Klassik, Jazz, Experimentelles, Hörspiele, Literatur, Features und Feuilleton – WDR 3 ist die Kulturplattform in NRW. Zum 60. Geburtstag blicken wir zurück auf einige Stationen prall gefüllter Jahre des ältesten Kulturradios der Bundesrepublik.
Von Katja Goebel (Text/Konzept), Andrea Kampmann (Grafik), Michael Weber (Recherche)
60 Jahre, gut gereift, aber immer noch experimentierfreudig: Abwechslung, Unterhaltung und Tiefgang prägen WDR 3 seit sechs Jahrzehnten. Schon zu Beginn wollte das Programm weder berieseln noch übertrieben anspruchsvoll sein.
Wir blicken zurück auf die Anfänge des ältesten Kulturradios der Bundesrepublik und die ereignisreichen Etappen dieser besonderen Kulturwelle. Eine Welle, die der damalige Hörfunkdirektor Fritz Brühl in seiner Begrüßungsansprache noch mit der "Geheimnummer im Telefonverzeichnis" verglich.
1956: Das Dritte Programm entsteht nicht mit einem Paukenschlag. Sieben Jahre lang werden Inhalte ausprobiert - übrigens nach dem Vorbild der BBC. Gesucht werden anspruchsvolle Inhalte mit Information, Hörspielen und klassischer Musik.
1964: Am Ostersonntag geht die WDR-Kulturwelle erstmals als Vollprogramm auf Sendung. Die Geburtsstunde wird mit der Champagner-Oper par exellence begossen: dem Rosenkavalier von Richard Strauß.
1965: Im Abendprogramm von WDR 3 werden erstmals ausgewählte Konzerte internationaler Musikfestspiele ausgestrahlt. Doch die Welle spielt nicht nur klassische Musik. Komponisten und Klangkünstler wie Karlheinz Stockhausen debattieren und probieren auch Wege zu neuer Musik.
Karlheinz Stockhausen ist Leiter des WDR-Studios für elektronische Musik. Als Visionär setzt er mit radikaler Konsequenz seine Ideen um. Später wird er zur Pop-Ikone und inspiriert Musiker wie Björk, Pink Floyd und John Lennon.
Im legendären WDR-Studio für Elektronische Musik beginnen Komponisten und Techniker mit technischen Geräten Musik zu machen, die ursprünglich für etwas ganz anderes gedacht waren. So wurde mit Rauschen und Bandschleifen experimentiert, um Musik zu produzieren.
Nicht bei allen WDR 3-Hörern stößt diese Art von experimenteller Musik allerdings auf Gegenliebe. Manch einer hielt das gesendete Machwerk schlicht für eine technische Störung oder Tiergeräusche aus dem Zoo und brachte seine Kritik daran in empörten Zuschriften an den WDR zum Ausdruck:
1967: Die WDR 3-Sendung "Das kritische Tagebuch" geht auf Sendung und wird zum Spiegel der Kulturlandschaft. Sperrig und kantig nimmt es politische Ereignisse, kulturelle Trends und Bildungsfragen unter die Lupe. Redakteurin Marianne Lienau erinnert sich:
1968: Uraufführung und Ursendung der Oper "Der Fall van Damm" von Hans Ulrich Engelmann. Ein Kompositionsauftrag des WDR zur künstlerischen Erprobung der Stereofonie ermöglicht diese erste Stereo-Hörfunk-Oper.
1969: Das Barockorchester des WDR "Cappella Coloniensis" (gegründet 1954) sorgt als erster Klangkörper der Welt mit historischer Aufführungspraxis für Furore.
Die Cappella bereist fast den gesamten Erdball und macht den WDR buchstäblich weltberühmt. Auch in Asien. Der damalige Dirigent Ferdinand Leitner erklärt, warum:
1969: Erstmals wird das renommierte Festival "Wittener Tage für neue Kammermusik" von der Stadt und dem Westdeutschen Rundfunk gemeinsam veranstaltet. Alle Konzerte werden von WDR 3 live übertragen - bis heute.
1973: WDR 3 wird zur Kulturwelle aufgebaut. Eine Säule darin wurde die Sendung "Mosaik", ein tägliches Kulturmagazin. Das Konzept, bis heute: Eine Mischung aus aktuellen Kulturbeiträgen und klassischer Musik.
1980: Der WDR wird Partner der "Tage alter Musik" sendet fortan die Konzerte aus der Arbeiterstadt Herne. Bei dem international führenden Originalklangfestival sind internationale Größen und aufregende Newcomer am Start. Außerdem ist das Festival beliebter Treffpunkt für Instrumentenbauer.
1981: Im WDR-Funkhaus am Kölner Wallrafplatz ist keineswegs nur Klassik und Jazz zu Besuch. Auch Populäres schaut bei WDR 3 vorbei. 1981 rockt Udo Lindenberg den Großen Sendesaal. Der Auftritt wird in der WDR 3-Reihe "Nachtmusik im WDR“ live ausgestrahlt.
1986: Auch Hörspiele bei WDR 3 sind legendär. Anlässlich seines 75. Geburtstages lädt der Sender den Autor und Komponisten John Cage zum öffentlichen Pilz-Happening. Beim "Mushroom-Talk" plaudert der Künstler unter dem Blitzlichtgewitter der Fotografen geistreich mit Freunden und erzählt Anekdoten aus seinem Leben.
2000: "Allein ist man einzigartig, zusammen ist man stark." Unter dem Motto "Partnerschaft für mehr Kultur" entsteht das Netzwerk der WDR 3-Kulturpartner. Heute sind 100 Kultureinrichtungen (darunter Theater, Konzerthäuser, Museen, Festivals und Kulturbüros) Teil des Netzwerks.
2004: WDR vergibt erstmals den höchst dotierten Jazzpreis Deutschlands. Die Premiere findet 2004 während des Festivals Jazz Cologne im Kölner Funkhaus statt. Bis heute geht der Preis jährlich an Künstlerinnen und Künstler aus NRW.
2010: Riesige Höreraktion - mit dem Projekt der "WDR 3-Lieblingsstücke" sucht das Kulturradio nicht nur nach den 100 beliebtesten klassischen Werken seiner Hörer, sondern auch die Geschichten dahinter. Das Publikum reagiert mit über 3.000 Zuschriften. Am Ende gibt es ein Livekonzert - moderiert von Entertainer Harald Schmidt.
2013: Der WDR setzt in Sachen Jazz neue Maßstäbe. WDR 3 feiert fortan jedes Jahr das Jazzfest in einer anderen Stadt in NRW. Es gibt eine Vielzahl von Jazzkonzerten und die Verleihung des WDR-Jazzpreises.
2014: Die Welle startet ihren eigenen Twitter - und Facebook-Kanal und auch der WDR 3- Konzertplayer geht online, der es dem WDR 3-Publikum endlich erlaubt, die Vielzahl der Konzertmitschnitte und -übertragungen 30 Tage lang zeitsouverän nachzuhören.
2019: Volker Bertelsmann alias "Hauschka" tritt gemeinsam mit dem WDR-Funkhausorchester auf. Das Klavier des Pianisten und Klangforschers gleicht einem Werkzeugkasten. Gerne lässt er Metall, Gummi und Filz darin verschwinden. Für WDR 3 komponiert der spätere Oscarpreisträger das Sound-Design des Senders.
2022: Happy Birthday - das WDR-Sinfonieorchester feiert 75. Geburtstag. Aus dem einstmals zehnköpfigen Unterhaltungsorchester, das seine Proben noch im zerstörten Köln beginnt, ist mit den Jahrzehnten ein Klangkörper gewachsen, der weltweites Ansehen genießt. WDR 3 sendet die Mitschnitte und plant Events mit dem Orchester.
2024: Am 29. März 2024 wird das Kulturradio 60 Jahre alt! Das WDR 3-Jubiläum wird mit einer großen Geburtstagsgala am 30. März in Bochum gefeiert. Mit dabei: Die Bochumer Symphoniker und prominente Gäste wie Entertainer Götz Alsmann, Weltklasse-Geiger Daniel Hope oder Blockflöten-Virtuosin Dorothee Oberlinger. WDR 3 überträgt ab 19.00 Uhr live!