mädchen in Paderborn. Als es damals mit Corona losging, besuchten ihre zwei Großen die Grundschule, die beiden Kleinen den Kindergarten.
"Ich erinnere mich an die Krisenstimmung, an die Berichte von den vielen Toten in Italien." Und auch in NRW starben schon die ersten Menschen an und mit Corona. "Als es hieß: Die Schulen und Kitas sind jetzt erst mal zu, war das sogar eine Erleichterung für mich", sagt die 44-Jährige. Es gab ihr ein Gefühl von Schutz.
Damals war sie bereits selbstständig mit einem E-Book-Shop, über den sie eigene Nähanleitungen verkauft. Das Geschäft lief auch ohne sie, florierte sogar im "Lockdown".
Ihr Mann aber, der sonst beruflich oft auf Reisen ist, war plötzlich dauerhaft im Homeoffice. "Wir richteten ihm eine Ecke im Wohnzimmer her. Aber die Kinder waren ja ständig zu Hause. Das war schon nicht leicht."
Eigentlich hatte die Familie Glück: Mit Haus und Garten waren sie nicht auf engstem Raum gefangen und konnten auch die versperrten Spielplätze verkraften. "Aber für die Kinder war es eine lange Zeit", sagt Feierabend. Nicht nur, weil das Fußballtraining und Voltigieren wegfiel. "Ihnen fehlten die Freunde. Man traute sich nicht, sich zu verabreden."
Man hangelte sich von Woche zu Woche, versuchte die Kinder zu motivieren und fragte sich, wann das alles wieder vorbei sein wird.
Kurz nach Beginn des ersten "Lockdowns" im März starb Feierabends Großmutter im Pflegeheim. Direkt danach brach dort Corona aus. "Starb sie infolge einer Infektion?" Das fragte sich ihre Familie. "Wir haben es nicht untersuchen lassen. Sie lag schon seit Wochen im Sterben."
Sehr sonderbar sei die Beerdigung gewesen, erinnert sich Feierabend. Ihre Cousinen und Cousins kamen. Aber die sonst so herzlichen Umarmungen blieben diesmal aus - genau wie das tröstende Trauermahl. "Stattdessen winkten wir uns zu und standen mit fünf Metern Abstand zueinander am Grab."
Vor allem meine Mutter hat sehr gelitten, dass sie ihre Enkel nicht besuchen konnte.
Zwar galt das damalige Kontaktverbot in NRW nicht für private Räume. Aber damals war noch niemand geimpft und Corona-Tests waren nicht verbreitet. "Ständig hieß es: Großeltern sollen ihre Kinder nicht betreuen, weil das Corona-Risiko für Ältere besonders hoch ist." Ihrer Mutter fiel das schwer.
Ende März 2020 wurde Sonja Feierabend 40 Jahre alt. "Ich mache mir da eigentlich nichts draus." Aber diesen Geburtstag hat sie in besonderer Erinnerung. "Meine Mutter backte mir mit Handschuhen und Maske eine Schwarzwälder Kirschtorte, stellte sie auf unsere Terrasse und winkte mir mit Tränen in den Augen zu, statt mich zu umarmen. Es hat ihr wehgetan - und deshalb auch mir."
Foto: Mit strengen Hygiene-Auflagen darf auch dieser Kölner Friseur im Mai 2020 wieder arbeiten.
Montag, 4. Mai 2020
Montag, 11. Mai 2020
Mit der Lockerung der massiven Corona-Schutzmaßnahmen im Mai 2020 fiel der Alltag vielen Menschen wieder weitaus leichter. Aber manche Probleme fingen gerade erst an.
Für die zwei größeren Kinder von Sonja Feierabend in Paderborn begann schrittweise und mit vielen Problemen der Distanzunterricht. Später gab es auch mal Präsenzunterricht.
"Vor allem mein Großer hat darunter gelitten", sagt Feierabend. Er zeigte eine Auffälligkeit, die erst nach Jahren diagnostiziert wurde und seitdem ärztlich behandelt wird. "Bei dauerhaftem Präsenzunterricht wäre das wohl schon früher aufgefallen."
Marcel Mansour durfte sein Café Florian in Düsseldorf vorerst wieder öffnen. "Aber es dauerte noch mehrere Jahre, bis sich der Betrieb normalisierte", sagt er. Denn die Corona-Regeln für Cafés und Restaurants waren kompliziert und änderten sich ständig. Außerdem hatten viele Menschen weiter Sorge vor Ansteckung.
"Das Geld saß auch nicht mehr so locker. Und lange Zeit wollte niemand mehr in der Gastronomie arbeiten. Wir hatten ein massives Personalproblem", sagt Mansour. Heute ist das vorbei - und in das Café Florian ist das pulsierende Leben zurückgekehrt.
Kardiologin und Intensivmedizinerin Aylin Yürüktümen sagte sich schon damals im Mai: "Das wird sich auf jeden Fall noch bis zum Winter hinziehen." Tatsächlich zog sich die Corona-Zeit noch weitaus länger hin. Die letzten Schutzmaßnahmen liefen erst im April 2023 aus - drei Jahre nach dem ersten "Lockdown".
"Noch einmal muss ich das nicht haben", sagt Yürüktümen über die Zeit. "Aber jeder Intensivmediziner weiß, dass so etwas wiederkommen wird." Sie ist überzeugt:
Es ist nur eine Frage der Zeit bis zur nächsten Pandemie.
Trailer: WDR-Podcast "CUT - Das Virus, das uns trennt"
Hinweis der Redaktion: Wir geben in diesem Text Meinungen, Gefühle und Erlebnisse mehrerer Personen wieder. Faktenbehauptungen, die von ihnen getätigt wurden, haben wir so weit es uns möglich war überprüft.
Autor | |
Grafik | Chantal Dübel |
Redaktion | Philipp Blanke, Raimund Groß & Till Hafermann |