60 Jahre GleichberechtigungsgesetzEin langer Weg zur Gleichstellung
"Männer und Frauen sind gleichberechtigt"
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so steht es im Grundgesetz von 1949. Aber erst acht Jahre später verabschiedet der Bundestag das Gleichberechtigungsgesetz und passt die Gesetze diesem Grundsatz an. Ein langer Weg, gegen massive Widerstände. Wird das Gleichberechtigungsgesetz seinem Namen gerecht?
Rundfunkansprache vom 19.01.1949
Die SPD-Politikerin und Rechtsanwältin Elisabeth Selbert kämpft dafür, dass die Gleichberechtigung von Mann und Frau 1949 überhaupt den Weg ins Grundgesetz findet.
Sei dem Manne untertan
De facto ist die Frau bis dahin ihrem Ehemann rechtlich unterworfen. Er verfügt über das gesamte Familienvermögen, auch über das der Frau. Sie darf kein eigenes Konto führen. Ohne Einwilligung des Mannes darf sie nicht arbeiten oder bei der Erziehung der Kinder mitreden. Und bei einer Scheidung geht sie leer aus.
FDP-Politiker Thomas Dehler: "Ein ausgeprägter Ehetyrann" (1952)
Der Weg ins GrundgesetzAufbruch und Unmut
Deutschland steht nach 1945 vor einem Neubeginn, die
junge Demokratie muss sich eine Verfassung geben. Der Parlamentarische Rat –
vier Frauen und 61 Männer – arbeiten sie aus.
Nach langem Ringen lautet
Artikel
3, Absatz 2:
"Männer und Frauen sind gleichberechtigt."
Vielen widerstrebt das
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vor allem den "hartgesottenen Ehemännern".
Interview mit Justizminister Dehler, kurz vor Ablauf der Frist (1952)
Gesetze müssen angepasst werden
Eine Wende. Doch nun müssen erst einmal die Gesetze, die der Verfassung widersprechen, angepasst werden. Dafür bestimmen die "Mütter und Väter des Grundgesetzes" eine Übergangsfrist von vier Jahren – eine Legislaturperiode. Zuständig für die Anpassung: ausgerechnet Justizminister Thomas Dehler, dem der Gleichberechtigungsgrundsatz ein Dorn im Auge ist.
Lore Maria Peschel-Gutzeit über die Angst der Kirche vor der Gleichstellung
Die Juristin und Politikern engagiert sich seit den 1950er Jahren für Gleichberechtigung.
Widerstand der Kirche
Es läuft schleppend. Die Bevölkerung ist im Wirtschaftswunderland oft noch patriarchalisch eingestellt – Männer wie Frauen. Man will seine Ruhe, Ordnung, alles wieder aufbauen – und sieht keinen Handlungsbedarf in Sachen Gleichberechtigung. Massiver Widerstand kommt von den Kirchen, die die "natürliche Eheordnung" gestört sehen. Und so verstreicht die Anpassungsfrist 1953 ohne Ergebnis.
Erhitzte Gemüter in der Parlamentssitzung von 1957
Lange Debatten im BundestagNoch hat der Mann das letzte Wort
Erst 1957, nach weiteren vier Jahren, ist es soweit: Im Deutschen Bundestag steht endlich ein Gleichberechtigungsgesetz zur Diskussion. Bis zum Schluss heiß umkämpft bleibt die Frage nach dem so genannten "Letztentscheidungsrecht". Kann sich ein Ehepaar in Ehe- oder Erziehungsfragen nicht einigen, so hat bisher der Mann das letzte Wort.
1. Juli 1958Endlich!
Am 3. Mai 1957 wird das "Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann
und Frau auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts" vom Bundestag verabschiedet. Am
1. Juli 1958 tritt es in Kraft.
Der umstrittene "Letztentscheid" des Mannes in allen Eheangelegenheiten wird gekippt. Außerdem dürfen Ehefrauen ab sofort ihr eigenes Vermögen
selbst verwalten. Und bei einer Scheidung gehen sie nun nicht mehr leer
aus, sondern werden an dem in der Ehe erwirtschafteten Vermögen beteiligt.
Aber...
Die Eltern sind gegenüber
den Kindern zwar gleichberechtigt, der Vater hat jedoch weiterhin das letzte Wort in
Erziehungsfragen – der so genannte väterliche Stichentscheid.
Und wieder sind es Frauen, die dagegen vorgehen. Schon 1959 kippt das Verfassungsgericht diese Regelung und erklärt sie für nichtig.
Ist das gleichberechtigt?
Im
Gesetz steht auch: "Die Frau führt den Haushalt (...) Sie ist berechtigt,
erwerbstätig zu sein, soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie
vereinbar ist." Noch bis 1977 ist dieser Paragraf in Kraft.
Es heißt
Gleichberechtigungsgesetz – und ist in Wirklichkeit alles andere. Viele
gesetzliche Anpassungen im Familienrecht ziehen sich noch über Jahrzehnte hin. So
wird Vergewaltigung in der Ehe erst 1997 zur Straftat.
"Alles beruht auf dieser Ergänzung des Grundgesetzes."
Ein weiterer Meilenstein
"Der Staat fördert die
tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt
auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin."
Die Politikerin Lore Maria Peschel-Gutzeit erreicht 1994 mit anderen Frauen, dass Artikel 3, Absatz 2 Grundgesetz um diesen Satz ergänzt wird. Ein weiterer Meilenstein. Abermals
durchgesetzt gegen massive Widerstände.
Und heute?
Im Gesetz ist die Gleichstellung weitgehend erreicht, aber die
Wirklichkeit hinkt noch immer hinterher:
Frauen
verdienen im Schnitt 21 Prozent weniger pro Stunde als Männer. Erklären lässt sich die Gehaltslücke dadurch, dass Frauen häufiger Teilzeit arbeiten oder in Minijobs, wo die Stundenlöhne geringer sind als bei Vollzeitbeschäftigten. Und sie arbeiten häufiger in Branchen, wie im sozialen Bereich, die schlecht bezahlt sind.
Das führt im Alter dazu, dass Frauen nur etwa halb so viel Rente bekommen wie Männer
Außerdem leisten sie 60 Prozent mehr unbezahlte Arbeit im Haushalt, bei der Kinderbetreuung
und in der Pflege von Angehörigen.
"Immer noch Macho-Gehabe" (Straßenumfrage 2016)
60 Jahre späterHäuptling und Indianer
Im Jahr 2018 stellt Horst Seehofer die Führungsmannschaft seines neuen Innenministeriums vor – ohne Frauen. Unter den Staatsministern und Staatssekretären aller Ministerien der neuen Bundesregierung befinden sich 45 Männer und nur 18 Frauen. Aber was sich geändert hat: Der öffentliche Protest. In den sozialen Netzwerken bekommt Seehofers Männerrunde viel Spott und Häme.
Bewegung mit Sprengkraft
Aber es bewegt sich weiter was: Herbst
2017 ist der Beginn der #MeToo-Debatte. Frauen wehren sich öffentlich gegen
Sexismus und sexualisierte Gewalt. Zunächst sind es Vorwürfe gegen den
mächtigen US-Filmproduzenten Harvey Weinstein.
#MeToo - ein Hashtag geht um die Welt. Es entsteht eine riesige
internationale Bewegung. Dabei geht es nicht nur um sexuelle Übergriffe, sondern um Machtstrukturen im Allgemeinen.
Anklagen,
Rücktritte, politische Debatten: #MeToo hat die Sprengkraft, etwas zu
verändern.
WDR 5 ZeitZeichen - 03.05.1957
Vor 60 Jahren wird das Gleichberechtigungsgesetz verabschiedet - eine Sendung von Daniela Wakonigg
WDR Frau tv - Beitrag vom 15.03.2018
Frau tv stellt anlässlich des Equal Pay Day Firmen vor, die sich dafür einsetzen, dass Männer und Frauen für die gleiche Arbeit
gleich bezahlt werden.
Deutsche Geschichte: Frauenbewegung
Ausführliches Dossier über die Frauenbewegung auf den Seiten von planet wissen (WDR, SWR, BR)