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WDR

Text: Katja Goebel
Grafiken: Katja Goebel
Animation: Anne Elisabeth Spruijtenburg
Mitarbeit: 
Redaktion: Lucas Kreling

Medien
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Nahverkehr in NRW: Es geht auch anders!

Viele schimpfen über den ÖPNV: schlechte Taktung, volle Züge, fehlende Buslinien, Verspätungen, teure Tickets. Doch einige NRW-Kommunen gehen mit neuen Ideen voran. Sind die wirklich zukunftstauglich?

Von Katja Goebel

Auf dem Land zu wenig, in der Stadt oft unzuverlässig: Bus und Bahn in NRW müssen auf Vordermann gebracht werden. Während Bund und Länder über Finanzierungsfragen und das Prestige-Projekt "Deutschlandticket" diskutieren, gehen manche Kommunen im Land längst mit eigenen Ideen auf ihre Bürgerinnen und Bürger zu: vom gratis ÖPNV, über Busse auf Abruf - bis hin zum Seilbahn-Highway.

NRW ist Pendlerland: 4,7 Millionen Erwerbstätige in NRW pendelten laut Landesbetrieb IT.NRW allein im Jahr 2020 über die Grenzen ihres Wohnortes hinweg zur Arbeit - das ist mehr als jeder Zweite. Die meisten benutzen dafür das Auto.

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Erwerbstätige in NRW pendelten im Jahr 2020 allein in die drei Städte Köln, Düsseldorf und Essen.

Viele Menschen würden ihr Auto gerne stehen lassen, wenn das Angebot stimmt. Ziele müssen mit Busse und Bahnen gut erreichbar sein.

Der WDR wollten es genau wissen und hat Daten zu allen knapp 47.000 Haltestellen in NRW ausgewertet. Herausgekommen ist der WDR-Reichweiten-Checker. Die interaktive Anwendung zeigt, wie die einzelne Haltestelle angebunden ist und wie diese im NRW-Vergleich abschneidet.

Das Tool finden Sie hier 👇

Der WDR-Reichweitenchecker

Nahverkehr in Monheim: Umsonst und autonom

Die Stadt Monheim, zwischen Köln und Düsseldorf gelegen, hat ihr Verkehrskonzept schon vor Jahren überdacht. Mehr Busse, die häufiger kommen, waren der Anfang. Dann legte die Kommune noch eins drauf. Bereits seit 2020 können die ungefähr 45.000 Einwohner Bus und Bahn in Monheim und Langenfeld kostenlos nutzen.

Für das Angebot hat die Stadt allen Einwohnern den sogenannten "Monheim-Pass" geschickt. Neben weiteren Funktionen enthält er auch einen Chip. Wenn man die Karte per Internet oder App freischaltet, gilt der Pass als Gratis-Ticket für Bus und Bahn. Der Monheim-Pass ermöglicht den Nutzenden übrigens nicht nur das kostenlose Busfahren, sondern auch das Ausleihen von Fahrrädern und E-Autos.

Fahrten mit Bussen und Bahnen sind für Monheimer kostenlos

Um das Projekt zu realisieren, "kauft" die Stadt den Verkehrsbetrieben jährlich die Tickets für 2,5 bis 3 Millionen Euro ab, damit bei den Bahnen der Stadt Monheim kein Verlust entsteht. Leisten kann die Stadt sich das, weil die Kassen gut gefüllt sind.

Monheims Bürgermeister Daniel Zimmermann findet, dass auch andere Städte einen für die Nutzer kostenlosen Nahverkehr mal durchrechnen sollten. Es gehe auch nicht nur um Geld, sondern um die Frage, wie man die Verkehrswende und mehr Klimaschutz hinkriegt.

Ich glaube, dass sich das auch andere Städte leisten können.

Daniel Zimmermann, Bürgermeister von Monheim

Aber: Der kostenlose Nahverkehr in Monheim startete ausgerechnet im Coronajahr 2020. Deshalb gebe es laut Stadt auch noch keine wirklich aussagekräftigen Daten und Zahlen, wie sich die Fahrgastzahlen im Vergleich zu den Vorjahren verändert haben. Auch eine entsprechende Begleitstudie der RWTH Aachen hinke da eher hinterher, denn noch immer gäbe es indirekte Auswirkungen der Pandemie. Nichts sei eben so wie vor Corona und auch viele Arbeitnehmer säßen seitdem zum Beispiel im Homeoffice. Die Zahlen für 2022 liegen noch nicht vor. Aus Befragungen weiß man zumindest: Der Monheim-Pass wird vor allem für Freizeit und Dienstleistungswege genutzt und Monheimer, die vorher keine Zeitkarte besessen haben, nutzen den Öffentlichen Verkehr nun im Durchschnitt etwas häufiger.

Nahverkehrs-Neuland hat Monheim noch in einem anderen Bereich betreten. Ebenfalls seit Februar 2020 ist dort Deutschlands erste autonome Busflotte als reguläre Linie im öffentlichen Verkehr unterwegs. Wie das geht? Die Busse haben viele Sensoren. Mit ihnen prüfen sie, ob die Straße frei ist. Sie haben einen Fahrweg eingespeichert, dem sie automatisch folgen. Sensoren erkennen Hindernisse, die Bus stoppen an Zebrastreifen und weichen Autos und Fußgängern aus.

Altstadtstromer: Selbstfahrender Elektrobus in Monheim

Die vier Meter langen Kleinbusse können 12 Personen derzeit im 15-Minuten-Takt befördern. Kleiner und wendiger als übliche Busse fahren sie durch die engen Gassen der Monheimer Altstadt, in denen ein herkömmlicher Busbetrieb nicht möglich ist. So schließt die Busflotte eine bisherige Lücke im Liniennetz.

Auf dem Land: Busse auf Abruf

Stellen Sie sich vor, es gäbe ein Nahverkehrssystem, das Fahrgäste auf Bestellung abholt und zum normalen Bustarif zum Ziel bringt. Gibt es schon – auch in NRW.

In Höxter ist das zum Beispiel seit zwei Jahren schon Realität. Holibri heißt das System. Holibri steht für „Holt ab und bringt hin“. Mehr als 1.300 Haltepunkte gibt es in Höxter. Und: In der Stadt muss niemand mehr als 200 Meter zum nächsten Haltepunkt laufen.

Ruf-Bus "Holibri" in Höxter

Der Holibri ist ein Nahverkehrspilotprojekt für den ländlichen Raum. Früher gab es hier fünf Stadtbuslinien, doch vier davon wurden gestrichen. Stattdessen fahren nun fünf vollelektrische Kleinbusse durch die Stadt – ohne feste Route, ohne festen Fahrplan – nur auf Bestellung. Bestellt werden kann der Bus per App oder per Telefon, auch Tage in Voraus. Bisherige Bilanz: Deutlich mehr Menschen in Höxter nutzen nun den Nahverkehr. Zweieinhalb mal mehr Fahrgäste zählt Marcus Klugmann vom örtlichen Nahverkehrsverbund.

Aber: Die Holibri-Linien kosten mehr als die damaligen fünf Stadtbusse. Noch bis November 2024 wird das Projekt mit 1,5 Millionen Euro vom Land bezuschusst, danach muss die Stadt die Kosten selbst stemmen – und hofft auf Landesmittel.

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Solche On-Demand Busse gibt es als Modellprojekte auch in anderen NRW-Städten. In Gronau wird der buchbare Bus ab dem Jahr 2024 durch die Stadt finanziert und ist damit einer der ersten On-Demand-Verkehre im ländlichen Raum, die in den Regelbetrieb übergehen.

Bei einer Nutzerbefragung gaben laut Verkehrsverbund Rhein-Sieg (VRS) etwa die Hälfte der Befragten an, das Auto zu nutzen, wenn es das neue Mobilitätsangebot nicht gäbe. Bis zu 50 Prozent der befragten Menschen haben den ÖPNV zuvor nicht genutzt.

Aber: Noch ist eine Finanzierung über die Förderphase hinaus ungewiss. Und es bleibt die Frage, ob der öffentliche Verkehr auf Abruf auch ohne hohe zusätzliche Subventionen funktioniert.

In Duisburg geplant: Die urbane Seilbahn

In Duisburg könnte man künftig vielleicht mit einer Seilbahn zur Arbeit oder Uni fahren können – über Staus und rote Ampeln hinweg. Das sieht ein Konzept der Stadt und der Baugesellschaft Gebag vor. Der Verkehr auf einer 5,3 Kilometer langen Trasse könnte bereits in fünf Jahren starten.

Beginnen könnte die Seilbahn am Duisburger Hauptbahnhof und von dort Richtung Süden führen: Über ein künftiges Büroviertel hinweg zur MSV-Arena und dann weiter an einem geplanten Uni-Campus und Technologiepark vorbei zum neu entstehenden Stadtviertel „Sechs Seen Wedau“.

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Die Kabinen mit bis zu 30 Sitzen könnten dann zu Stoßzeiten vielleicht sogar im Minutentakt fahren und tausende Pendler zur Arbeit oder Fußballfans in die MSV-Arena bringen – mit dem normalen ÖPNV-Ticket. Unter der Woche stünde der Großparkplatz vor dem Stadion als Park&Ride-Fläche zur Verfügung.

Der Vorteil: Seilbahnen sind klimafreundlich und laut Bundesverkehrsministerium preiswert, schnell realisierbar und zuverlässig. Fahrpläne sind überflüssig, denn die Kabinen fahren im Umlauf. Außerdem sind Seilbahnen platzsparend und haben immer freie Fahrt. Es gibt für sie auch keine unvorhergesehenen Hindernisse auf der Strecke – und somit auch keinen Stau.

Seilbahn im bolivianischen La Paz

Wie das im großen Stil geht, zeigt das Beispiel vom bolivianischen La Paz - einer Großstadt mit zwei Millionen Einwohnern. Dort schwebt die Seilbahn lautlos über das tägliche Verkehrschaos hinweg. Jede Linien kann pro Stunde und Richtung 3.000 Passagiere befördern (300.000 Passagiere täglich). Es ist das dichteste städtische Seilbahnnetz der Welt.

In Mexikos Hauptstadt wurde 2021 die längste Seilbahn der Welt in Betrieb genommen. 10 Kilometer misst die Strecke und verbindet den bisher schlecht angebundenen Norden und Osten mit dem Stadtzentrum. Sie Seilbahn kann bis zu 144.000 Menschen täglich transportieren.

Aber: Urbane Seilbahnen eignen sich nur für bestimmte Strecken. Der sinnvolle Einsatz von Seilbahnen beginne bei Strecken von einem Kilometer und endet bei einer Entfernung von sieben Kilometern, erläutert Raumentwickler und Seilbahnexperte Heiner Monheim im Gespräch mit WDR-Quarks. Auch starke Unwetter mit viel Wind und Gewitter könnte sie ausbremsen.

Wie müsste ein zeitgemäßer ÖPNV aussehen?

Damit Busse und Bahnen effektiv genutzt werde können, müsse man die Leute schon zu Hause abholen, sagt Verkehrsforscher Andreas Knie.

Der ÖPNV in seiner jetzigen Form stamme aus den 60er und 70er Jahren, als die Menschen noch alle zur gleichen Zeit zur Arbeit fuhren. Gebündelte Gesellschaft nennt Knie das. "Heute haben wir uns zersiedelt, wir haben eine vereinzelnde Gesellschaft." Und da fehle eine Feinverteilung durch Zubringer. Das könnten On-Demand-Dienste gut übernehmen. Diese erste und letzte Meile gehöre zu einem modernen ÖPNV dazu.

Wir haben einen ÖPNV, der ist aus der Zeit gefallen.

Verkehrsforscher Andreas Knie

Gibt es Vorbildregionen in Deutschland, von denen man sich was abgucken könnte? Natürlich, sagt Andreas Knie. "Wir haben in Berlin das beste System der Welt." Sehr engagiert sei Hamburg oder die Stadt Hannover, die auch den ländlichen Raum mitdenke. "In NRW ist es sehr schwer, dort haben wir immer noch nicht miteinander harmonierende Verkehrsverbünde, zu viele Zweckverbände und zu viel Bürokratie."

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